vonDetlef Georgia Schulze 13.06.2023

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Wie das Oberlandesgerichts Stuttgart gestern mitteilte, hat es am Montag auf Beschwer­de der Staatsanwaltschaft Karlsruhe das Hauptverfahren gegen den Redakteur des Frei­burger Rundfunksenders Radio Dreyeckland, Fabian Kienert, eröffnet. Damit hob es die am 16. Mai ergangene gegenteilige Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe (siehe dazu meinen Artikel an anderer Stelle vom 19.05.2023) auf.

Das heißt aber nicht, daß sich das Oberlandesgericht (OLG) der abstrusen Auffassung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe angeschlossen hätte, auch eine nicht mehr existieren­de Vereinigung könne noch unterstützt werden.

Vielmehr hält es das OLG für „überwiegend wahrscheinlich“, daß die „Vereinigung ‚links­unten.indymedia‘“ existiere. In der vom OLG verbreiteten Pressemitteilung (der Beschluß selbst liegt mir noch nicht vor) heißt es:

„Voraussetzung für die Eröffnung des Hauptverfahrens sei gemäß § 203 Strafpro­zessordnung, dass nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Ange­schuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig sei. Dafür bedarf es – anders als für eine Verurteilung – noch keiner Überzeugung des Gerichts von der Schuld. Wegen der besseren Aufklärungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung reiche es vielmehr aus, wenn entweder die Verurteilung mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln überwiegend wahrscheinlich erscheine oder ein Zweifelsfall vorliege, zu dessen Klä­rung die besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung notwendig seien. […].
Nach diesem Maßstab sei der Angeklagte des Verstoßes gegen ein Vereinigungsver­bot hinreichend verdächtig und die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zur Hauptverhandlung zuzulassen. Dass die unanfechtbar verbotene Vereinigung ‚links­unten.indymedia‘ noch existiere und ihren Willen, die verbotene Internetpräsenz fort­zuführen, nicht aufgegeben habe, sei überwiegend wahrscheinlich. So sei die verbo­tene Website niemals gelöscht oder endgültig nicht mehr betrieben worden. Vielmehr sei diese – nach zeitweiser Unterbrechung – nun wieder online. Auch noch mehr als zwei Jahre nach der Verbotsverfügung sei dazuhin eine verbotene Betätigung des Vereins erkennbar, indem das Archiv der verbotenen Website mit umfangreichen In­formationen zur Vereinstätigkeit und Möglichkeiten zu einer finanziellen Unterstüt­zung1 hochgeladen worden sei.“

Aus der Pressemitteilung geht nicht hervor, aufgrund welcher Umstände, das OLG zu der Auffassung gelangte, „die verbotene Website [sei] niemals gelöscht oder endgültig nicht mehr betrieben worden“, bzw. was das OLG genau mit der „oder“-Alternative meint.

Das Wiederauferstehungswunder

Tatsache ist jedenfalls, daß unter der URL linksunten.indymedia.org von Ende 2018 bis Frühjahr 2020 keine Inhalte angezeigt wurden. Auch als das Archiv der alten Inhalte der Webseite indymedia.org von – der Öffentlichkeit und augenscheinlich auch der Staatsan­waltschaft Karlsruhe und dem Bundesinnenministerium – unbekannten Personen hoch­geladen wurde, geschah dies zunächst nicht unter der alten URL, sondern unter der URL linksunten.archive.indymedia.org/index.html (vgl. https://web.archive.org/web/20200116230214/https://linksunten.archive.indymedia.org/index.html).

Erst seit einem deutlich späteren Zeitpunkt wird auch die Adresse linksunten.indyme­dia.org für das Archiv genutzt; vor dem 20. April 2020 gab es unter der Adresse linksun­ten.indymedia.org augenscheinlich keine Inhalte, die hätten gespeichert werden können: https://web.archive.org/web/20200801000000*/linksunten.indymedia.org.

Spätestens seit dem 25. November 2018 führte das Aufrufen der Adresse linksunten.in­dymedia.org zur Ausgabe folgender Fehlermeldung:

Could Not Connect
Description: Could not connect to the requested server host.

Ab nach dem 22. April 2019 (https://web.archive.org/web/20190601000000*/linksunten.indymedia.org) bis vor dem 20. April 2020 wurde von archive.org für die Adresse linksunten.indymedia.org gar nichts gespeichert. Welcher „Verein“ soll sich in dieser Zeit also wie betätigt haben?

Zum Unterschied zwischen Organisationskontinuität und Ersatzorganisation

Vom späten Abend des 26. August 2017 – also von kurz nach dem Verbot – bis 22. April 2019 erschien unter der fraglichen Adresse nur die Zeile „Wir sind zur Zeit off­line…“. Feststellungen oder Wahrscheinlichkeits-Vermutungen zur Frage, welche Perso­nen für diese Zeile und den späteren Wegfall Verantwortung trugen, lassen sich der Pressemitteilung des Oberlandesgerichts nicht entnehmen. Auch enthält die Pressemit­teilung keine Überlegungen zur Frage, was der Wegfall dieser Zeile einerseits technisch und andererseits für den Zustand bzw. Existenz des ehemaligen BetreiberInnenkreises der Webseite bedeutete. – Solche Überlegungen wären aber von zentraler Bedeutung für einen fundierten Beschluß des Oberlandesgerichts gewesen, denn der Bundesgerichts­hof hat bereits folgendes zur Frage der Fortexistenz einer bestimmten Vereinigung ent­schieden:

„Voraussetzung für die Identität eines verbotenen Vereins mit einem bestehenden ist, daß der organisatorische Zusammenhalt des verbotenen Vereins aufrechterhalten und die die Vereinstätigkeit tragende Organisation bewahrt wird (vgl. Stree in Schön­ke/Schröder StGB 25. Aufl. § 84 Rdn. 12). Zwar wird die Organisationsidentität nicht dadurch beseitigt, daß die Vereinigung nur einen neuen Namen annimmt. Erforderlich ist aber stets, daß die organisatorische Verbundenheit des verbotenen Vereins fortbe­steht (vgl. Laufhütte in LK 11. Aufl. § 84 Rdn. 6), daß der organisatorische Ap­parat und seine Träger im wesentlichen dieselben geblieben sind (vgl. Tröndle StGB 48. Aufl. § 84 Rdn. 4).“
(BGH, Beschluß vom 04.02.1998 zum Aktenzeichen 3 StR 390/97; Hv. hinzugefügt)

Fehlt es daran, dann besteht der verbotene Verein nicht mehr – und es kommt nur noch in Betracht, daß vielleicht eine Ersatzorganisation gegründet wurde. Aber die Strafbarkeit der Mitgliedschaft in einer solchen Organisation und der Unterstützung einer solchen Or­ganisation setzt voraus, daß die zuständige Verbotsbehörde zuvor förmlich festgestellt hat, daß eine solche Ersatzorganisation gebildet wurden; siehe dazu § 8 Absatz 2 Satz 1 Vereinsgesetz:

„Gegen eine Ersatzorganisation, die Verein im Sinne dieses Gesetzes ist, kann zur verwaltungsmäßigen Durchführung des in Absatz 1 enthaltenen Verbots nur auf Grund einer besonderen Verfügung vorgegangen werden, in der festgestellt wird, daß sie Ersatzorganisation des verbotenen Vereins ist.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__8.html)

An diese Norm knüpft § 85 Strafgesetzbuch, um den es im Strafverfahren gegen Fabian Kienert (RDL) geht, an:

„(1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt
1. […], oder
2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfas­sungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer sol­chen verbotenen Vereinigung ist,
aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar.
(2) Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html)

Zum Unterschied zwischen Domains und Subdomains

Aber zurück zur Frage, was in der Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Stuttgart steht bzw. vielmehr fehlt:

In der Pressemitteilung wird bspw. nicht gesagt, ein- und dieselbe (juristische[n] oder na­türliche[n]) Person[en] hätte[n] von vor dem Verbot bis zur Veröffentlichung des inkrimi­nierten Artikels von Fabian Kienert im Sommer 2022 den administrativen Zugriff auf die Subdomain linksunten gehabt. Aus der Pressemitteilung geht auch nicht hervor, ob sich das OLG überhaupt mit dem technischen Verhältnis zwischen Domains und Subdomains beschäftigt hat.

Dies wäre aber wichtig gewesen und wird nun für die anstehende Hauptverhandlung wichtig werden: Denn es kann eine Person A (und es können auch mehrere Personen) den administrative Zugriff auf die ganze Domain (z.B. bund.de) haben, und es können andere Personen den Zugriff auf eine Vielzahl von Subdomains (z.B. bmi.bund.de) ha­ben.

Dabei hat aber die Person oder haben die Personen, die den administrativen Zugriff auf die Domain haben, die Oberhoheit: Sie können Subdomains einrichten oder löschen. Die AdministratorInnen von Subdomains ‚aussperren‘ und neue Leute mit der Administration aller oder bestimmter Subdomains betrauen usw.

Soweit mehr als zwei Leute eine Domain oder Subdomain administrieren, können sie vereinsförmig organisiert sein, aber sie müssen nicht vereinsförmig organisiert sein – und schon gar nicht müssen die BetreiberInnen der Domain und die BetreiberInnen der Sub­domains in einem gemeinsamen Verein organisiert sein.

Das Oberlandesgericht behauptet auf einmal – in faktischer Hinsicht – etwas, das zuvor weder die Staatsanwaltschaft Karlsruhe noch das Bundesinnenministerium behauptet hatte

Jedenfalls ist die Auffassung des OLG, daß „die Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ noch existiere“, „sei überwiegend wahrscheinlich“, eine völlig neue Auffassung. – Das hatten bisher weder das Bundesinnenministerium (das immerhin über die ‚Erkenntnisse‘ des Inlandsgeheimdienstes „Bundesamtes für Verfassungsschutz“ verfügt) noch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe behauptet!

Auf Anfrage vom 7. Februar hatte mir das Bundesinnenministerium am 9. Februar 2023 mitgeteilt:

„Dem Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) liegen keine Erkenntnisse über eine Fortführung oder über eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ vor.“ (Hv. hinzugefügt)

Auf meine Frage vom 2. Mai, Hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe den gleichen Kennt­nisstand wie das Bundesinnenministerium? Oder geht die StA von einer Fortexistenz des Vereins aus?“, und – am 3. Mai erfolgter – Weiterleitung der Antwort des BMI aus dem Februar, antwortete mir die Staatsanwaltschaft Karlsruhe am Freitag, den 5. Mai 2023:

„Hier liegen keine über die übersandte Antwort des BMI hinausgehenden Erkenntnis­se vor.“

Danach fragte ich dann am 5. Mai:

„Bedeutet der erste Satz [einer vorherigen Antwort], daß jedenfalls Ihr Haus kein Er­mittlungsverfahren gegen die unbekannten Personen, die das Archiv 2020 online stellten führt und führte?“ (Hv. hinzugefügt)

Darauf erhielt ich noch am selben Tag – gegen Feierabend – folgende Antwort:

„nach meinem Kenntnisstand wird außer dem hinlänglich bekannten RDL-Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe kein weiteres Verfahren im Zusammenhang mit ‚linksunten.indymedia‘ geführt.“

Auch in den beiden Verfahren vor dem Landgericht Karlsruhe hat die Staatsanwaltschaft augenscheinlich nicht behauptet, die angebliche Vereinigung existiere noch; vielmehr hieß es auf S. 11 des Landgerichts-Beschlusses:

„Weder in den von der Staatsanwaltschaft beantragten und vom Amtsgericht antrags­gemäß am 13.12.2023 erlassenen Durchsuchungsbeschlüssen, noch in den staats­anwaltschaftlichen Stellungnahmen vom 24.01., 14.02 und 04.04.2023 zu den hierge­gen eingelegten Beschwerden, noch im polizeilichen Schlussvermerk vom 11.04.2023 und auch nicht in der Anklageschrift vom 20.04.2023 wird die Frage der (Fort-)Exis­tenz der verbotenen Vereinigung aufgeworfen oder durch konkrete Anhaltspunkte be­legt.“

Auf S. 12 des Landgerichts-Beschlusses hieß es außerdem:

„Aus der Ausgestaltung [des § 85 StGB] als Gefährdungsdelikt, das keinen auf Grund der Tat eingetretenen Erfolg und keinen messbaren Nutzen der Tathandlung voraus­setzt, scheint die Staatsanwaltschaft abzuleiten, dass das (Fort-)bestehen einer ver­botenen Vereinigung als Bezugspunkt der Unterstützungshandlung nicht erforderlich sei.“

Dazu fragte ich die Staatsanwaltschaft Karlsruhe am 5. Juni:

a) Fühlt sich die Staatsanwaltschaft diesbzgl. (‚scheint die Staatsanwaltschaft abzu­leiten‘) korrekt verstanden oder mißverstanden?
b) Falls Sie sich mißverstanden fühlen: Wie stellt die Staatsanwaltschaft ihre (Rechts)Auffassung nunmehr klar?“

Darauf erhielt ich keine konkrete Antwort (siehe meinen taz-Blogs-Artikel vom 8. Juni 2023). Die Staatsanwaltschaft hielt es also mindestens nicht für dringlich, öffentlich zu äußern, daß sie ihres Erachtens vom Landgericht mißverstanden worden sei.

Auch meine allgemeine Frage, Wie begründet die Staatsanwaltschaft ihre Be­schwerde?“, und meine weiteren konkreten Fragen antwortete die Staatsanwaltschaft je­denfalls nicht dahingehend, daß sie (nunmehr) behaupte, die angebliche „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ existiere noch oder wieder (siehe noch einmal meinen gerade schon genannten Artikel).

Es ist also ein ziemlich irritierendes Wiederauferstehungswunder, das sich da in den Hallen des Oberlandesgerichtes Stuttgart ereignet haben soll…

Die „oder“-Alternative

Vor der ersten Zwischenüberschrift des hiesigen Artikels schrieb ich:

„Aus der Pressemitteilung geht nicht hervor, aufgrund welcher Umstände, das OLG zu der Auffassung gelangte, ‚die verbotene Website [sei] niemals gelöscht oder end­gültig nicht mehr betrieben worden‘, bzw. was das OLG genau mit der „oder“-Al­ternative meint.“

Es bleibt in der übersandten Presseerklärung völlig unklar, was sich das OLG – einge­denk des Unterschiedes zwischen Domains und Subdomains – unter dem Löschen einer Webseite vorstellt – und (im Unterschied davon?) unter Nicht-mehr-Betreiben einer Web­seite. Was hätte denn nach Ansicht des OLG gemacht werden müssen, um die Webseite linksunten.indymedia.org ‚zu löschen‘? Und woran meint das OLG erkennen zu können, daß ein solches ‚Löschen‘ unterblieben ist?

Das OLG scheint sich auch nicht darüber im klaren zu sein, daß ein Unterschied zwi­schen internet-Adressen und den dort präsentierten Inhalten besteht; daß also ein- und dieselbe Adresse – nacheinander – von völlig unterschiedlichen Leuten mit völlig unter­schiedlichen Inhalten betrieben werden kann. So kann z.B. die Domain essen.de eine zeitlang einer Privatperson zugeordnet sein, die dort Informationen zu Nahrungsmitteln und deren Konsum zur Verfügung stellt, und dann kann die Inhaberinschaft auf die Stadt Essen übergehen, die nunmehr Informationen über Stadt und Stadtverwaltung zur Verfü­gung stellt. Und es ist auch möglich – wenn auch nicht besonders sinnvoll – unter der Adresse handball.de Informationen über Fußball zur Verfügung zu stellen.

Aus der Tatsache, daß es aktuell alte Inhalte unter der Adresse linksunten.indymedia.org gibt, kann also nicht geschlossen werden, daß der alte BetreiberInnenkreis noch existiere – und zumal nicht, daß er sich weiterhin in der von der 2017er-Verbotsverfügung inkrimi­nierten Art und Weise betätige (denn es können unter der alten Adresse keine neuen Arti­kel mehr von beliebigen Leute gepostet werden; und der Inhalt der Webseite scheint seit 2020 überhaupt nicht geändert worden zu sein). Vergleiche dazu meinen taz-Blogs-Artikel vom 15.05.2023 zur Dokumentation historischer Texte (dort: straflose Dokumenta­tion von Texten der RAF).

„verbotene Website“ – das Oberlandesgericht ignoriert das Bundesverwaltungsgericht

Das Oberlandesgericht spricht von einer „verbotenen Website“. Es läßt damit außer Acht, was das Bundesverwaltungsgericht klargestellt hatte und auch das Landgericht Karlsru­he beachtet hatte: Es wurde keine Webseite verboten, sondern es wurde der BetreiberIn­nenkreis einer Webseite als „Verein“ klassifiziert und verboten – und damit war es straf­bar geworden, sich Rahmen des BetreiberInnenkreises zu betätigen. Auch steht es unter Strafandrohung, Ersatzorganisationen des als „Verein“ klassifizierten und verbotenen Be­treiberInnenkreises zu bilden. – Das heißt aber noch lange nicht, daß jede Publikation mit dem Namen linksunten.indymedia verboten wäre und das Brechen dieses eingebildeten Verbotes strafbar wäre.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2020 entschieden:

„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Inter­netadresse ‚linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussi­onsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlus­ses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“.
(https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33)

Auch im Beschluß des Landgerichts Karlsruhe vom 16. Mai 2023 hieß es:

Es ist „zu berücksichtigen, dass Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids vom 14.08.2017 nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚https://linksunten.indyme­dia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals ist, sondern das Ver­bot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als einer vereinsmäßigen Organisation (BVerwG, Urt. v. 29.01.2020 – 6 A 1/19, juris Rn. 33).“

Wie kommt nun also wieder der Quark in die Gehirne von RichterInnen eines Oberlan­desgerichts, es sei eine Webseite verboten worden? 😮

Deutsche Rechtsprechung im Zeitalter allgemeiner Unachtsamkeit und Sorgfaltslosigkeit

Nicht überraschend ist dagegen – angesichts allgemeiner Unachtsamkeit und Sorgfalts­losigkeit –, daß auch das Oberlandesgericht Stuttgart (wie schon das Bundesverwal­tungsgericht und vermutlich auch die AnwältInnen der dortigen KlägerInnen = AdressatIn­nen der Verbotsverfügung) übersieht, daß eine „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ niemals existierte – dies nicht in erster Linie deshalb, weil der vormalige BetreiberIn­nenkreis der Webseite linksunten.indymedia vielleicht – anders als das BVerwG meint – nicht vereinsförmig organisiert war, sondern in erster Linie deshalb, weil dieser Betreibe­rInnenkreis niemals genauso hieß, wie seine Webseite, sondern vielmehr IMC linksun­ten2 hieß (wobei „IMC“ für „Independent Media Center“ stand).

Genau besehen ereignete sich in den Hallen des Oberlandesgerichts Stuttgart also doch kein Wiederauferstehungswunder. Denn eine „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ exis­tiert nicht nur nicht, sondern sie existierte niemals. In rechtlicher Hinsicht (keine Vereini­gungsunterstützung ohne Existenz der Vereinigung) ist die Entscheidung des Oberlan­desgerichts Stuttgart zwar deutlich besser fundiert als die wirre Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe (auch nicht existierende Vereine können angeblich unter­stützt werden), aber in tatsächlicher Hinsicht leben auch die RichterInnen des Oberlan­desgerichts in einer Phantasiewelt.

Es wäre allerdings sehr wünschenswert der alte BetreiberInnenkreis von linksunten.indy­media würde weiterhin existieren und würde sich weiterhin betätigen – und hätte nicht vor dem 2017 verfügten innenministeriellen Verbot kapituliert.

Fortsetzung folgt.


1 Augenscheinlich hat sich das OLG das, was es meint (https://linksunten.indymedia.org/donate/index.html), nicht ge­nauer angesehen – Spenden werden dort nicht für die angebliche „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ gesammelt, sondern für ein Technikkollektiv: „Tachanka ist eine Idee. Es ist die Idee, emanzipatorische Projekte und politische Gruppen mit technischen Diensten zu unterstützen.“
Siehe auf der verlinkten Webseite (https://tachanka.org/) den Abschnitt „News“.

2 https://web.archive.org/web/20200320103618/http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Bf_11_Antrag_ans_BMI__FIN.pdf. S. 38 f. Siehe auch

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