vonMathias Schwardt 03.05.2023

Von wegen Kultur

Obskure Musik, B-Movies und der Stand der Kultur: ein Blog von Mathias Schwardt. Foto: Peter Herrmann / unsplash

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In den 1980ern wurde das japanische Kino plötzlich wieder aufregend. Eine neue Riege sozialkritischer Regisseure hatte die Schnauze voll von historischen, noch dazu kaum mehr finanzierbaren Kostümkrachern. Ihr Interesse galt dem Hier und Jetzt. Skandale gab es genug. Der größte, die japanische Vermögenspreisblase mit überteuerten Immobilien und Aktien, endete in einer Krise gigantischen Ausmaßes.

Nicht nur wirtschaftlich, auch gesellschaftlich: Die Korruption auf allen politischen und wirtschaftlichen Ebenen und die Verflechtung mit Banden der Yakuza erschütterte das Vertrauen der Bevölkerung. Stolz hatte Japan sich als Staat präsentiert, der gleichzeitig Traditionen pflegt und ökonomisch zu den modernsten der Welt zählt. Doch im Ergebnis war Geld halt doch wichtiger als Ehre. Was waren da Traditionen noch wert?

Diese Widersprüche reizten Drehbuchautoren und Regisseure. Juzo Itami, heute hierzulande fast vergessen, war der herausragende Vertreter der neuen Generation. Zwar drehte er seinen ersten Langfilm erst mit 50. Doch das Alter spielt keine Rolle, wenn man im Kopf jung bleibt. Filmerfahrung – als Schauspieler – hatte Itami jedenfalls reichlich. Hinzu kam das Gespür für die geeignete Kunstgattung: die Satire. Zehn Filme drehte Itami. In fast allen spielte seine Ehefrau Nobuko Miyamoto die Hauptrolle. Starke Frauencharaktere, damit wandte sich der Regisseur gegen die machohaft geprägten Strukturen seines Landes.

Schon Itamis Debüt „Beerdigungszeremonie“ (1984) war ein Volltreffer. Ein alter Mann stirbt an einem Herzinfarkt. Familie und Freunde nehmen in traditioneller Weise drei Tage lang Abschied. Doch nur, weil das eben so sein muss. Es wird fremdgegangen, viehisch gesoffen und gefressen. Kurz: alles gemacht, was sich verbietet. Die Zermonie verkommt zur Lächerlichkeit.

Der episodische Tampopo (1985) ist Itamis auch hierzulande bekanntestes Werk. Und einer der größten Filme überhaupt. Zentrale Figur ist eine Frau, die mit Unterstützung zweier Lastwagenfahrer, einem obdachlosen Ex-Gynäkologen, einem Baulöwen und einem Chauffeur zur besten Nudelsuppenköchin in einem Bezirk Tokios werden will. Immer wieder wird die Handlung von Episoden unterbrochen, die außer dem Essen nichts mit Köchin Tampopo zu tun haben.

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Westernelemente, Sex, Wortwitz, Slapstick, Gewalt: Itami hatte für diesen Film so viele Ideen wie andere für fünf Filme. Dennoch wirkt Tampopo wie aus einem Guss. Besonders gelungen ist die Szene mit den gesetzten Geschäftsmännern, die in einem feinen französischen Restaurant alle die gleichen Gerichte und Getränke bestellen, weil sie kulinarisch keine Ahnung haben. Daraufhin werden sie von einem jungen Aktenträger gedemütigt, der sich als Gourmet entpuppt. Reich und mächtig, aber hilflos: Die Gesichter der alten Herren, schamrot ausgeleuchtet, sind unbezahlbar.

In rasender Geschwindigkeit legte Itami einen Film nach dem anderen vor. Nur die beiden letzten, „Supermarket Woman“ (1996) und „Woman In Witness Protection“ (1997) fallen ab. In Deutschland sind außer Tampopo wenigstens noch die beiden Teile der „Steuerfahnderin“ (1987/1988) erhältlich, in denen die weibliche Haupfigur einem windigen Geschäftsmann sowie einer obskuren Sekte zu Leibe rückt. Und ein weiterer Klassiker.

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In „Minbo“ (1992) rechnete Itami mit der Yakuza ab und wurde dafür von Gangstern krankenhausreif geprügelt. Der Filmemacher hatte gewusst, wie gefährlich das Projekt war, weil er die Banden und ihren verlogenen Ehrbegriff der Lächerlichkeit preisgab. Wie die Yakuza rotzlöffel- und stümperhaft versucht, ein Luxushotel unter Druck zu setzen und sich an einer couragierten Frau (!) die Zähne ausbeißt, ließ die Zornesadern schwellen. Zumal Itami den Film auch als Handlungsanweisung für die Feinde der Yakuza verstand. Die Stärke der Verbrecher beruht auf Angst, Minbo ist ein Plädoyer für Mut.

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Dass sich Juzo Itami offen gegen die Yakuza stellte, erklärt die Diskussionen um seinen Tod. Am 20. Dezember 1997 stürzte der 64-jährige Regisseur von einem Hochhaus. Gefunden wurde eine angebliche Abschiedsnotiz, in der er eine Affäre verneinte und ausführte, nur der Tod könne ihn reinwaschen. Doch war es wirklich Selbstmord oder wurde der Regisseur von der Yakuza ermordet? Möglich wär’s, zumal der Unbeugsame angekündigt hatte, in seinem nächsten Film stünde sie wieder im Zentrum. Wäre sicher ein Kracher geworden.

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