vonfrida 25.02.2025

Frida, ich und du

Intimer Umgang mit Schmerz und Leid des Menschen in ihrer jeweiligen Rolle: Sozialisation, mothering, Feminist

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Liebst Fin,

wie Du in Deinem letzten Brief leider so richtig prognostiziert hast: jede Stimme, die am Sonntag nicht nach links ging, hat das konservativ rechte Bild geprägt. Es steht nun schwarz auf weiß: wir wussten und wir wissen. Das empfinde ich auch gerade sehr.

Deine Beobachtungen und Gedanken zur Sicherheit teile ich ebenfalls. Ich betrachte dabei vor allem den privaten Raum, vielleicht auch, weil ich als Mensch im mothering dort sehr viel mehr wahrnehmen kann und muss.

Neulich fiel im Gespräch mit einer mir nahen Person auf, dass wir beide derzeit bemerken, wie penibel sich viele Menschen an Regeln halten, dabei oft betonen, wo sie sich daran halten, andere anprangern, wenn sie es nicht ordentlich oder sorgfältig genug tun, und einen Sinn darin sehen, ihre Aufmerksamkeit, ihren Stolz und ihre Energie darauf zu verwenden, sich auch in den absurdesten Bereichen an Regeln zu halten.

Es geht dabei selten um die Sache an sich, zu der sich regelkonform verhalten oder die als regelwidrig angeprangert wird. Es scheint rein um das Einhalten von Regeln und die damit vermeintlich einhergehende Sicherheit zu gehen; die ansonsten verloren geht?!

Es scheint darin eine Sicherheit gesucht zu werden, eine vermeintliche Stabilität. Dass dies höchst emotional ist, wird deutlich, wenn andere Menschen das als absurd oder für nicht relevant bewerten und äußern.

Das ist ein zwischenmenschlicher Zustand, den ich zuletzt während den Anfängen der letzten Pandemie wahrgenommen habe, als es plötzlich neue Regeln, Absperrungen und Verhaltensgebote gab, die aus meiner Perspektive vor allem das Leben mit Kindern sehr eingeschränkt und im Privaten für sehr viel Diskussion und auch Streit gesorgt haben bis hin zu Kontaktabbruch wegen zu unterschiedlicher Ansichten und vor allem Ängste.

Ich habe den Eindruck, das passiert gerade wieder und doch ist es auch anders.

Es wird mehr und mehr deutlich, dass sich unsere Gesellschaft, die Moralvorstellungen unserer Gemeinschaft verschieben und weiter verschieben werden, aber es gibt nicht so deutliche, nicht so im Alltag unübersehbare Maker, wie während der Lockdowns und doch scheint es sich im Verhalten der Menschen abzubilden, ähnlich eben wie während der Hochphasen von Corona.

Das Thema Sicherheit ist also nicht nur auf politischer Ebene und auf den Wahlplakaten präsent, sondern überall eigentlich da. Thematisiert wird es aber vornehmlich im Außen, also was Krieg und Frieden in Europa angeht oder ein sicheres Einkommen/ Gehalt oder die Sicherheit auf den Straßen oder oder…

Das Bedürfnis nach Sicherheit hinter der Regelkonformität, über das ich mit meiner Bekannten gesprochen habe, bezieht sich auf eine innere Sicherheit, ein subjektives Empfinden von Sicherheit und eine Bestätigung darin. Denn, wenn sich alle an die gleichen Regeln halten, kann bei einem Umbruch dem inneren Empfinden der gesellschaftlichen Unsicherheit eine vermeintliche Sicherheit im sozialen Außen entgegen gesetzt werden. Und das finde ich wiederum wirklich gefährlich, insbesondere was den Ruck nach rechts angeht. Denn darin – was das Aufstellen, Durchsetzen und Einhalten von Regeln angeht – war Deutschland damals, Mitte letzten Jahrhunderts, besonders gut drin.

Du stelltest am Ende Deines letzten Briefes die Frage in den Raum, ob der Ausgang dieser Wahl überhaupt noch von Bedeutung sei?

Ich würde sagen: ja. Denn es ist ein Abbild, ein Tag X, der allen Menschen schwarz auf weiß zeigt, wie es um das politische Befinden der Menschen bestellt ist in diesem Land und dass es nicht mehr um Tendenzen oder „abgehängte Regionen“ geht, sondern um eine Macht, die sich mehr und mehr ihren demokratischen Raum nimmt. Und das kann nach diesem Sonntag wirklich kein Mensch mehr leugnen.

Was ich aber auch sehe, ist, dass diese Wahl nur etwas abgebildet hat, was sich auch schon vorher durch die nicht deutlich rechtsnational orientierten Parteien, durch die Demokratie zog: eine Verschiebung der Moral; was zum Beispiel den Umgang mit nicht weißen, nicht westeuropäisch gezeugt und geborenen Menschen angeht.

Und genau das ist das, was ich im Privaten als massive Verunsicherung der Menschen wahrnehme: was richtig und was falsch ist, verschiebt und verändert sich derzeit massiv und aus Elternperspektive rasend schnell. Ich glaube, da kommen die wenigsten menschlichen Systeme noch zurecht mit und natürlich strampeln sie sich dabei ab, das aber zu versuchen. Dafür greifen Menschen zu unterschiedlichen Strategien, die für das Miteinander selten angenehm, sondern meist eher konfliktreich sind, und sich zum Beispiel am unbedingten Festhalten an Regeln abzeichnet, aber auch in anderen zwischenmenschlichen Bereichen.

Mir fallen dabei vor allem Bereiche im Umgang mit jungen Menschen, Kindern und Jugendlichen, auf, aber dazu vielleicht ein andermal mehr.

In wenigen Tagen beginnt im Rheinland die Hochphase der 5. Jahreszeit. Der Karneval hat das politische Geschehen in Deutschland oft auf erheiternde und erstaunlich offene Art und Weise  thematisieren und abbilden können. Ich bin sehr gespannt, wie sich das dieses Jahre gestalten wird.

Alaaf und auf ein baldiges Wiedersehen, herzlichst

Deine Nena

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