Ich selbst bin in eine linke Kommune aus den 70er/80er Jahren reingeboren worden. Vor Kurzem bin ich anlässlich der at.tention mit der Eltern-Kind-Bubble, dem mothering, in linken Kreisen mal wieder massiv konfrontiert worden und ziehe nun doch mal ein Resümee über 40 Jahre Privilegien und Machtgewohnheit, selbst noch in den linkesten und awaresten Bubbles.
Meine Erfahrungen aus der mothering-Perspektive
Auf der at.tention hatte ich Einblicke in die alltäglichen Bewegungen und Abläufe der Crew- und Supporter*innen im Backstage-Bereich und auch die der normalen Besucher*innen auf dem Fusion-Gelände.
Überall waren eine Menge Kinder und ihre Eltern unterwegs.
In der Buffet-Schlange vom Backstage-Catering fällt mir wieder massiv auf, wie weiblich gelesene Menschen sich mit Tellern und Kindern auf Hüfte und am Rockzipfel abmühen, während ihre männlich gelesenen Partner bereits am Handy scrollend gemütlich am Tisch vor ihrem Frühstücksteller sitzen und nichts von der Not ihrer Partnerinnen mitbekommen. Einer Not, die auch von den anderen anwesenden Menschen in der Schlange nicht wahrgenommen wird, sondern eher zu entnervtem Vordrängeln führt, weil man ja noch irgendwohin muss.
Einer Not also, die auch in den linken Bubbles als solches immer noch nicht benannt werden darf. Weil es wäre ja auch übergriffig, bei einem anderen Menschen eine Notlage anzunehmen, wenn diese das weder äußert noch ihr Empfinden darüber teilt; ich sage: weil sie nicht teilen darf.
Natürlich ist auf dem wunderschön verspielten Fusion-Gelände auch immer mal wieder der Vorzeigevater mit umgebundenem Baby im Tragetuch vertreten; genauso wie der Papa, der mit dem Kind aufs Klo oder duschen geht.
Den gab es übrigens auch schon in den 80ern und genauso wie damals, wird er auch heute immer noch für seinen Einsatz gefeiert, anstatt als selbstverständlicher Care-Arbeiter am Kind angesehen zu werden.
Bei der Fülle an Menschen und Familien-Beispielen war ich wieder entsetzt, in welcher Häufigkeit ich die klassischen, patriarchalen Familienstrukturen sowohl innerhalb der Familien wahrnahm, als auch außerhalb durch die sie umgebenden Menschen:
– meistens richteten Kinder zuerst ihre Bedürfnisse an die weiblich sozialisierte Person im mothering;
– meistens entzogen sich Väter ihrer Caring-Verantwortung durch einfaches nicht-Wahrnehmen von unangenehmen oder gar kritischen Situationen;
– meistens nahm ich einen Unmut auf weiblich sozialisierte Menschen im mothering wahr, wenn ihre Kinder unangenehm laut, weinerlich, streitbar oder überfordert die Abläufe der anderen, ungebunden feiernden Menschen störten;
– meistens bezog sich die Haupt-Care-Arbeit weiblicher Menschen im mothering auf das anstrengende Alter der 1-5-jährigen Kinder, während sich männliche Menschen im mothering vornehmlich eben mit dem schlafenden Baby oder den schon selbstständigeren 6-12-jährigen Kindern zeigten;
– meistens saß eine weiblich gelesene Person mit Kind und völlig übermüdet in den frühen Morgenstunden im Frühstücksbereich.
Sicherlich, es gab auch andere Beispiele: ein männlicher Mensch mit einem 5-jährigen auf Klosuche; ein Vater, der sich eilig bemüht, einen geeigneten Sitzplatz für die Kinder und das bestellte Essen zu organisieren, während die Mutter an der Theke stehend noch nach dem Kleingeld kramt.
Was mich so frustrierte und immer noch wütend macht, ist, dass männliche Care-Arbeit in familiären Kontext auch in linken Räumen immer noch eine Ausnahme und nicht die Regel ist.
Das ist eine Beobachtung, die ich natürlich nicht nur auf der at.tention gemacht habe, sondern mich immer wieder anspringt, wenn ich mich in linken Hausprojekten, SoLaWis, AZs, Kommunen, Politgruppen, gemeinschaftlichen Wohnprojekten, WGs aufhalte.
Die alten Rollen haben sich auch in den linkesten Szenen nicht wirklich verändert, sie haben sich nur ein bisschen weiter ausgedehnt: Der Papa* zeigt sich ein bisschen mehr, die Mama* darf ein bisschen weniger müssen, aber strukturell liegen Scham, Schuld und Verantwortung für das Kinde noch immer primär bei der weiblich sozialisierten Care-Arbeiterin: im Zweifelsfalle muss sie ihre Aufmerksamkeit, ihren Körper, ihre Fürsorge, ihre Lebenszeit weiterhin der Familie opfern, und das auch wenn sie aktiv an linken Kontexten teilhaben möchte. (siehe dazu auch: Rollenbeschreibung, ein Versuch – Mothering III)
Meine Erfahrungen aus der Kind-Perspektive in linken Bubbles vor 40 Jahren
Nachdem ich den gewalttätigen Zerfall der Kommune als Baby und Kleinkind überlebt hatte, verbrachte ich meine weitere Kindheit und Jugend immer noch viel in den linken Kreisen sowohl anarchistischer als auch kommunistischer Lebenskonzepte gealterter Hippies und ehemaliger Hausbesetzer. Meine Familie väterlicherseits hatte sich mit mehreren Onkeln, deren Frauen und Ex-Frauen und deren Kindern gut breitgemacht, sowohl in der linksradikalen Szene, als auch in der gemäßigteren grünen Ökoszene.
Nachdem auch meine Mutter irgendwann zu einer der Ex-Frauen geworden war und wir reingeborenen weiblich sozialisierten Menschen die gewaltvollen und zum Teil auch sexualisierten Übergriffe unserer Väter anklagend thematisierten, erlebte ich, wie Täterschutz im gesamten linken Umfeld funktionierte: Wir flogen aus jeglichen linken Kontexten raus, man entzog uns bisherige ökonomische und soziale Unterstützungen und versuchte sogar, einige von uns „abzuwerben“, indem schmeichelhafte Angebote gemacht wurden, sich gegen die von Onkelseite definierten „Verleumdungen“ zu stellen und die Vorwürfe fallenzulassen. Damals war ich eine Jungerwachsene und entsetzt.
Ich wendete mich von der Szene ab, verließ die Stadt und baute mir weitestgehend unabhängig von den patriarchalen Strukturen meiner Herkunftsfamilie ein „neues“ Leben auf.
Das war nicht einfach und verlangte mir sehr viel Härte ab, weil ich mich für die Unabhängigkeit von diesem Patriarchat stattdessen voll mit dem Kapitalismus und seinen Zwängen und strukturellen Gewaltstrukturen einlassen musste. Doch das schien mir allemal besser, als die ekelerregenden Verleugnen patriarchaler Übergriffe auf ihre Töchter weiter auszuhalten, mitzutragen und weiterzugeben.
Das Patriarchat macht weiblich gelesene Menschen zu Objekten und Töchter zum persönlichen Besitz eines Patriarchen, das rezitieren wir und erleben wir in linken Bubbles auch.
Ob du als Tochter beschützt oder benutzt wirst, ist dann tatsächlich nur noch ein schmaler Grat. Beschützte Töchter mögen ihren Papa als liebenswerter empfinden, in ihrer Sozialisation unterliegen sie aber auch der Macht des Patriarchen und haben es womöglich sogar schwerer, dies zu bemerken und sich als Individuum dagegen zu behaupten.
Denn für die nächste Generation bleiben die Folgen gleich: weiblich sozialisierte Menschen kämpfen ihr Leben lang darum, als Menschen wahrgenommen zu werden. (siehe dazu auch: Das männliche Auge – beschützt und benutzt)
Mein Fazit
Meine massive Kritik richtet sich nicht nur an Menschen, die sich für eine Elternschaft entschieden haben, sondern an alle Menschen, die linke Räume, Kontexte und Strukturen mitgestalten:
Denn entweder folgen wir der Logik unserer Erkenntnisse über die Gewalt- und Machtstrukturen von Kapital und Patriarchat, indem wir der gesellschaftlichen Aufgabe der westlichen Fortpflanzung kollektiv entsagen und uns gegenseitig darin unterstützen und vielleicht mit den dadurch freigewordenen Kapazitäten wirkliche Aktionsräume gestalten; oder wir müssen uns mit der (zeitweisen) Versklavung für einige Menschen mitten unter uns beschäftigen und welche Auswirkungen dies langfristig auf alle Menschen – auf die Kleinen, auf die weiblich und männlich sozialisierten Menschen – in linken Bubbles hat.
Die allgemeingesellschaftlichen Gewaltstrukturen über die Verpflichtung an eine familiäre Moral weiblich sozialisierter Menschen ist auch dort nie wirklich wahrgenommen, geschweige denn aufgebrochen worden. Es mag Einzelschicksalen zeitweise gelungen sein, individuelle Alternativen zu schaffen, aber im Selbstverständnis linker Räume wird dieses Thema noch immer vermieden und lieber in den Bereich „Privates“ abgeschoben. Wahrscheinlich, weil es irgendwie nicht so ruhmreich und aufregend wie das Aufdecken von Umweltverbrechen oder alten weißen Nazis ist, obwohl andererseits gerne zitiert wird: das Private ist politisch!
Was ich speziell an linken Eltern kritisiere, ist, dass sie immer noch oder immer wieder eine Moral vor sich hertragen, mit der sie die Realisierung ihrer politischen Ideale auf ihre Kinder, auf die nächste Generation ausweiten, ohne wirklich etwas strukturell an ihren Rollen verändert zu haben. Aber es fühlt sich natürlich so viel besser an und es wäre ja auch schön gewesen, wenn mann dies wenigstens in seiner privaten Kleinfamilie spielen könnte.
Das Private ist so verdammt politisch!
Wie den Leser*innen meiner Texte inzwischen bekannt sein dürfte, habe ich selbst mich über meine Erfahrungen als weiblicher Mensch im mothering nochmal sehr viel stärker radikalisiert, was feministische Themen angeht. Gleichzeitig habe ich aber auch die allgemeingesellschaftliche Wirksamkeit der bürgerlichen Kleinfamilie nochmal anders begriffen und auch die beide Eltern überfordernden Strukturen des neoliberalen Kapitalismus.
Daraus ist mir klargeworden, dass in der linken Szene ein Diskurs über die Macht- und Gewaltstrukturen von Elternrollen immer noch nur am Rande und von Betroffenen als Spezialgebiet geführt wird.
Die Wahrnehmung wird noch immer ausgeblendet, welche Not dies in Müttern und Töchtern langfristig abbildet. Es scheint in der linken Szene noch immer – nach über 40 Jahren ! – kein Bewusstsein dafür zu geben, dass die allgemeingesellschaftlichen patriarchalen Strukturen für Elternschaft in uns allen fortwirken und immer noch auf Kosten der weiblich sozialisierten Menschen gehen.
Und dass dies sich auf alle Beteiligten – sowohl die weiblich, als auch die männlich sozialisierten – einer politischen Szene auswirkt, die in der Theorie ganz viel verstanden haben, aber im Privaten immer wieder zu Opfer* und Täter* werden.
MAMA*, DU MUSST¹ DÜRFEN!
LINKER PAPA*², DU MUSST WAHRNEHMEN