vongnu 26.10.2019

GNU – Literarische Grotesken

Damals wie Heute das zynische Lächeln über die menschliche Irrfahrt. | © Fabian Fox Fotografie

Mehr über diesen Blog

Seine Nachbarn bildeten ganz gut das ab, was als eine Gesellschaft bezeichnet wurde.
Er sprach weder mit ihnen, noch hatte er jemals einen von ihnen gesehen. Das überhaupt andere noch da waren und er nicht alleine sein Dasein fristete, lag an dem Gepolter, das hin und wieder aus den oberen Stockwerken ertönte und der abgestandene Zigarettenqualm, der aus jeder Pore der vergilbten Flurtapete stank. Sein kleines Apartment verließ er nur selten, das Haus nie.

Das Schlimme an der Einsamkeit war allen voran die Tatsache, dass er niemanden zum Reden hatte, wenn ihn dieses seltsame Gefühl wieder einholte, was ab und an der Fall war.
Die reine Konversation, der zwischenmenschliche Dialog war für ihn an sich bedeutungslos. Er wollte sich nur mitteilen, wenn sich die nicht zuzuordnenden Bauchschmerzen einstellten, ein zuverlässiger Vorbote, dass es wieder losging.

Er erinnerte oder besser gesagt, er erinnerte sich nicht, doch früher hatte er oft diesen vagen Gefühlszustand, das da etwas war, das jetzt nicht mehr da war.
Vielleicht schaute irgendeiner doch nach ihm, vielleicht der Hausmeister seiner Herberge.

Die Uhr an seiner Zimmerwand stand still, er hatte vergessen, ob sie jemals funktionierte.
Als es einmal ganz schlimm gewesen sein musste, knallte etwas vor seiner Tür, die Tageszeit konnte er nicht bestimmen, da weder die Uhr schlüssige Informationen gab, noch die vorherrschende Tageszeit, den Rollläden seines Zimmers war es geschuldet, das alles nur in einer diffusen Dämmerung von statten ging.
Aufgeschreckt von dem Scheppern, schlug er die Tür auf, fest davon ausgehend, endlich einen der anderen zu erblicken.

Der Teppichboden war nass, Glasscherben und eine neutrale, transparente Flüssigkeit, womöglich Wasser. Dann war da noch ein Tablett mit einer kleinen Plastikdose, die zwei verschiedene, bunte Pillen beinhaltete.
»Ich wusste es die ganze Zeit, ich bin krank. Aber ich bin nicht krank, ich bin gesund. Eigentlich dürfte ich hier gar nicht sein, an diesen unseligen Ort. Er macht mich krank.« So brabbelte er dahin und suhlte sich etwas im eigenen Selbstmitleid, bis das anfängliche Aufbrausen abebbte und er still wurde. Dann musterte er die Medizin und nahm sie. Er hatte nichts zu verlieren. Dieses Ereignis wiederholte sich noch viele Male und das Gefühl der Entrüstung legte sich immer weiter, hin zu einer Vertrautheit. Mittlerweile war er auf das Scheppern konditioniert und verband mit seiner Medikation, die vermutlich nur Mineralstoffpräparate beinhalteten, Komfort und Annehmlichkeiten. Immer wenn sich dieses Scheppern und die Scherben einstellten, diese verborgene Turnus, in den er keinen Einblick erhielt, konnte dies nichts anderes bedeuten, als die Bestätigung, dass es noch, trotz seiner defekten Wanduhr, die Zeit gab. Und solange Zeit existent ist, ist es auch der Raum. Also konnte gar nicht alles so schlimm sein.
Denn wo solche Dinge gewährleistet sind, besteht noch ein Mindestmaß an Ordnung und Recht und alles weitere später. Auch fühlte er sich nicht so alleine gelassen, auch wenn da niemand sichtbares war, so war doch zumindest einer da, vielleicht dieser ominöse Hausmeister, der sich seiner betreuenden Funktion bewusst und dem seine Ängste vertraut waren. Deswegen schaute er nach ihm und die Medikamente waren für einen wie ihn, der in der belanglosen Konversation nicht erprobt ist, nichts weiter als ein stiller, unaufdringlicher Trost. Wortloses Verständnis und die Fähigkeit Stille auszuhalten, sind das nicht gerade die angenehmsten Attribute einer langjährigen Freundschaft.

Hin und Wieder ging es dennoch los, der große Zorn und die Gewissheit, dass er sich in den Fängen einer unbekannten Krankheit, in einer unwirtlichen Gegend, die nur allein solche Übel hervorbringen konnte, langsam dahinsiechte. Wenn es ihm doch nur möglich wäre ein Stückchen weiter zu gehen, sobald sich dieser Gedanke manifestierte und reelle Formen annahm, da schien er nur noch Mikrometer von allem entfernt zu sein und dann ging der Blick zu Uhr und es war wieder nur Nichts. Er griff in die weite Leere, knirschte mit seinem Kiefer und widmete sich anderen Tätigkeiten des Nichtstuns.

Eines anderen Tages lag er ausgebreitet auf sein Bett, fixierte die Zimmerdecke an und sinnierte über den eigentlichen Sinn dieses Moments. Als darauf wieder Glas zerschellte, wunderte es ihn nicht, er hatte es sich beinahe gedacht. Und in der Erwartung den Absender der Botschaft wieder nicht zu Gesicht zu bekommen, erwiderte er auf den vertrauten Laut ein ruhiges, gefasstes »Herein«.

Als der trauliche, doch unbekannte Gast seiner Einladung nicht folgte, musste er lachen.
»So eine Scheiße. Das kann doch einfach nicht wahr sein.«
Er entschloss zu randalieren und versetzte jedem Gegenstand in seinem Zimmer einen festen Tritt. Er wollte nur lauter sein als die Stille, die dem verhallten Laut der zerbrochenen Flasche folgte. Er bediente die großen Pauken im Orchestergraben und eine Oper muss dröhnen.
Vor der Uhr hielt er kurz inne, er musste zögern, zwar war er nicht sonderlich esoterisch veranlagt, doch die Zeit, das war so eine Sache. Seine Faust schlug durchschlag das Glas bis zum Zifferblatt.

Die Wut war verraucht und eigentlich sah seine Pritsche nur allzu gemütlich aus, doch diesen Punkt kannte er nur zu gut und so weit war es bisher weder ansatzweise gegangen, noch hat er jemals einen Gedanken daran verschwendet. Er hatte nur diese Möglichkeit und musste es nun zu Ende bringen. Schwere Schnaufer. »Yeah. Aha. Ahaaaaa.« Er hielt sich bei Laune und lauschte, gespannt ob es gebührenden Beifall gab. »Nein, der letzte Akt, ließ auf sich warten.« Jetzt waren die anderen an der Reihe, er hörte es röcheln von der Decke, schnauben, kratzen, beben. Gesättigtes Stöhnen. Also da oben waren sie, die anderen und sie trieben es miteinander.

Der Rollladen schellte in die Höhe und seine Augen tränten.
Es gab sie noch die Sonne und sie stand hoch über dem klaren, unbedeckten Himmelsgestirn. Diese Zeit nennt man Mittagsstunde. Er sprang aus dem Fenster und spürte weiche Erde unter seinen Füßen. Dann betrachtete er sein Heim zum ersten mal von außen. Ein riesiger trostloser Kasten, graue Ruine der Zeitlosigkeit. Tausend kleine Fenster. Eng und genormt, ein riesiger Verschlag für Hasen und sie trieben es alle, wie die Karnickel. Das war er also ihr Schlupfwinkel, wo sie alle feststeckten. Ihm wurde nun, wo er selbstbestimmt den Blick von außen gewählt hatte, so manches klar, was vorher im Verborgenen schwamm. Die Natur hatte sich stets als äußerst anpassungsfähig erwiesen und das war nun das große Resultat der jüngsten Entwicklungen. Ein kleines Scharmützel Menschen, ein Bruchteil dessen was einst war, gefangen und in der selbst gewählten Hasenschartenenklave verdammt. Dort trieben sie es, wie die Karnickel. Es muss losgehen von vorne, was verloren ist, muss wieder her. Er für seinen Teil war kein Revolutionär, noch schien das gesamte Vorhaben so sinnlos, also sah er davon ab, seine Erkenntnis mitzuteilen.

Er lief über verlassene Straßen, die Seitenstreifen mit ihrer üppigen Vegetation spendeten Schatten. Manchmal sah er riesige Baumaschinen und stillstehende Teeranlagen. Es war also alles bestens, so wie es sein sollte. Es wurden neue Autobahnen gebaut und heute war Stillstand, natürlich, der Sonnabend ist unantastbar. Als es unter seinen Schritten knirschte und eine große Scherbe in seiner Gummisohle knirschte, hielt er inne, doch er schüttelte den Kopf. Die Straßen waren zu sauber und die Sonne zu schön für den vorgezogenen Lebensabend. »Heute nicht.«

***
Ende eines Berichtes. Epilog der objektiven Betrachtungen zu Forschungszwecken.

»Kolleginnen, Kollegen, das ist mein Abschlussbericht. Es war eine verstörende Erfahrung, doch eine wichtige. Ich befürchte wir sind noch nicht so weit, aber es gibt Hoffnung. Um ein plattes Bild zu verwenden, die Natur ist anpassungsfähig, immer, solange die Basis stimmt.«

»Vielen Dank für ihre Ausführungen. Sehr kreativ umgesetzt. Verarbeiten sie die Realität leichter in Metaphern.«

»Um ehrlich zu sein – Nein. Ich habe keine sonderlichen Sinn für die Künste. Es hat sich so ereignet. Umso mehr Anlass um dort weiterzumachen.«

»Ihre Schrift muss erhalten bleiben, auch über unser Scheitern hinaus.«

»Sie ziehen es in Erwägung?«

»Es gibt verschiedene Ansätze, was letzten Endes klug war und was nicht – wir wissen es heute nicht.«

»Sie haben vom Mars gehört?«

»Die Kolonie mit Schwarmbewusstsein?«

»Ein durchdachter und auch angebrachter Ansatz. Vielleicht haben sie Erfolg, doch dann zu einem hohen Preis. Sie werden das Dokument archivieren. Ich stehe in freundlicher Verbindung mit ihren Forschungsleiter für interplanetarische Kommunikation, CC-59.«

»Ich habe gesehen, es gibt Hoffnung, so viel. Es war er, also wie ich, mein, mein anderes Double. Ich habe es nicht gewagt, mich zu offenbaren.«

»Ja es gibt uns doppelt, zumindest was das genetische Material betrifft. Die Menschen, so wie sie angelegt sind und waren, neue Bedingungen zu ermöglichen und zu sehen welchen Einfluss, die Erkenntnis und eine bessere Umwelt hat, das sind wir. Wir können unsere Herkunft nicht leugnen, doch wir haben es geschafft unser geistiges Potenzial zu optimieren. Wir entwickeln uns weiter, doch die verbleibende Kolonie, der Rest auf diesem zerstörten, unheimlichen Sonnentrabaten geht imer weiter zurück. Ich befürchte wir sind zu langsam und sie zu schnell. Es liegt an ihrem Gedächtnis. Die allgemeine Amnesie, die der kompletten Zerstörung der einstigen Hochkulturen nachweht. Die gesammelte Essenz der Erinnerungen, sie ist der Schlüssel zur Zivilisation und die Entschlusskraft der Zukunft.«

»Wir sind doch dem Ursprung am ähnlichsten und betreiben als einzigste diese enorme Feldarbeit, ich habe es gesehen. Die Individualität ist keine Farce, sie zeichnet uns aus. Der genormte Insektenstamm ist vorerst überlebensfähiger, doch wir mit entsprechendem Bewusstsein, das ist…«

»In weiter Ferne. Behaglichkeit und Ruhe. Wir werden es sehen. Sie haben ihre Matura absolviert. Eine Erfahrung die jeder hier macht, der Mensch lernt durch Erfahrungen. Sie sind der Baustein. Wir bauen darauf auf, doch akzeptieren sie, wir sind noch nicht soweit. Wenn sie auf ihr Double treffen, zum Glück sind sie ihrem inneren Impuls gefolgt und haben dies nicht getan, hätte das fatale Folgen. Täten wir dieses in der Gesamtheit, wäre es eine Geburt, so schlussfolgern wir. Positiv vereinigt sich mit negativ, eine riesige Verschmelzung, wie das Spermium und die Eizelle, der große Verschlinger frisst die Materie und die Aufhebung der Gegensätze, die eine Geburt der Einheit zur Folge hat. Es kann vieles davon schief gehen. Vor allem muss es dort erstmal weitergehen. Die Zeit läuft gegen uns.«

Das Sitzung wird ordentlich beendet und C. S. schlendert hinaus immer noch überwältigt von der überwältigten Schönheit des Gesehenen, das er zurücklassen musste.
***

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/gnu/die-hasenschartenenklave/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert