vongnu 20.09.2018

GNU – Literarische Grotesken

Damals wie Heute das zynische Lächeln über die menschliche Irrfahrt. | © Fabian Fox Fotografie

Mehr über diesen Blog

Ich war spät dran, die Vernissage sollte in einer guten halben Stunde beginnen, obgleich ich mir im Klaren war, dass das Schwadronieren der ortsansässigen Politiker durchaus ermüdend sein musste. Nichtsdestotrotz, es war ein großer Tag für mich, ich hatte die Ehre einige kritische Beiträge aus meinen Werken zum Besten zu geben, vor gesammelter Belegschaft aus Studenten, Wirtschaftsoligarchen, Staatsmannen und Sonstigen, die etwas auf sich hielten.
Rasch stülpte ich mein braunes Sakko über, das mir der ehemalige beste Freund meines Onkels vermacht hatte – er ist etwas rund um die Leibesmitte geworden. Noch eine Prise Schnupftabak für den klaren Kopf, ein Blick in den Spiegel, ein Griff zu meinem großväterlichen Schildplattkamm. Die anschließende Autofahrt verlief ohne wesentliche Komplikationen, ich kann mich lediglich der Tatsache entsinnen, dass harmonischer Jazz aus dem Radio plätscherte.

»Sehr erfreut« – ich schüttelte der Empfangsdame im Vorübergehen hastig die Hand und drängte mich durch eine Traube Menschen. Ich betrat den feierlich, wenn auch etwas kitschig geschmückten Festsaal und ließ meinen Blick über die Leute schweifen. In unmittelbarer Nähe stand ein entfernter Bekannter, ich ließ mich nicht lumpen, lief zu ihm und schüttelte ihm die Hände. Eine belanglose Konversation über die kalte Jahreszeit und die aktuelle Influenzawelle, dann widmete er sich seinen Kompanien, die ihre Unterhaltung fortsetzten und mich ignorierten. Ich stand daneben und kam nicht umhin zu konstatierten, dass hier ein Jeder den Anderen kannte. Ich war allein und verabscheute derartige Situationen, sie führten mir unweigerlich vor Augen wie unbedeutend und unbeliebt ich war. Naja, wohl eher hatte ich das Pech, das keiner meiner guten Freunde anwesend war. Ein Barmann mit einem Tablett voll Weingläser stolzierte vorbei, ich griff eines, ließ es kreisen und nippte vorsichtig am Bacchus. Nach kurzem Zögern kippte ich das Glas, um mir etwas Courage vor meinem bevorstehenden Elaborat anzutrinken.
»Auf Wiedersehen, bis später« richtete ich meinem Bekannten und seinen Kumpanen entgegen. Sie reagierten nicht einmal. Unschlüssig schob ich mich beiseite und selektierte einen Platz hinter einem Vorhangschal, der mich gut verborg. Ein tiefes Durchatmen, dann musterte ich die Menge. Mein Blick fiel auf die Empfangsdame von vorhin. Dieses Mal studierte ich sie gründlich. Sie war etwas jünger als ich und muss in ihrer Jugend gewiss eine Schönheit gewesen sein. Ihre dunklen Augen, ihr mattes blondes Haar das schlampig, wie in Eile, hochgesteckt war und die einzelnen Strähnen, die ihr permanent ins Gesicht fielen, um darauf sofort wieder weggeblasen zu werden. Tiefe Augenringe kündeten von einer schlaflosen Nacht. Ich schweifte ab, in einem Tagtraum, musste mir vorstellen, wie die Dame auf meinem Bett saß, smoother Jazz dahinplätscherte und ich sie entkleidete.
Unsere Blicke kreuzten sich, ein verschmitztes Lächeln umspielte ihre Lippen. Ich feixte, doch konnte ihrem Blick nicht lange widerstehen. Schüchtern wendete ich mich ab und musterte meine handgearbeiteten Budapester, etwas Schlick klebte auf der Schuhspitze. Dank Fortuna begann augenblicklich der Vortrag, die Studenten fanden sich ein und der erste Parlamentarier faselte das Übliche. Er lobte die Regionalität, die Bildung, die heute kein Privileg mehr sei und das Engagement der Ehrenamtlichen. Meine Zeit war gekommen, bedachten Schrittes, doch mit erhobenen Hauptes erklomm ich die Stufen zum Podium.

Ich versteckte mich hinter der Maske des Charisma, die ich mir vom ehrenwerten Bacchus geliehen habe. Dreimal schenkte er mir noch nach, während ich mit viel Sitzfleisch die ersten Programmpunkte abarbeitete. Ich grinste, während der Redner mich als den zeitgenössischen sozialkritischen, viel zu lange latent gebliebenen Lyriker vorstellte, der in seinem Oeuvre den Menschen reflektiert.
»Dankeschön«. Die Blicke der Studenten richteten sich erwartungsvoll nach oben, in der Ferne glaubte ich zudem die Empfangsdame zu erkennen.

»Wo ist die Jugend Europas? Wo ist sie? Deutsche Waffenexporte in den Nahen Osten, schüren den Krieg an, die Konjunktur steht gut, alles ist heiß auf den Krieg.
Und wenn ihr sterbt was soll es schon, unsere Führer werden fortwähren, leben mit ihren großen Visionen. Große Pläne erfordern große Opfer.«

Kaum hatte ich den Satz beendet, begannen die ersten zu Applaudieren. Der Vertreter eines großen Industriekonzerns trat neben mich auf die Bühne und schüttelte mir heftig die Hände.
»Großartig, ihre Courage, auch die unangenehmen Dinge anzusprechen, die Zusammenhänge, die sie begreifen. Sie sind ein Vorbild für die junge Generation, die künftig die Geschicke unserer stolzen Nation leitet.«  Einige Burschen und Damen aus dem studentischen Zirkel gähnten.
»Um ehrlich zu sein, habe ich noch nicht geendet«, erwiderte ich.
»Alles wurde gesagt. Mehr gibt es dem großartigen Appell zum Widerstand, nicht mehr anzufügen«, raunte er.
»Widerstand gegen wen?«
»Die, die das verantworten«.
Sprachlos trottete ich von der Bühne, wohlwollender Applaus. Einige tätschelten meinen Rücken. Apathisch schleppte ich mich zur Toilette. Am Pissoir neben mir stand mein Bekannter und gratulierte mir.

»Dankeschön«. Ich trat ins Freie, genehmigte mir eine Prise Schnupftabak und begriff, dass der Mensch nicht für die Unendlichkeit gemacht ist. Die Unendlichkeit ist oft zum Greifen nah, so nah, als ich das Podium betrat – die Stille, der Augenblick für eine Rede, die Blicke auf mir, die Aufmerksamkeit und dann das. Das Beste kommt zum Schluss und das habe ich mir für den Schluss aufgehoben. Die Menschheit gibt sich stets mit Halbgarem zufrieden, mit Binsenweisheiten. Inhalte sind nicht von größerem Interesse. Wo Worte scheitern, da braucht es Taten. Die Opfer verschlafen ihre Hinrichtung. Und ich lasse die letzte Stufe zur Unendlichkeit aus, der Faulheit wegen oder der Feigheit. Noch eine Prise. Amen.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/gnu/die-lesung-des-charlie-manello/

aktuell auf taz.de

kommentare

    • Er ist der latente Lyriker, dystopische Dramatiker und zynische Zeitgeist, der in seinen Werken, den menschlichen Irrsinn reflektiert. In Zukunft werde ich noch weitere Beiträge meines Freundes C. M. auf dieser Seite veröffentlichen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert