vongnu 19.11.2018

GNU – Literarische Grotesken

Damals wie Heute das zynische Lächeln über die menschliche Irrfahrt. | © Fabian Fox Fotografie

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Mushroom-Man ist ein Gedanke. Mushroom-Man ist der Versuch, einen wirksameren Superhelden für das 21. Jahrhundert zu erschaffen, als es die Glitzerfabriken zu tun vermögen.
 Mushroom-Man hieß nicht immer so. Wie in jeder spannenden Geschichte war er einst Mensch, bevor er seiner Berufung für immer Folge leisten sollte.

Mushroom-Man auf. Frontalbeleuchtung dimmen. Licht von links. Musik an.
Berlin Lovers. Still Corners.

We can´t see what´s real. We don´t know the time.

Feixendes Grinsen. Licht wird von einer schwarzen Sonnenbrille reflektiert. Breiteres feixendes Grinsen. Tranceartige, melodische Stimme.

»Hallo.«

Das Wort hallt durch den dunklen Raum. Ein Mikrofon aus der Schwärze.

»Hallo.«

Mushroom-Man spielt mit dem Mikrofon, kokettiert wie eine Katze mit der Maus. Feixendes Lächeln, aus jedem Lächeln kristallisieren sich Worte, ausgewählt wie mit Bedacht, fallen wie kristallene Tropfsteine in den Raum und füllen diesen mit Leben.

»Hallo.«

Jedes Wort eine Perle aus Alaun.

»Hallo. Ich bin Mushroom-Man. Mir war es wichtig, einen authentischen Superhelden für das 21. Jahrhundert darzustellen, nichts weiter. Das was unsere Zeit heute verdient. Ich wollte auf allen nötigen Schnick-Schnack verzichten. Eine perverse Welt verdient etwas perverses. Das ist alles.«

Klicken. Kichern. Der Sound hebt an. Mushroom-Mans Schatten wird von der Schwärze des Zimmers verschluckt.

We only want to feel the light.

Mushroom-Man erhielt seine Fähigkeiten durch ein blasphemisches Evolutionsstadium, als dessen Resultat sich nun der Korpus in Vollendung in seinem jetzigen Endstadium entpuppt. Eingetreten ist die Verwandlung, durch den Befall eines antibiotischen Mikropilzes der nach und nach, wie ein Tumor, die gesunden Zellen seines Körpers befallen hat.



Feixendes Grinsen. Mushroom-Man entfernt die schwarze Sonnenbrille von seinem Haupt.

Sein Gesicht spricht Bände, gähnende, schwarze Leer. Augenhöhlen mit einem roten Punkt, einem leuchtenden fluoreszierenden Licht am Ende.

»Kein Sciene-Fiction-Feeling. Keine romantischen Vorstellungen von Gerechtigkeit. Keine radioaktiven Spinnen.«

Eine brüchige, grünliche, organisch-anmutende Haut zieht sich wie Pergament über die Knöchel und Gelenke.

»Das Bild einer Zeit. Mich plagte die alljährliche Erkältungswelle und der Doktor Onkel verschrieb mir aufgrund meines lapidaren Schnupfens ein potentes Antibiotikum. Das war die Schwelle und ich beschloss meinem Schicksal folge zu leisten und nahm das Medikament ein. Das war die Geburt meines jetztigen Organismuses. Also die Gesellschaft machte mich zu dem, was ich heute bin. Ich bin ihr dankbar. Der Industrie auch. Jetzt bin ich ein Spiegelbild. Ich kann sie zu dem machen, was sie aus mir gemacht haben. Das würde ich sagen, ist meine Funktion, doch.«

Feixendes Lächeln. Ein Berg voller Alaune.

We came from far.

»Das ist Chromalaun, kein Obsidian, ich muss sie enttäuschen.«

Ein stochastisches Wunderwerk begünstigte die Entwicklung und das Fortschreiten des Mikropilzes, der sich in einer festen Symbiose mit den menschlichen Stammzellen, als der biologische Neologismus Mushroom-Man präsentiert.

»Zufall, kein Zufall. Schicksal. Am Anfang derartiger Prozesse, ist es nicht einfach, seine Verwandlungen, Veränderungen anzunehmen, wirklich. Ich bäumte mich dagegen. Die Bürde des Schicksals lastet zuweilen sehr auf einem. Erst als ich annahm, annehmen konnte, war es mir möglich der Mushroom-Man zu werden, der nun vor ihnen, vor einem Pressevertreter stehen kann. Sie sehen das Produkt, nicht den Prozess.«

Feixendes Grinsen. Die Sonnenbrille kreist zwischen den Händen. Die Lichtintensität erhöht sich.

»Was ich damit bezwecke? Ich zeige ihnen nur unsere Gesellschaft. Wir brauchen keine Helden. Wir sind alles Antihelden. Komm schon, wir sind im 21. Jahrhundert, horten das Wissen und die Weisheit von Generationen, aber? Ich wusste, dass wir uns verstehen. Da ist es nur billig, dass sich die Inkarnation eines Antihelden zu ihnen gesellt. Es ist nicht immer einfach, dieser schweren Funktion gerecht zu werden. Ich stehe jeden Tag auf, blicke mich an. Ich versuche mein Bestes.«

Licht rechts an. Fluoreszierende Augen.

Zuerst machten sich die Veränderungen an der Haut bemerkbar, die ihre komplette Struktur hin zu einer brüchigen, blassgrünen, laubähnlichen Matte wandelte.

»Anfangs hatte ich natürlich Panik. Ich meine, fühlen sie ruhig hin. Die Antimykotika versagten schließlich. Doch meine Augen, heftige Scheiße, ist das nicht – wow. Rote Punkte, die tiefer liegen, als die Wurzeln im Erdreich. Wussten sie eigentlich, dass alle Pilze miteinander verbunden sind. Wir sind ein eigener Organismus, weder Tier- noch Pflanzenwelt. Eine eigene beschissene Gattung.«

Die Musik wird lauter.

We follow the sound.

Als Merkmal von Mushroom-Man fasst man in der breiten Öffentlichkeit stets auf, dass er seine tiefliegenden Brunnenschächte mit jeweils einem blutroten Rubin am Grund niemals offenbart und stets eine schlichte schwarze Clubmaster-Sonnenbrille auf seinem knollenartigen Nasenwurzelflügel trägt.

»Sonnenlicht. Ich bitte sie. Ich weiß, man sagt den Pilzen nach, dass sie zur Nacht gedeihen. Aber schauen sie sich diese verdammte Brille an, ist die nicht stylisch? Ich fühle mich, wie in einem verdammten 80er Jahre Road-B-Movie, wenn ich mit meinem weinfarbenen Porsche 914 durch die Straßen fahre und für Recht und Ordnung sorge.«

Er reicht seine Brille in die Dunkelheit. Das Frontallicht wird gedimmt. Spitzlicht fährt auf. Schatten nach vorne.

»Keine radioaktiven Spinnen? Ich bitte sie, dass sind Kindergeschichten. Ich bin real. Natürlich ging es nicht so ganz ohne Radioaktivität. Meine Oma, Gott hab sie selig, hütete einen wertvollen Schatz. Haben sie jemals von Uranglas gehört, dieses grünlich-schimmernde Glas, das im Dunkeln leuchtet, so wie die Gummispinnen aus dem Kaugummiautomaten. Was soll ich sagen, Wasser ist der Quell des Lebens. Das Glas half dem Pilz in meinem Inneren.«

Wieder dieses feixende Lächeln.

We fell into a hole of love.

»Im Ernst, was wollen sie mit diesen Alaunen? Ich mag den Song, er erinnert mich an den Sommer.«

Bei Mushroom-Man bleibt die ungeklärte Frage stehen, welche Machenschaften er verfolgt und was er eigentlich im Sinn hat.

»Funghi-Man, Fungizid-Man, Antibiotika-Mensch? Nein man, dass ist mir zu pathetisch. Antibiotika-Mensch im Ernst? M&M, wie diese bunten Schokolinsen mit Erdnusskern, das prägt sich ein. Ich stehe auf so eine Scheiße. Mushroom-Man.
 Das ist keine Melone, das ist mein Hut, mein richtiger Hut, also mein organischer, phylogenetischer Hut. Bald ist die Zeit reif. Wussten sie, dass Pilze sich durch Sporen vermehren. Bald ist die Frucht auf meiner Birne soweit und ich verschenke Sporen. Fröhliche Bescherung, man. Dann gebe ich der Menschheit das zurück, was sie verdient. Sie hat mich zu dem gemacht, der ich bin, ich glaube es ist wohl an der Zeit Danke zu sagen dafür. Dankeschön da draußen, hört ihr mich, Dankeschön.«

Feixendes Grinsen. Brille kommt aus der Dunkelheit, wird ins Licht gerückt. Die Brille verdeckt erneut die glimmenden Schächte.

»Verdammt, ist die schick oder ist die schick? Stay sober Alter.«

Sound Ende. Mushroom-Man ab, verschmilzt mit dem Dunkel. Sämtliche Lichter, Links, Rechts, Frontal, Spitz auf Höchstleistung. Der Boden oberflächlich bedeckt mit Alaunen. Motorensound eines Porsches, Modell 1914.

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kommentare

  • Künstliche Inteligenz, das Myzel spinnt seine ersten Fäden in unserer Gesellschaft. Mit dem Auge nicht erkennbar breiten sich die einzelnen Hyphen aus, schaltet rechtzeitig die Dunkelbeleuchtung ein bevor es zu spät ist.
    Danke gnu für die Einstellung der Sehschärfe in diesem Prosa. Es geht auch ohne Sonnenbrille!

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