vonPeter Strack 06.07.2024

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Carlos Alberto Urquiza Taury kommt aus der Gemeinde Santa Rosa de la Mina im Munizip von San Ramón in der bolivianischen Tieflandregion von Santa Cruz. Nomen est Omen: Der Ort ist wegen des Goldabbaus bekannt. Der wird von der ansässigen indigenen Bevölkerung im handwerklichen Rahmen betrieben. Aber auch die Staatsfirma COMIBOL und ausländische Investoren haben ein Auge auf die Reserven.

Generalkazike Carlos Urquiza, Foto: Erwin Melgar

Urquiza wurde im April letzten Jahres zum Großkazike der OICH, des Dachverbandes der Chiquitano, gewählt. Die Basisorganisation des 46-Jährigen, die Central San Ramón, ist die jüngste Unterorganisation der OICH. Sie wurde erst 2017 gegründet, um die Rechte der angestammten Bevölkerung zu verteidigen. Die politischen Rahmenbedingungen dafür sind schwierig, wie Urquiza im Interview mit Latinorama berichtet, aber immer wieder gibt es auch Erfolge.

Wie sind sie in das Amt gekommen?

Früher war ich Mitglied des Direktoriums. Ziemlich schnell habe ich mir das Vertrauen erworben. Jetzt stehe ich der OICH vor. Vor meiner Wahl war die OICH gespalten. Wir haben dann aber eine gemeinsame Versammlung organisieren können und ein einziges Direktorium gewählt. Am 20. Januar haben wir dann auch versucht, auf einer Generalversammlung eine neue Abgeordnete oder einen neuen Abgeordneten für das Regionalparlament zu wählen. Aber die bisherige Delegierte hat wohl dafür gesorgt, dass sich wieder ein paralleles Direktorium gebildet hat und die Wahlbehörde klären musste, wer die legitime Vertretung ist.

Inzwischen hat die Wahlbehörde entschieden, dass dies die von ihnen geführte OICH ist. Warum spielt die Wahlbehörde eine so große Rolle?

Laut Verfassung haben die indigenen Völker Autonomie. Die Wahlbehörde hat nur zu prüfen, ob die Entscheidungen gemäß unserer eigenen Statuten getroffen wurden, um dann die gewählten Abgeordneten zu akkreditieren. (Siehe auch dies frühere Interview „Zwischen ethnischer Loyalität und parteipolitischer Instrumentalisierung“)

Ein indigener Gerichtshof für die Chiquitano

Versammlung der OICH im Juni 2024 mit Neuwahl der Abgeordneten, Foto: Erwin Melgar

So konnte Mitte Juni die Wahlversammlung stattfinden und eine neue Abgeordnete gewählt werden. Was sind die nächsten Schritte?

Derzeit versuchen wir, auf regionaler Ebene ein indigenes Gericht der Chiquitano zu etablieren. Laut Verfassung ist die indigene Gesetzgebung der allgemeinen Justiz gleichgestellt. Der Unterschied ist, das wir schnell entscheiden, die Kosten niedrig sind und die Rechtsprechung dort stattfindet, wo die Vergehen begangen wurden (vgl. auch das Interview mit der Kazikin Gabriela Rodríguez).

Ein großes Problem ist für uns die Agrarreformbehörde. Im vergangenen Jahr wurden gegen acht Sprecherinnen und Sprecher unserer Organisation ein Haftbefehl ausgestellt. Auch da haben wir vor Ort einen Gerichtstermin durchgeführt, dessen Entscheidungen dann auch anerkannt wurden. Das sind Präzedenzfälle, auf denen wir aufbauen. Denn derzeit sind viele Chiquitano im Gefängnis, ohne dass die Polizei die Anschuldigungen überhaupt geprüft hätte. Deshalb wollen wir uns das mit Hilfe der indigenen Justiz genau ansehen.

Auch dafür werden Mittel benötigt…

die uns derzeit fehlen, auch wenn die Rechte auf dem Papier verbrieft sind. Denn die Regierung hat kein Interesse an der indigenen Justiz. Und alle Mittel, die unsere Organisationen früher bekommen haben, werden von der Regierung kanalisiert. Sie dienen vor allem dazu, Parallelvertretungen zu unseren Organisationen aufzubauen. Je weniger einig wir sind, desto besser für sie. Und der regierungsnahe Dachverband der indigenen Völker des Tieflands (CIDOB) unter Leitung von Justo Molina spielt das Spiel mit und trägt zur Spaltung bei.

Die der OICH angehörenden indigenen Gemeinden versuchen -wie hier bei einer Versammlung in San José – ihre Einheit und Autonomie zu bewahren, Foto: Erwin Melgar

Die Regierung fördert die Spaltung und Parallelorganisationen

Die regierungsnahe CIDOB entstand 2012 unter Schutz der Polizei mit einer Besetzung der Büros der autonomen CIDOB, die sich gegen den von der Regierung geplanten Bau einer Überlandstraße durch das Indigene und Naturschutzgebiet Isiboro Sécure (TIPNIS) gewehrt hatte. Wie sind derzeit die Machtverhältnisse in der OICH? Wie viele Menschen oder Gemeinden gehören der eigentlichen OICH an, wie viele der regierungsnahen Parallelorganisation?

Im unserem Fall, der OICH, würde ich nur bei vier der 13 Unterzentralen von Parallelorganisationen in den Gemeinden reden. Ansonsten sind es einzelne Personen, die sich selbst ernennen, aber keine soziale Basis haben. Es geht da vor allem um den Einfluss von Parteien und Personen, die vergessen haben, wen sie eigentlich vertreten sollten. Sie haben auch vergessen, dass die indigenen Organisationen unabhängig von den Parteien sein sollten.

Wohnhaus in Santa Rosa de la Mina, Foto: Erwin Melgar

Was sind derzeit die wichtigsten Anliegen?

Auf regionaler Ebene sollten die indigenen Völker 10 Prozent der staatlichen Fördermittel erhalten. Das sind derzeit etwa sieben größere Projekte. Die Gelder können wir aber seit über einem Jahr nicht abrufen. Denn wir hatten bis vor kurzem ja eine Parlamentsabgeordnete, die uns gegenüber der Regionalregierung vertreten sollte, aber nicht auf unserer Seite stand. Wir wollten sie schon länger austauschen, aber die Regionalregierung hat hinter ihr gestanden.

Wer nicht die Farben der Regierungspartei trägt, bekommt keine Gelder

Und das, obwohl sie dem MAS angehört hat. Die Regionalregierung wird dagegen von der rechten Partei CREEMOS gestellt…

Die frühere Abgeordnete ist eine der Personen, die sich den jeweiligen Verhältnissen anpassen. Je nachdem, was ihnen am meisten nutzt. Währenddessen ich in meiner Funktion auch mit der Regionalregierung zusammengearbeitet habe, aber von der nationalen Regierung als „Pitita“ (Protestierende gegen die Unregelmäßigkeiten bei der verfassungswidrigen  Wiederwahl von Evo Morales im Jahr 2019) bezeichnet werde und keinen Zugang zu den Ministerien bekomme. Die Sprecher der regierungsnahen CIDOB von Justo Molina haben dort ein Veto gegen mich eingelegt. Ich sei ein Rechter. Das ist aber kein Problem für mich persönlich, sondern für die Chiquitano, die weder von der Regionalregierung noch von den nationalen Ministerien Projekte bewilligt bekommen. Ich habe keinen Zugang zu den staatlichen Stellen, weil ich nicht der Regierungspartei angehöre. Dabei habe ich als Generalkazike der Chiquitano das Mandat, mit allen drei Ebenen des Staates zu arbeiten: Mit der nationalen Regierung, der Regionalregierung und den Lokalregierungen. Ich bin jetzt ein Jahr in dem Amt, in das ich für vier Jahre gewählt wurde. Und immer noch gibt es keine Gelder für unsere Organisation. Hier steht Parteipolitik vor den institutionellen Regeln. Wer nicht blau angemalt ist (die Farbe de MAS ist blau-weiss-schwarz), bekommt nichts. Das ist ein weiterer Grund, warum wir das indigene Justiztribunal der Chiquitano implementieren wollen, um auf diesem Weg unsere Rechte einzufordern. Allerdings sind auch hier unsere Möglichkeiten begrenzt, die operativen Kosten aufzubringen.

Siedler majorisieren die angestammte Bevölkerung

Nur ein geringer Anteil der Landbesetzungen wurde von der Regierung rückgängig gemacht. Hier In San Miguel wurde die angestammte Bevölkerung selbst aktiv, Foto: Erwin Melgar

Wenn die Chiquitano etwas von der Regierung geschickt bekommen haben, sind es Siedler aus dem Hochland. Laut Angaben der Agrarreformbehörde hat es im vergangenen Jahr insgesamt 237 illegale Landbesetzungen in Bolivien gegeben, die meisten davon in Santa Cruz. Nur 36 davon wurden rückgängig gemacht. Häufig sind indigene Territorien davon betroffen.

Das ist in der ganzen Chiquitanía ein Problem. Wir müssen uns aber auch an die eigene Nase fassen. Denn manche Indigena-Vertreter öffnen diesen Interkulturellen die Türen. Andere nehmen sich mit Gewalt das Land. Das Munizip San Ramón wurde aus vier indigenen Chiquitano-Gemeinden gegründet. Seit dem Regierungsantritt der MAS sind inzwischen 17 neue Siedlungen dazu gekommen. Die stellen jetzt den Bürgermeister. Und das Geld der Zentralregierung, das uns gemäß der Zahl der Bewohner*innen zusteht, wird jetzt auch für sie ausgegeben. Alles geht in die neuen Siedlungen. Und dann werden auch noch Bergbaukonzessionen in unseren Territorien vergeben.

Goldbergbau, Edelsteine seltene Erden

Die Bergbau-Unternehmen sind NICHT „Willkommen in Santa Rosa de la Mina“, Foto: Erwin Melgar

In San Ramón konnten sie das staatliche Bergbauunternehmen COMIBOL stoppen.

Die Bergwerkskonzessionen auf indigenem Territorium ohne vorherige Befragung sind ein großes Problem. Inzwischen gibt es vielerorts in der Chiquitanía Bergbau: Gold, Edelsteingewinnung, seltene Erden… San Ramón wurde allerdings erst wegen dem Goldbergbau gegründet. Meine Gemeinde, Santa Rosa de la Mina ist noch älter als San Ramón. 2000 Menschen lebten dort bereits. Wir gehörten zum Munizip San Javier. Aber San Ramón ist wegen der Zuwanderung aus aller Welt gewachsen und dann 2002 zum Munizip geworden. Es lebt vor allem vom Bergbau. Landwirtschaft gibt es kaum. Die Chiquitano haben in San Ramón nur mit einfachem Gerät Bergbau betrieben, mit Spitzhacke, Schaufel, Stemmeisen und den Schüsseln zum Auswaschen des Goldes. Dann brachten Chinesen und Brasilianer Schaufellader und anderes schweres Gerät. 2010 hat die bolivianische Regierung dann militärisch in San Ramón interveniert. Niemand durfte mehr Bergbau betreiben. Und die Bevölkerung hatte keine Arbeit mehr. Aber das Staatsunternehmen COMIBOL interessierte sich auch für ein Goldvorkommen 20 Kilometer von unserer Gemeinde entfernt, das unsere Leute schon seit langem ausgebeutet hatten. Sie haben die Sprecher unserer Gemeinde dann wegen illegaler Bereicherung angezeigt. Das hat die Bevölkerung auf die Barrikaden gebracht. Es war auch der Grund, warum wir in San Ramón 2017 unsere Organisation gegründet haben. Die OICH hat uns dabei geholfen. So haben wir erreicht, dass die Gerichte unsere Kompetenz anerkannt haben und die staatliche Bergwerksgesellschaft COMIBOL sich unserem Urteil fügen musste.

Wandgemälde aus Anlass des XI. Amazonischen Sozialforums, Foto: Andrés Dehmel/WFD

Bündnisse sind nötig

Letzten Monat hat in Rurrenabaque und San Buenaventura das elfte Amazonische Sozialforum stattgefunden. Die Problematik des des illegalen Bergbaus war ein wichtiges Thema der Aktivist*innen aus neun Ländern (Hier die Abschlusserklärung: Mandato XI FOSPA  sowie dies englischsprachige bzw. untertitelte Video). Hat sich die OICH daran beteiligt?

Wir nicht, weil wir keine Finanzierung dafür bekommen haben. Aber eine Gruppe von Frauen aus unseren Gemeinden sind dort gewesen. Auch so versuchen wir jedoch Allianzen zu schmieden, um allen unseren Problemen begegnen zu können. Das fängt bei der Fortbildung der indigenen Autoritäten an, geht über die Sicherung der Landrechte, das Problem der Waldbrände, die Trockenheit, die Schulbildung bis hin zur Erschließung von Wegen und allen anderen Herausforderungen.

Gehöft in Santa Rosa de la Mina, Foto: Erwin Melgar

Selbst mit Bündnispartnern klingt das nach einer umfassenden Agenda. Ist das zu leisten?

Derzeit arbeiten von den bolivianischen Trägern nur die Nichtregierungsorganisationen „PROCESO Servicios Educativos“ und das Zentrum zur Forschung und Förderung der Campesino-Bevölkerung „CIPCA“ mit uns zusammen. Die Fortbildung der Autoritäten und die operativen Mittel, um als Organisation arbeiten zu können, haben Priorität. Denn wer die verfassungsmäßigen Rechte nicht kennt, kann sie auch nicht verteidigen und macht sich von den Parteien abhängig. ‚Wenn du unserer Partei beitrittst, wirst du dies oder jenes bekommen‘, heißt es. Das sollte aber nicht so sein. Mit der Neuwahl unserer Repräsentantin im Regionalparlament sollte der Knoten diesbezüglich jetzt hoffentlich geplatzt sein.

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