Pedro Lijerón lebt die meiste Zeit in Buenos Aires. In Bolivien und international war er für den Vertrieb des neuesten Spielfilms des bolivianischen Regisseurs Jorge Sanjinés „Die Alten Soldaten“ zuständig und auch bei der Produktion beteiligt. Derzeit kümmert er sich um die Digitalisierung der älteren Filme der Produktionsgruppe Ukamau von Jorge Sanjinés. Am Ende der Wochen, in dem „Die Alten Soldaten“ in den bolivianischen Kinos gezeigt wurde, befragten wir ihn zur Rezeption, aber auch, warum der Film für ein internationales Publikum interessant sein könnte. Denn jetzt kann der Spielfilm gegen eine geringe Gebühr auch online gesehen werden.
latin@rama: Wie wurde „Die Alten Soldaten“ in Bolivien aufgenommen?
Pedro Lijerón: Es gab von Anfang an ein großes Publikumsinteresse. Der erste Trailer hat vor allem neugierig gemacht für den Blick auf den Chaco-Krieg (gegen Paraguay in den 1930er Jahren). Mit dem zweiten Trailer rückte dann die Geschichte der beiden Protagonisten in den Mittelpunkt. Das war ein guter Anreiz, damit die Leute dann auch ins Kino gehen.
Großes Interesse beim bolivianischen Kinopublikum
Wie viele Zuschauer*innen haben den Film bislang gesehen?
Wir haben in den ersten sechs Wochen etwa Zehntausend Zuschauerinnen und Zuschauer erreicht. Nach „Insurgentes“ (Die Aufständischen, 2012) war es der Film von Sanjinés mit dem größten Publikum. Er wurde in Kinos von La Paz, Cochabamba, Santa Cruz, Sucre, Tarija und während der Woche des bolivianischen Films kurz auch in Rurrenabaque (ein Tourismuszentrum im Amazonasgebiet) gezeigt.
Es waren etwa 18 Kinos, was in Bolivien nicht einfach zu erreichen ist. In der zweiten Woche kamen dann noch Oruro und Potosí hinzu. Meine Erwartung war, so viel Publikum zu erreichen wie mit dem Film über die Protagonistin des Unabhängigkeitskrieges von Spanien „Juana Azurduy“ (2016). Diese Erwartung wurde nicht nur an der Zahl der verkauften Tickets, sondern auch mit der Anzahl der Wochen übertroffen, in denen „Die Alten Soldaten“ in den Kinos gezeigt wurde. Normal geben sie uns eine Woche. Und diesmal haben wir es in La Paz, wo die meisten Menschen ins Kino gehen, geschafft, dass der Film sechs Wochen lang gelaufen ist. In der bolivianischen Cinemathek, unserem Hauptverbündeten, lief der Film auch noch länger.
Konnten die Produktionskosten wieder eingespielt werden?
Für eine so aufwendige Produktion reichen die Verkaufszahlen nicht aus. Aber auch bei anderen Filmen aus dem Ausland ist der Besuch rückläufig. Wir mussten in der ersten Woche mit „DUNE II“ konkurrieren. Der Unterschied ist, dass wir pro Kino nur ein bis zwei Säle hatten. Solche Filme werden gleichzeitig in zehn Sälen gezeigt. Erst fürchtete ich, wir würden da untergehen. Aber die Besucherzahlen waren gleich. Wir haben also immer noch Schulden, aber unser Ziel erreicht. Ab jetzt gibt es eine neue Dynamik mit Filmvorführungen in Universitäten und Schulen und wir wollen den Film auch online für ein zahlendes Publikum anbieten.
Ein Ende zum Nachdenken
Welche Reaktionen gab es auf den Film?
Mir ist aufgefallen, dass es keine Kritik an technischen oder geschichtlichen Aspekten gab. In Bolivien wurde „Die Alten Soldaten“ das erste Mal auf dem Filmfestival von Santa Cruz vor Sekundarschüler*innen und Erwachsenen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren gezeigt. Der Eintritt war frei. Das Publikum war sehr konzentriert und vor allem von dem Ende beeindruckt.
Es ist ein Art Happy End der Begegnung…
Darüber gab es Diskussionen. Vielen gefällt es. Andere sind überrascht. Einer kleinen Gruppe gefällt das Ende nicht, aber sie verstehen die Botschaft, die Jorge Sanjines uns mit diesem Ende vermitteln wollte. Auf jeden Fall bringt es die Menschen zum Nachdenken. Wenn die Leute Kommentare abgeben, dann meist über den Chaco-Krieg und das Filmende.
Suche nach einer positiven Antwort auf die gesellschaftliche Krise
Jorge Sanjinés hat das Ende noch relativ am Schluss des Produktionsprozesses verändert. Dafür wurde sogar eine Szene neu gedreht.
Das ist nichts Neues bei Filmen von Sanjinés, der während der Montage die Geschichte neu gestaltet. Es geht bisweilen hin und her, um die Idee besser zu entwickeln. Aber in diesem Fall hat es mit den Konflikten im Jahr 2019 zu tun, als der Präsident Evo Morales abgesetzt wurde. Es gibt unterschiedliche Interpretationen der damaligen Ereignisse. Für uns war es ein Putsch, der uns überrascht, die Filmarbeiten verzögert aber auch das Paradigma des Filmes verändert hat. Dann kam noch die COVID-Pandemie. Und da passte für Jorge Sanjinés das Ende nicht mehr, an das er zu Beginn der Dreharbeiten gedacht hatte. Er suchte eine positive Antwort auf die Spaltung der Gesellschaft.
Bei dem ursprünglichen Ende hätten die beiden Protagonisten sich nicht wiedererkannt.
Mit der neu gedrehten Szene bekommt die Geschichte eine andere Wendung. Jorge Sanjinés will den Menschen die Möglichkeit geben, die Uneinigkeit untereinander zu verstehen und ihnen einen Weg zu ihrer Überwindung zu zeigen. Aus seiner politischen Position heraus eröffnet die indigene Perspektive diesen Weg.
Die ambivalente Rolle der Militärs
Eine Reihe von Kommentaren heben den didaktischen Charakter von „Die Alten Soldaten“ hervor. Das ist nicht unbedingt ein Prädikat, das einen Kunstschaffenden am meisten interessiert. Mich hat auch die positive Reaktion der Militärs überrascht. Sie schätzen an dem Film wohl, dass er auch eine andere Seite zeigt als nur Massaker und Repression, wie in den früheren Filmen von Sanjinés. In „Die Alten Soldaten“ werden nicht nur Generäle und die Kriegstreiber kritisiert.
Sondern da taucht auch der spätere reformistische, nationalistische Präsident Germán Busch auf. Es gibt einen trotzkistischen Soldaten, der in den Schützengräben Gräben mitten im Krieg politische Bildung betreibt. Bei der Premiere in La Paz hat Jorge Sanjinés von dem Heereschef den höchsten Militärorden Boliviens verliehen bekommen. Sanjinés Werk bilde Patrioten aus, so wie das Militär, hieß es in der Ansprache des Generals.
Die Perspektive der Militärs ist nicht einfach zu verstehen. Aber es ist anzuerkennen, dass das Heer uns bei den Filmarbeiten sehr unterstützt hat. Ohne sie hätten wir auch nicht an den Originalschauplätzen im Chaco in Villamontes und Ibibobo drehen und das Szenarium wiederherstellen können. Der politische Prozess des Wandels hat das Militär stark beeinflusst. Wir haben in den Regierungsjahren von Evo Morales viele Anfragen vom Militär bekommen, ihnen den Film Ukamau (1966) auszuleihen. Sie haben auch Yawar Mallku (1969) oder „Die Geheime Nation“ (1989) gesehen. Möglicherweise verhindern einige Führungsfiguren, das Thema der Rolle des Militärs im Staat zu vertiefen. Aber es hat eine Annäherung an die Filme von Sanjines gegeben. Bei „Die Alten Soldaten“ versucht Jorge Sanjinés offensichtlich, die Gräueltaten von Militärs zu zeigen. Aber er zeigt auch, dass der Chaco-Krieg der Augenblick der Geschichte Boliviens war, an dem sich die Nation begegnet ist und einander kennengelernt hat. Er zeigt das auf didaktische Weise am Beispiel der beiden Protagonisten, um das Publikum nicht mit Informationen zu überladen.
White Saviourism?
Die einzig wirklich kritische Reaktion, die ich gelesen habe, kam von einer Gruppe indigener Intellektueller: Die Geschichte sei nicht realistisch. Etwa die Szene der Lehrerin, die im Klassenzimmer Anti-Kriegs-Slogans deklamiert.Vor allem scheint diese Gruppe auch zu stören, dass der Mestize aus der Mittelschicht die positive Figur ist, während die indigene Hauptfigur mit positiven, aber auch vielen negativen Seiten beschrieben wird.
Lijerón: Die Interpretation des zweiten Protagonisten „Roberto“ ist die Personifizierung des Verlustes gesellschaftlicher Zukunftsvisionen im heutigen Bolivien. Aber ich kann die Kritik aus einer kataristischen Perspektive verstehen. Auch Personen aus der Oberschicht werden ihre Zweifel an der Realitätsnähe haben. Aber es ist ja auch kein Dokumentarfilm. Und diese Art der Gegenüberstellung der beiden Hauptfiguren ist geeignet, Debatten zu generieren. Darum geht es Jorge Sanjinés. Mit dem städtischen Protagonisten, der auf das Land zieht, drückt Sanjinés in „Die Alten Soldaten“ seine Wertschätzung der ländlichen Kulturen aus. Vielleicht gibt es nicht viele, die diesen Weg wirklich gewählt haben und insofern ist die Geschichte nicht so realistisch. Aber es ist die Geschichte seines Onkels. Sie war die Grundlage dieses Filmes, die er künstlerisch verarbeitet hat. Jorge Sanjinés Vater war auch im Krieg, aber nicht an der Front, sondern als Spion in Paraguay. Das wäre ein Film für sich. Sein Vater lernte dabei den späteren Präsidenten Gualberto Villarroel kennen, der die Meldungen aus Paraguay in Empfang nahm. Solche familiären Erinnerungen fließen in den Film ein. Aber Jorge Sanjinés interpretiert sie in seiner eigenen Weise. Aufgrund seines eigenen Werdegangs und auf dem Hintergrund seiner früheren Filme kann Sanjinés sich diese Darstellung auch erlauben.
Was kann der Film einem europäischen Publikum sagen?
Es ist nicht leicht den Film auf internationalen Festivals zu platzieren. Viele ordnen ihn in die Kategorie Lokalgeschichte ein. Aber ohne den Ursprung des Filmes zu vergessen, lassen sich einige universelle Fragen ableiten: Was können die ländlichen und indigenen Kulturen zur Lösung der Probleme auf der Welt in einer Zeit beitragen, wo sich die Welt neu ordnet? Es geht nicht darum, dass jetzt alle wieder aufs Land ziehen sollten. Wir machen das ja selbst auch nicht. Aber abgesehen von den beeindruckenden Landschaften ermöglicht der Film die Werte zu sehen und zu schätzen, die das Leben dort prägen.
„DIE ALTEN SOLDATEN“ JETZT AUCH ONLINE
Ab dem 19. Juli 2024 ist der Film ausserhalb Boliviens gegen eine Gebühr auf der folgenden Vimeo Online-Plattform zu sehen, je nach Bedarf mit englischen, französischen oder arabischen Untertiteln. Falls dieser Link nicht funktioniert, auch über die Webseite des Filmes.
Zu „Die Alten Soldaten“ und dem Thema der Begegnung der Kulturen in Bolivien und Deutschland siehe auch dieses frühere Interview auf Latinorama mit Valquiria de la Rocha, der derzeit in Hamburg lebenden Darstellerin in der Rolle der Benedicta.
Wahrscheinlich interessant fuer Historiker und Lateinamerikanisten, und Filmwettbewerbe. Lateinamerikaner, alle, sind nicht so „filmbegeistert“ wie Europaer und Nordamerikaner. TELENOVELAS -Fernsehserien sind in ganz Lateinamerika von grosser und breiter Bedeutung. Es gibt auch wenige Filmtheater . Zwei Themen der TELENOVELAS : 1. Landbesitzer und Landarbeiter: Die Unterdrueckten schlagen zurueck. Manchmal grausam . Zumindest in Brasilien erscheint dann der Saubere im Anzug gekleidete „Delegado“ der POLICIA FEDERAL (Bundespolizei & BKA & Verfassungschutz). In Mexiko koennte auch ein „Delgado“ eingreifen – aber mehr etwas wie ein Hinterlandsheriff in Alabama. Fuer Zivilstreit in Brasilien ist die Policia Civil zustaendig. Vielfach geleitet von DELEGADAS (Kommisarinen) – gekleidet in eleganter Zivilmode. Uninteressant fuer TELENOVELAS – aber fuer TV Lokalnarichten .
2. Familien mit Industriebetrieben. Beide haben die selben Themen: 1. Das Geld . 2. Die erotische Liebe . Rechtsanwaelte greifen dann ein ! Diese Leute kaempfem nur in Gerichten ! Die Schauspieler sind erstklassig: Besser als Hollywood. In Mexiko noch ein religoeses/aberglaubisches Thema: Die Jungfrau von Guadalupe rettet die wirklich Glaeubigen. In den Telenovelas sehen die Menschen in den riesigen Landschaften wie Gross-Staedter leben und wie Leute im exotischen Hinterland. In Brasilien laueft jetzt „Renacer“ (Wiedergeburt) um Besitzer und ihre Frauen-und-Besitz-und Finanzprobleme und Lamdarbeiterstreite in Kakauplantagen in Bahia. Das grosse Haus hat noch viel Moebel vom 19ten Jahrhundert. Bett und Alkohol. Brasilien ist tropisch: Alle Frauen tragen wenig Kleidung. Eine Nation von Schlanken aber mit Kurven – aber nicht absichtlich fuer TV sondern weil das so ist in Brasilien. Melodien von Telenovelas werden manchmal Klassiker der romantrischen Musik. Also Filme sind nicht wichtig fuer den Lateinamerikaner, sondern TELENOVELAS .