vonDetlef Guertler 22.01.2009

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Mileurista ist spanisch, und der Begriff für Erwerbstätige, die nicht mehr als 1000 Euro im Monat verdienen (wie in diesem Blog auch bereits beschrieben und eingedeutscht). Milwortista ist ein daran angelehnter Hispanizismus (sagt man das so?) für Blogger, die nicht mehr als 1000 neue Wörter gefunden haben.

Womit dieses Wort eigentlich im Moment des Aufschreibens zum Unwort wird, da es sich um das tausendste in diesem Blog handelt. Weshalb es in diesem Fall auch kein Drama wäre, wenn sich das Wort nicht über diesen Eintrag hinaus verbreiten sollte.

Zur Feier des Anlasses erlaube ich mir etwas von dem, was sonst in diesem Blog nichts zu suchen hat (sollten Sie es doch an der einen oder anderen Stelle gefunden haben, dürfen Sie es gerne behalten): Selbstbespiegelung, Ichbezogenheit, Behelligung der Menschheit mit Persönlichkeitsfixierung: Warum mache ich das überhaupt und wie geht es mir dabei?

Aber zuerst ein wenig Statistik:

1000 neue (davon ca. 34 schon ältere, aber neu ausgegrabene) Wörter, etwas mehr als ein Eintrag pro Tag seit dem Start im Juni 2006. Davon wurde ein knappes Sechstel (163) von Ihnen, werte Leser, vorgeschlagen und gerne übernommen – es mag maximal ein halbes Dutzend Leservorschläge gegeben haben, die ich nicht übernommen habe, und das eher nicht aus Geschmacksgründen, sondern weil ich das vorgeschlagene Wort für nicht neu hielt.

2854 Kommentare, also fast drei pro Beitrag, kein Spitzenwert für Alpha-Blogger, aber doch über die Jahre ein stabiles Echo. Die eifrigsten Kommentatoren waren dabei polyphem und A.S. Reyntjes, Danke Ihnen und allen anderen.

Das größte Echo, die meisten Klicks und die meisten Kommentare, nämlich 34, hatte der Eintrag, in dem einer Spiegel-Titelstory über den Verfall der deutschen Sprache dummbatzige Fakten-Schlumperei nachgewiesen wurde.

Die meistgesuchten bzw. -gefundenen Einträge, also diejenigen, die am häufigsten von Google-Suchenden angeklickt wurden, sind diejenigen zu Wehmutstropfen und Disskussion – was vor allem daran liegen dürfte, dass diese Wörter häufig falsch geschrieben werden oder die Suchenden sich unsicher sind, wie das Wort denn nun tatsächlich geschrieben wird. Zumindest beim -tropfen deutet m.E. einiges darauf hin, dass wir gerade den Übergang von Wermut zu Wehmut erleben. Noch zwei Jahrzehnte weiter, und der Duden macht auch mit.

Nicht belegbar bis jetzt ist allerdings das, was von Beginn an eines der erklärten Ziele dieses Blogs war: Einfluss auf die deutsche Sprache auszuüben. Meines Wissens hat es keines der von mir (oder von Ihnen) neu erfundenen Wörter bisher in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft. Ich rechne allerdings in diesem Jahr damit, dass das der 2. Weltwirtschaftskrise gelingen wird – die ist zumindest schon bis in die Diskussionen der deutschen Wikipedia vorgedrungen, ob man die aktuelle Lage Weltwirtschaftskrise nennen darf oder nicht.

Ja, man darf sie so nennen, und ebenfalls Ja, das zeichnet sich seit mindestens anderthalb Jahren ab, und, noch ein Ja, das war seit Juli 2007 mein Lieblingsthema in diesem Blog: die Kommentierung, Begleitung und Vorwegnahme dessen, was uns in Welt- und Finanzwirtschaft auf die Füße fällt. Zum Teil aus einer Not heraus geboren: Als freier Journalist ohne feste Anbindung an ein Muttermedium ist es mir nicht gelungen, bei einem der Blätter, für die ich tätig war und bin, ein Bewusstsein für die Dramatik und Dynamik der ökonomischen Lage zu wecken und dieses dort entsprechend regelmäßig zu beschreiben. Ein wenig davon findet sich über die vergangenen 18 Monate verteilt in der Welt, ein wenig in Vanity Fair, ein wenig im Handelsblatt sowie in diversen Kundenmagazinen, etwa dem des Business Club Hamburg; und dass und warum sich nichts davon in der Wirtschaftswoche findet, ist eine ganz andere Geschichte. Aber ein wirkliches Forum war nicht dabei – also habe ich mir hier ein kleines Eckchen eingerichtet.

Zwar gut versteckt im Bereich Kultur & Unterhaltung, aber der eine oder andere Leser hat doch hierher gefunden. Danke dafür. Allerdings: Bei den Einträgen zu Welt- und anderen Wirtschaftskrisen geht es mir nicht so sehr darum, dass es gelesen wird, sondern darum, es geschrieben zu haben. Da ich davon ausgehe, dass wir in ernste, wenn nicht gar katastrophale Schwierigkeiten kommen, werden sich die nach uns kommenden Generationen fragen, warum wir damals nichts dagegen unternommen haben, warum uns das so passieren konnte, wie es uns passiert ist.

Übrigens geschieht so etwas auch heute schon. Wie der mir sehr sympathische Analyst Edward Hugh neulich schrieb:

„No one could have known what was in store for us“, according to the President of the Spanish Government, José Luis Rodríguez Zapatero, speaking in a Spanish TV interview a few days back. No one? Oh, so no one saw the Spanish crisis coming? Can he really believe that? Is this man really serious, or is he but an idle Jester. Or could it be that, like Homer’s hero before the Cyclops, my name in fact is no-one.

Um danach ein paar seiner Texte aus den vergangenen Jahren und Monaten anzuführen, die natürlich sehr klar sagten, was auf Spanien zukommen würde. Derartiges Management by Polyphem („Niemand hat uns vorgewarnt“, „Niemand konnte wissen, was passiert“) werden wir auch hierzulande noch häufiger zu hören bekommen. „Niemand wollte wissen, was passiert“, würde ich dann antworten und auf mehrere Dutzend meiner Blog-Einträge verweisen.

Apropos Blog: Als ich diese Übung hier im Juni 2006 begann, war es erst einmal nicht mehr als ein Versuch, mich in diesem neuen Medium einzuüben. Mal schauen, wie sich das so anfühlt, mal schauen, wie die Resonanz ist, mal schauen, ob das Spaß macht, mal schauen, ob sich daraus ein Geschäftsmodell entwickelt. Das Kurz-Fazit nach den ersten 1000 Einträgen: Spaß – meistens. Resonanz – ausbaufähig. Fühlung – immer noch ein bisschen fremd. Geschäftsmodell – gar nicht. Blogs tragen mit dazu bei, das traditionelle Printmedien-Geschäftsmodell zu kippen, ohne ein anderes an dessen Stelle setzen zu können. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, meinte zwar Hölderlin. Aber auch deutsche Dichter müssen nicht immer recht haben.

Das ist zwar für mich kein Grund, das Bloggen wieder zu lassen – viel mehr als eine halbe Stunde pro Tag frisst es schließlich nicht. Aber wenn hier einmal mehrere Tage am Stück keine Neueinträge auftauchen sollten, wird das wohl daran liegen, dass ich vor lauter Geldverdienen gerade nicht dazu komme – das geht vorbei. Wenn ich hingegen richtig mit der Wortistik aufhören sollte, sage ich rechtzeitig vorher Bescheid, damit sich vielleicht ein Nachfolger findet. Aber Schluss jetzt damit: Wer wird schon vom Ende reden, wenn gerade mal die ersten 1000 Wörter geschafft sind!

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