vonChristian Ihle 05.11.2021

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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“Selbst wer den konstanten Niedergang von “Coldplay” seit dem Jahr 2000 bestürzt wahrnimmt, wird zugeben müssen: “Music Of The Spheres” ist ein neuer Tiefpunkt.

“My Universe” [ist] ein zuckerverpuffter Schmachtlappen mit entsetzlich infantiler Heile-Heile-Gänschen-Botschaft. Allerdings ist gerade auch “Music Of The Spheres” erschienen, die zum Song gehörende, insgesamt neunte Coldplay-Platte. Und die kann, nein, die muss man dringend kritisieren (…). Denn wer die künstlerische Geschichte von Coldplay seit den gloriosen frühen Werken im Jahr 2000 als konstanten, bestürzenden Niedergang wahrnimmt, wird zugeben müssen: “Music Of The Spheres” ist ein neuer Tiefpunkt, der auch mit größter Anstrengung kaum mehr zu unterbieten sein wird. (…)

Neue Coldplay-Songs klangen immer öfter als hätten sich brachiale, Big-Data-geschulte Produzententeams mit skandinavischen Akzenten bei der Studioarbeit durchgesetzt, während die eingeschüchterte Band zu allem nur höflich “wow!” sagte. (…)

Für “Music Of The Spheres” hat nun irgendwer den Coldplay-Sänger Chris Martin überzeugt, dass es eine fantastische Idee wäre, mal ein Duett mit sich selbst zu singen. Einer der zwei Martins, die wir im Song “Biutyful” hören, wurde dafür in quäkende Höhen gepitcht – ein Effekt, der schon 1978 bei “Was wird sein, fragt der Schlumpf” von Vadder Abraham eher grenzwertig war. (…)

“Kuschelrock” sagen viele in solchen Fällen spöttisch, aber ganz ehrlich: Ein mit so anämisch-austauschbaren Synthie-Sounds programmierter, mit allen Textbausteinen von “top of the world” bis “sun after rain” gespickter Song hätte bei der gleichnamigen Mix-CD-Reihe niemals die Qualitätskontrolle überlebt. (…)

Die flimmernden Dudeleien, die nach abgestandenen Partygetränken riechenden Beats und Werbespot-Gitarren, die die vereinte Studiocrew hier ausbreitet, geben dem Album eine unfassbar gestrige Grundstimmung. Zudem hat “Music Of The Spheres” auch noch ein inhaltliches Konzept – irgendwas mit Liebe und Planeten. Die Furcht, dass dies demnächst als Entschuldigung genommen wird, um aus dem Mist auch noch ein Musical zu machen, ist berechtigt.

Kritiker neigen ja oft dazu, die Schuld für solche Musik doch wieder beim Publikum zu suchen, das so etwas zu wollen scheint – bei den armen Latte-Macchiato-Müttern, den bemitleidenswerten Zahnärzten im Hunsrück, die sich jedes Jahr nur drei CDs und vier Konzertkarten kaufen (…). In diese Falle wollen wir hier nicht tappen. An “Music Of The Spheres” ist die Band Coldplay wirklich ganz und gar alleine schuld.”

(Joachim Hentschel in der Süddeutschen Zeitung)

Mehr Coldplay-Schmähkritiken:
* Nr. 26: “Coldplay, the most insufferable band of the decade (…) the lyrics can make me wish I didn’t understand English.“
* Nr. 92: “sagenhaft erfolgreiche Band hat bislang drei Alben mit öder Stadionrockmusik vollgespielt, deren vorzüglichste Eigenschaft war, dass man die einzelnen Lieder nicht voneinander unterscheiden konnte, aber alle immer unangenehm an U2 erinnerten.”
* Nr. 303: „Coldplay are a dilution of a dilution of a dilution. Chris Martin makes me want to eat someone else’s earwax rather than listen to his records.“ (Alan McGee)
* Nr. 315: “And if people look up to Brian Eno as an intellectual God, we are in trouble. He made Coldplay sound like fucking Enya!“ (Nicky Wire)
* Nr 570: “never has there been a more nondescript f***ing group than those gelatinous c***lords Coldplay! They made Dido sound like Bessie f***ing Smith!”
* Classic/1: „People like Coldplay and voted for the Nazis. You can’t trust people“ (Peep Show)
* Classic/2: “Coldplay is absolutely the shittiest fucking band I’ve ever heard in my entire fucking life, Coldplay manufactures fake love as frenetically as the Ford fucking Motor Company manufactures Mustangs” (Chuck Klosterman)


Schmähkritik-Archiv:
* 500 Folgen Schmähkritik – Das Archiv (1): Musiker, Bands und Literaten
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