11. Bonnie and Clyde
Filmhistorisch die klare Nummer 1 des Jahres 1967: der große Big Bang, der New Hollywood zündete und damit die Filmwelt auf immer (oder zumindest für die nächsten zehn, fünfzehn Jahre) entscheidend veränderte. Beatty & Dunaway in den Hauptrollen leben ihre Bonnie & Clyde und die Schlußsequenz mit seiner Dauerschussmassaker hat bis Peckinpahs „The Wild Bunch“ keiner so eindrücklich hinbekommen. Gefühlt habe ich Bonnie & Clyde allerdings erstaunlich wenig, weshalb mich Arthur Penns Zeitenwender mehr „interessiert“ als dass er mich begeistern kann.
12. Das Dschungelbuch
Im Grunde ein simpler, geradliniger Film: das Menschenjunge Mogli wächst unter freundlichen Tieren im Urwald auf und soll zu Beginn seiner Adoleszenz zurück in die „Zivilisation“ geführt werden. Allerlei Gefahren warten auf Mogli & Co, die kämpferisch, spielerisch und tänzerisch überwunden werden.
Die größte Stärke von „Dschungelbuch“ ist sicherlich sein Soundtrack, der einen Tränen weinen lässt, warum Disney irgendwann in den 80ern begonnen hat, den größten Kitsch über seine Filme zu kleistern, wo doch einer ihrer größten Erfolge* überhaupt zeigt, dass man einen Kinderfilm auch wunderbar mit Swing und Jazz bespielen kann. Das berühmte „The Bare Necessities“ (deutsch: „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“) wurde übrigens von einem blutjungen Van Dyke Parks – später Partner in Crime von Brian Wilson – arrangiert.
* Mit 27 Millionen Zuschauern (inklusive aller Re-Runs) ist „Das Dschungelbuch“ nicht nur der erfolgreichste Film aller Zeiten in Deutschland, sondern das auch noch mit irrem Vorsprung. Der zweitplatzierte „Titanic“ hat im Vergleich dazu „gerade mal“ 18 Millionen Besucher in die Kinos gezogen.
13. La chinoise
Godards „La Chinoise“ oder „Linksradikales Pamphlet – Der Film“.
Selbst für den Godard der späten 60er ist „La Chinoise“ außergewöhnlich politisch und gesschwätzig. Aus einfachsten Mitteln, aber mit dem Godard’schen Händchen für Farben, Stil und Pop, entwickelt er hier eine Diskussion über den Zustand linker Politik in den ausgehenden 60ern. Besonders bemerkenswert ist natürlich dass „La Chinoise“ ein Jahr vor 1968 gedreht wurde und so ein unschätzbarer Snapshot für die Befindlichkeiten und Gedanken der jungen Generation vor dem Aufruhr ist. „La Chinoise“ erzählt mehr über die Geschehnisse von Frankreich im Mai 68 bis zur RAF in Deutschland als jede zurückblickende Dokumentation es seitdem vermochte.
Pauline Kael, die zu meiner Überraschung von „La Chinoise“ begeistert war, schreibt ganz richtig: „We don’t have time to catch up with the future that is here, and Godard is already making movie critiques of it—documentaries of the future in the present. (…) LA CHINOISE is a satire of new political youth, but a satire from within, based on observation, and a satire that loves its targets more than it loves anything else—that, perhaps, can see beauty and hope only in its targets. But not much hope. (…) At this point, it would be easy for him to court popularity (…) by making his revolutionaries romantic, like the gangster in BREATHLESS. Romantic revolutionaries could act out political plots instead of robberies. But he does not invest the political activists of LA CHINOISE with glamour or mystery, or even passion. His romantic heroes and heroines were old-fashioned enough to believe in people, and hence to be victimised; the members of Véronique’s group believe love is impossible, and for them it is. Godard does just what will be hardest to take: he makes them infantile and funny—victims of Pop culture. And though he likes them because they are ready to convert their slogans into action, because they want to do something, the movie asks, “And after you’ve closed the universities, what next?”
14. Branded to Kill
Seijun Suzukis „Branded To Kill“ hat mir um einiges besser gefallen als sein „Tokyo Drifter“ aus dem Vorjahr, ist aber dann doch zu sehr ein „Meisterwerk des Absurden“.
„Branded To Kill“ sieht großartig aus und hat wirklich etliche beeindruckende Szenen, aber insbesondere das letzte Drittel mit dem Stillstand-Kampf der beiden Profikiller wird dann doch so rätselhaft-zäh, dass ich das nur aus einer Respekt-Perspektive gut finde, mich aber inhaltlich nicht mehr greift.
„Branded To Kill“ ist aber sicher ein Paradebeispiel für weirde japanische Filme und wirkt manchmal, als würde man dem gemeinsamen Vater von Jim Jarmusch und Sion Sono beim Tagwerk zuschauen.
15. Warte, bis es dunkel ist
Audrey Hepburns letzter großer Film ist – ungewöhnlich für den Herzensbrecher Hollywoods – ein tighter Thriller, der aus einer einfachen Prämisse viel macht: Hepburn spielt eine blinde Frau, in deren Wohnung drei Gangster ein verstecktes Drogenpaket vermuten.
Ich würde zwar nicht so weit gehen wie Stephen King, der „Wait Until Dark“ als das „scariest movie of all time“ und Alan Arkins Performance als „the greatest evocation of screen villainy ever“ bezeichnete, aber Spannung ist Terence Youngs Film nicht abzusprechen.
16. Mädchen, Mädchen
Dieser Beitrag zum Neuen Deutschen Film von Roger Fritz ist natürlich nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Früh-2000er-Teeniekomödie, sondern atmet den Geist der Counter Culture und – zumindest aus End60er-Perspektive – auch der weiblichen Selbstbestimmung. Seine Stärken hat „Mädchen Mädchen“ vor allem in Bild (Roger Fritz kommt von der Fotografie, „Mädchen Mädchen“ ist sein Debütspielfilm) und Ton (Beat!), weniger in einer vielschichtigen, abwägenden Charakterzeichnung, deren Fehlen aber durch eine Atmosphäre der Gefahr ausgeglichen wird, die über allen noch so freien Szenen schwebt.
17. In Cold Blood
Fiktionale Verfilmung der legendären True Crime Novel von Truman Capote – womöglich der Urtext des ganzen Genres!
Gefilmt in schön düsterem Schwarz-Weiß, das „In Cold Blood“ ein Film Noir – Feeling gibt, auch wenn femme fatales hier weit und breit nicht zu sehen sind. Etwas problematisch finde ich allerdings die Fiktionalisierung der Erzählung und die Abkehr vom Reportagenhaften der Capote-Vorlage, denn dadurch verliert „In Cold Blood“ etwas an seiner kühlen Wucht und zudem ist (die allerdings auch im Buch bereits angelegte Parallelkonstruktion der Mörderflucht mit der Polizeiarbeit) nicht spannungsförderlich.
Stark ist vor allem Robert Blake, der die Gebrochenheit seines Charakters Perry so gut darstellt, dass er selbst bei den schlimmsten Taten noch Empathie zu erzeugen vermag. Meine Lieblingsszene, herzzerbrechend: die Befragung von Perrys Vater (Charles McGraw), die in nur fünf Minuten so unendlich viel kaputtes Leben spiegelt.
18. Das Rasthaus der grausamen Puppen
„Verdammte Scheiße, der Nachtwächter!“ –
„Kontrolliert der?“ –
„Nein, er legt Eier!“
So schreibt man flippige Dialoge! Diese Kuriosität aus den späten 60ern ist ein astreiner deutscher Exploitation-Film. Bei dem Filmtitel „Das Rasthaus der grausamen Puppen“ hatte ich eigentlich einen Horrorfilm mit, nun ja, grausamen Puppen erwartet, aber die hier in Rede stehenden „Puppen“ sind lediglich flapsig so benannte Girls, die aus dem Knast ausgebrochen* sind und nun in einem englischen Pub (oder wie wir in den 60ern sagen: Rasthaus) für ordentlich Mayhem sorgen, absichtlicher- wie unabsichtlicherweise.
Ein doch überraschend hoher Bodycount und eine sich ständig selbst überschlagende Story mit etlichen absurden Subplots machen das ganze wie die knorke Beatmusik im Soundtrack doch zu einem überraschend duften Erlebnis.
Angesichts dessen, dass ich Rolf Olsens „Blutiger Freitag“ schon ziemlich fantastisch fand, muss ich mich vielleicht doch ein wenig mehr mit der Olsenschen Filmographie befassen. Ist der Typ ein unbesungener Held des deutschen Bahnhofkinos?
*herrlich absurd, wie die 5 Mädels aus dem Frauengefängnis aus- und wirklich SOFORT in ein Kaufhaus einbrechen!
Da wird dann erstmal die Damenbekleidungsabteilung und der Lippenstiftschrank geplündert.
Klar, wer täte das nicht!
19. The Big Shave
https://www.youtube.com/watch?v=Ot-QYUJwq5M&t=8s
Ein junger Mann in einem sauberen Bad.
Er beginnt sich zu rasieren. Er rasiert sich noch einmal. Und noch einmal.
Er blutet, er blutet mehr.
Martin Scorseses siebenminütiger Kurzfilm von 1967 ist erstaunlich radikal, von einer so unangenehmen Körperlichkeit, dass er auch vom jungen Jörg Buttgereit stammen könnte.
20. Mouchette
Bresson bleibt ein alter Depri-Fuchs.
„Mouchette“ ist im Grunde eine Neuauflage seines „Au Hasard Balthazar“ von 1966, nur dass diesmal kein armer Esel all das Unglück der Welt auf seinen Schultern hat, sondern ein junges Mädel.
„Robert Bresson has made several films of such sobriety that while some people find them awesomely beautiful, other people find sitting through them like taking a whipping and watching every stroke coming“. (Pauline Kael).
21. The Trip
Groovy, man!
Mehr Zeitdokument als Spielfilm mit richtigem Plot ist der vom jungen Jack Nicholson geschriebene „The Trip“ aber dennoch unterhaltsamer als sein Ruf.
Roger Cormans filmische Aufbereitung eines LSD-Trips ist manchmal wirklich *trippy* und hypnotisch, dann wieder albern, in seiner visuellen Umsetzung im einen Moment vorhersehbar und dann wieder originell. Die besonders gelungenen Szenen spielen in der Wirklichkeit und zeigen den zugedröhnten Peter Fonda sozusagen von außen (die Waschsalon-Episode, in der Fonda eine geradezu kindliche Faszination mit dem Prinzip Waschmaschine entwickelt, ist dabei die beste) oder fangen schön die psychedelischen Nachtclubs des Hippie-Kaliforniens der ausgehenden 60er ein. In den Bad-Trip-Momenten lässt Corman Fonda allerdings durch wohl noch übig gebliebene Kulissen aus seinen alten Horrorfilmen laufen, was eher mäßig überzeugend wirkt.
Mit Peter Fonda in der Hauptrolle auf seinem ersten Drogenausflug, Bruce Dern als sehr bärtigem, brüderlichen Trip-Betreuer und Dennis Hopper als Hippie-Guru ist „The Trip“ auch fabelhaft besetzt.
22. When I Am Dead and Pale
Bei einer seiner seltenen Aufführungen – hier auf der Berlinale 2018 – wurde „When I Am Dead And Pale“ als „weder Schlager noch Beat, sondern als der ultimative Punkfilm des jugoslawischen Kinos, der schwärzeste der „Schwarzen Welle““ angekündigt. Und tatsächlich ist in Živojin Pavlovićs Film das Antiautoritäre, das Aufbegehren gegen die Umstände in jeder Minute zu spüren.
23. In der Hitze der Nacht
Gern würde ich schreiben, dass „In der Hitze der Nacht“ vor allem in seiner Zeit verankert ist und seine emphatische Anklage gegen Rassismus heute obsolet… aber nun ja, ihr wisst ja selbst. Trotzdem ist die sozialhistorische Bedeutung von „In der Hitze der Nacht“ größer als die Güte des Films, der für sich genommen ein nur leicht überdurchschnittlicher Kriminalfilm ist. Der eigentliche Punkt in Norman Jewisons Film sind aber natürlich die mal subtileren, öfter jedoch offen zu Tage tretenden rassistischen Spannungen in den Südstaaten.
24. Ich bin wie ich bin – Das Mädchen aus der Carnaby Street
Softcore-Papst und Skandalnudel Tinto Brass (Caligula! Salon Kitty!) stürzt sich in diesem frühen Werk mit allergrößter Spielfreude in das Swinging London der End60er.
Das Ergebnis wirkt zuweilen, als hätte jemand mit zwei linken Händen versucht, Michelangelo Antonionis Jahrzehntfilm „Blow Up“ nachzudrehen. Immerhin spart Brass nicht mit Verweisen auf den Meister, der wörtlich mit Quellenangabe zitiert wird und dessen „Blow Up“ tatsächlich auch auf Plakaten im Film zu sehen ist.
Überhaupt ist hier der größte Spaß von „Ich bin wie ich bin – Das Mädchen aus der Carnaby Street“ (aka „Deadly Sweet“ aka „I Am What I Am“) zu finden: in der popart-crazy Ausstattung des Films, die aber geschmacklich immer das kleine bisschen daneben liegt, wie der Typ vom Land, der im Magazin gelesen hat, wie sich die Leute in der Stadt heutzutage so in Schale werfen. Das macht „Ich bin wie ich bin“ weniger cool als zum Beispiel Elio Petris Popart-Wunderwerk „Das zehnte Opfer“ (1965) oder eben Antonionis unsagbar coolen „Blow Up“ (1966), aber dafür in seiner unbeholfenen Bemühtheit schon wieder süß. „Deadly Sweet“ eben.
Die Story kann mit den Schauwerten (hier sei auch Ewa Aulin erwähnt – wer will schon B(ardot) sagen, wenn er auch A(ulin) haben kann?) nicht mithalten.
Zwar wurde „Ich bin wie ich bin – Das Mädchen aus der Carnaby Street“ als „a sexy giallo thriller“ vermarktet, aber sonderlich Giallo ist hier nichts, ist das Rätselraten um die Morde doch wenig unterhaltsam, die Suche nach dem Mörder eher mit humoresken Einsprengseln unterfüttert und die Auflösung allzu offensichtlich.
Das Ende seiner Geschichte findet Tinto Brass aber in einer nihilistischen Schönheit, die beeindruckend ist.
25. Ich bin neugierig (gelb)
Kurioserweise weniger gut als sein ein Jahr später in die Kinos gekommener Pendant-Film „I Am Curious (Blue)“, aber dennoch hat mir auch die „Yellow“-Version etwas besser gefallen als bei unserer letzten Begegnung im Januar 2012. Für beide „Curious“-Filme gilt, dass der eigentliche Skandalgehalt hinsichtlich der sexuellen Freizügigkeit eigentlich nicht wirklich der Rede wert ist, höchstens in seiner Nichtbetonung der Sexualisierung bemerkenswert.
Für viel mehr Sprengstoff sorgt dagegen seine politische Seite, die auch in beiden Filmen jeweils den interessantesten Aspekt der „Neugierig“-Filme darstellt – und wohl auch der Grund ist, warum ich „Blue“ doch „Yellow“ vorziehen würde, da der blaue Teil nicht nur stärker seine politische Agenda betont, sondern auch schlüssiger als ganzer Film funktioniert (auch wenn „Blue“ noch mehr Meta ist als „Yellow“). Die gelbe Variante der Geschichte dagegen zerfällt mehr oder weniger in zwei Teile: einen politisch provozierenden und agitatorischen Interviewpart und eine zweite Hälfte, die sich um eine toxische Beziehung dreht, aber eigentlich nach 15 Minuten auserzählt ist. Wie Dave Kehr schlüssig, aber etwas zu harsch urteilt: „Thrill-hungry filmgoers in 1967 were curious enough to sit through 121 minutes of Vilgot Sjoman’s numbingly dull political philosophizing for the sake of a few naked bodies. Today we can get our sex with less punishment, which is progress of a sort.“
Die besten Filme 1967:
* Platz 5 – Platz 1
* Platz 10 – Platz 6
Mehr zu 1967:
* Die besten Alben: #5 – #1
* Die besten Alben: #6 – #10
* Die besten Alben: #11 – #18
* Die besten Songs: #1 – #20
* Die besten Songs: #21 – #50
* Die besten Songs: #51 – #100
* Playlist: Ein Jahr – 1967
Die bisherigen Jahre:
* 1966: Alle alles – beste Filme, beste Alben, beste Songs
* 1965: Alle alles – beste Filme, beste Alben, beste Songs