Sprung zur Nachbemerkung zum Verhältnis von Recht und Politik
Teil I (v. 19.01.):
Einleitung und „Ein Freispruch aus Zürich – aber mit fraglichem Verständnis für den deutschen Landfriedensbruch-Paragraphen“
Teil II (v. 20.01.):
Der erste (Do., d. 18.01.) und der zweite (Fr., d. 19.01.) Prozeßtag des dritten Hamburger
Rondenbarg-Verfahrens
Teil III. (NEU):
PS.: ad „juristischer Unsinn“ und die wirklichen Schwachpunkte der Anklage
ad „juristischer Unsinn“
- Die Staatsanwaltschaft will nicht allein die „Zusammenrottung“ / Anwesenheit bestrafen, sondern meint, sie könne mehr als Anwesenheit beweisen
- Die Propagandalinie der Rondenbarg-Anti-Rep-Kampagne verstärkt die einschüchternde Wirkung der Anklage und schreckt insofern mehr Leute vom künftigen Demonstrieren ab, als es die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklage macht
- Die Rote Hilfe nimmt den tatsächlichen Inhalt des Hooligan-Urteils des BGH nicht zur Kenntnis
- Es gibt keinen grundlegenden Unterschied zwischen Landfriedensbruch durch Fußball-Fans und Landfriedensbruch durch DemonstrantInnen
- Auch in dem Fußball-Fan-Fall war der Kern nicht das Mitmarschieren, sondern die vorherige Absprache der Gewalttätigkeiten
- Die Staatsanwaltschaft versucht kein Zurück hinter der Liberalisierung des Landfriedensbruch-Paragraphen von 1970 durchzusetzen
Die wirklichen Schwachpunkte der Anklage
- Die Hamburger Staatsanwaltschaft scheint deutlich weniger Beweise zu haben, als es in dem Hooligan-Fall gab
- Sogar in dem Hooligan-Fall (mit seiner ziemlich guten Beweislage) wurde nur wegen psychischer Beihilfe zu Gewalttätigkeiten, aber nicht wegen MittäterInnenschaft an den Gewalttätigkeiten verurteilt
- Wieviel Gewalttätigkeiten gab es im Rondenbarg-Kontext überhaupt? Und wurden die tatsächlich „mit vereinten Kräften“ (§ 125 StGB) verübt?
- Gewalttätigkeiten
- „mit vereinten Kräften“
- Ab welchem Moment haben die einzelnen Angeklagten an der Demo teilgenommen?
- Verblieben sie dort – auch nach den ersten Gewalttätigkeiten, die sie mitbekamen – „ohne äußeren Zwang“ (BGH 1984)?
- Strafbarkeit des Verbleibens in einer Demo, aus der heraus Gewalttätigkeiten stattfinden, auch ohne polizeiliche Verfügung, die Demo aufzulösen?
- Was ist an dem Vorwurf des Deckungsgebens daran?
- In tatsächlicher Hinsicht
- In rechtlicher Hinsicht
- Worauf stützt die Staatsanwaltschaft ihre Behauptung, die Angeklagten hätte die in Rede stehenden Gewalttätigkeiten billigend in Kauf genommen?
- Resümee
PPS.: Eine Nachbemerkung zum Verhältnis von Recht und Politik
Ich hatte im PS. geschrieben: „Die Anwesenheit in der Menschenmenge läßt sich politisch auch dann rechtfertigen, wenn sie (wegen zusätzlicher besonderer Umstände) strafbar gewesen sein sollte; aber juristisch ist absolut untunlich zu ignorieren, daß die Staatsanwaltschaft mehr als Anwesenheit vorwirft.“ (S. 26)
Zwar sind Recht und Politik keine getrennten Sphären; aber sie sind zu unterscheiden. Recht ist das Produkt von Politik; und Politik (politische Praxis) kann sowohl rechtmäßig als auch rechtswidrig sein.
Es ist keineswegs links, sondern idealistisch und opportunistisch alles, was politisch richtig ist, auch als (schon) rechtmäßig auszugeben.
Rechtsillusionen zu produzieren ist nicht links, sondern idealistisch und voluntaristisch – und kann zu Leichtfertigkeit führen (wenn Legalitätsspielräume überschätzt werden und gebotene Konspiration unterbleibt [‚Vom Hooligan-Urteil des BGH zu lernen, heißt: Straßenschlachten nicht per WhatsApp zu vereinbaren.‘]).
Vorliegend erfordert ‚Rechtsrealismus‘ [*] (im Unterschied zu Rechtsillusionen und Rechtsidealismus) zur Kenntnis zu nehmen, daß
- es in § 125 StGB u.a. heißt: „Wer sich an […] Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen […], die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt“ (meine Hv.)und
- sich aus § 28 Absatz 1 StGB ergibt, daß „Teilnehmer“ „Anstifter oder Gehilfe[n]“ sind – also:
- nach § 125 StGB durchaus nicht nur diejenigen zu verurteilen sind, die eigenhändig Gewalttätigkeiten begehen, sondern auch diejenigen zu verurteilen sind, die „Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen […], die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden,“ anstiften oder zu ihnen (im Grenzfall: „psychisch“) Beihilfe leisten.
Dies ist eine politisch unerfreuliche Realität, aber es ist (juristische) Realität. – Trotzdem läßt sich der Rondenbarg-Anklage jede Menge entgegensetzen, wenn denn die Anklage und der Wortlaut des § 125 StGB sorgfältig analysiert werden. Aber ihr läßt sich wenig entgegensetzen, wenn die Behauptungen und Argumente der Staatsanwaltschaft gar nicht erst zur Kenntnis genommen werden.
[*] Als Bezeichnung für eine bestimmte rechtstheoretische Schule bedeutet „Rechtsrealismus“ etwas anderes als ich als hier ‚Rechtsrealismus‘ (in einfachen – einen etwas laxen Sprachgebrauch kennzeichnenden – Anführungszeichen) bezeichne.
Alle drei Teile in einer Datei:
Ein Leser wies dankenswerterweise auf einen Fehler in dem Link in Fußnote 39 auf S. 32 der Datei https://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2024/01/Schleppender_Auftakt.pdf hin:
In der URL war das „L“, das anscheinend großgeschrieben werden muß, kleingeschrieben – es funktioniert hoffentlich:
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2016/120_KLs_7_16_Urteil_20160523.html.
Falls nicht, muß mit dem Aktenzeichen 120 KLs 7/16 dort:
https://www.justiz.nrw.de/
bei „Entscheidungen“ gesucht werden.