1. Blow Up (Regie: Michalangelo Antonioni)
In vielerlei Sicht ein Meilenstein der Filmgeschichte. Michelangelo Antonioni fängt hier (als Italiener!) den Spirit der Swinging Sixties besser ein als irgendjemand sonst, lässt die Yardbirds in einer Szene auftreten (weil The Who zu teuer waren!) und verknüpft ein existentialistisches Drama mit einem Hitchcock’schen Krimi-Plot, das genauso fesselt wie verunsichert.
*Der* 60ies Film überhaupt, ein Film gewordenes Pop-Art-Meisterwerk des Existentialismus!
2. Der Mann, der zweimal lebte (Regie: John Frankenheimer)
Sehr guter, sehr weirder Paranoia-Thriller von John Frankenheimer, der bereits einige Jahre zuvor das Referenzwerk in diesem Genre, „The Manchurian Candidate“, gedreht hatte, was aber von „Der Mann, der zweimal lebte“ noch überragt wird.
Sowohl die Optik (Fischaugenkamera!) als auch die rätselhafte Geschichte sind deutlich verstörender und bei der mittig stattfindenden dyonisischen Orgien-Sequenz kann man Spuren der gerade beginnenden Counter Culture herauslesen und eine Vorwegnahme der kultischen „Wicker Man“ – Elemente sehen. Drumherum zeigt Frankenheimer einen kühlen, rätselhaften Paranoia-Film über eine mögliche Geheimgesellschaft und stellt ständig die Frage nach Identitäten. Die faszinierende Kameraarbeit arbeitet stark mit Weitwinkel-Objektiven, die eine halluzinatorische Wirkung erzeugen.
Verblüffend, dass solche Filme in den Mitt60ern mit großen Stars (Rock Hudson!) und etablierten Regisseuren möglich waren! Wer Paranoia-Thriller mag, muss „Seconds“ schauen.
„Seconds“ hat übrigens eine der besten Film Trivia ever:
„Seconds became known for its connection to the Beach Boys‘ Brian Wilson. The story, which originated in the October 1967 magazine article „Goodbye Surfing, Hello God!“, goes that when he arrived late to a theater showing of Seconds, he appeared to be greeted with the onscreen dialogue, „Come in, Mr. Wilson.“ He was convinced for some time that rival producer Phil Spector (one of the film’s investors) was taunting him through the movie, and that it was written about his recent traumatic experiences and intellectual pursuits, going so far as to note that „even the beach was in it, a whole thing about the beach.“ He later cancelled the Beach Boys‘ forthcoming album Smile, and the film reportedly frightened him so much that he did not visit another movie theater until 1982’s E.T. the Extra-Terrestrial.“
3. Der junge Törless (Regie: Volker Schlöndorff)
Für mich eine der besten Literaturverfilmungen der Geschichte: Völker Schlöndorff nimmt Robert Musil „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ und setzt ihn im gegenkulturellen Gestus der 60er um, so dass Musils Buch genau 60 Jahre nach Erscheinen eine fast unwirkliche Modernität annimmt. „Törless“ ist ein Aufschreien gegen Autorität, ein lautes Ja zum Ich und zum Anderssein. Kein Jahrzehnt als die 60er hätten sich besser für eine Verfilmung geeignet.
4. Jimmy Orpheus (Regie: Roland Klick)
Der erste (halbe) Spielfilm von Roland Klick erzählt von einem Wochenende eines proletarischen Drifters im Hamburg von 1966. Wunderbare schwarzweiß Bilder der Reeperbahn und ihrer Absteigen, ein sehr charismatischer, tobibamborschkehafter Klaus Schichan in der Hauptrolle und ein toller Soundtrack. Roland Klick ist wie der frühe Godard auf den Spuren des amerikanischen Genrekinos, mit nouvellevegue’schen Spielereien, aber ohne Verkopftheit: Es passiert nicht viel und doch will Jimmy Orpheus alles, und zwar jetzt. Und das ohne Grund.
This is Jimmy Orpheus / he’s got no cause to run
Working just for whiskey / living just for fun
Got no message for the world
He doesn’t care for idle talk
5. Masculin – Feminin oder: Die Kinder von Coca Cola (Regie: Jean-Luc Godard)
Würde man Godards Karriereverlauf – vom Ikonoklasten zum berühmtesten Regisseur der Welt hin zum Radikalen, zum Sichselbstverschwinder – nicht kennen, man könnte „Masculin, Feminin“ für das wilde Erstlingswerk eines später Großen halten. Aber das Gegenteil ist der Fall, „Masculin, Feminin“ markiert mehr das Ende der großen Godard-Phase, in der er das Kino neu erfand, aber noch innerhalb seiner Strukturen blieb. In „Masculin, Feminin“ dagegen zeichnet sich schon der Weg ab, den Godard nun gehen würde – kompromissloses Kino, mehr Agitprop als Arthouse wie in „Week-End“ bis er in seinen Groupe Dziga Vertov – Werken als Auteur hinter dem Willen zur Revolution verschwand.
„Masculin, Feminin“ hat vielleicht auch deshalb den Effekt, mehr im Nachhinein zu wirken als wirklich im Anschauen Vergnügen zu bereiten, zu zerrissen und abstrakt ist Godards Geschichte in 15 Akten über einen jungen Mann, eine junge Frau und ihre Clique. Chantal Goya spielt die typische Anna Karina – Rolle mit größerer Naivität und Jean-Pierre Leaud gibt seinem Paul („un homme instable“) die nötige Hybris mit.
Es bleiben mehr einzelne Sätze („We control our thoughts which mean nothing, and not our emotions which mean everything.“) und verschiedene Szenen im Gedächtnis als ein ganzer Film. Auch wird mir nicht wirklich klar, worauf Godard abzielt, außer eine Art Meta-Film über die Nouvelle Vague, seine Karriere und das Kino zu machen:
„We‘ went to the movies often. The screen would light up, and we’d feel a thrill. But Madelrine and I were usually disappointed. But Madeleine and I were usually disappointed. The images were dated and jumpy. Marilyn Monroe had aged badly. We felt sad. It wasn’t the movie of our dreams. It wasn’t the total film we carried inside ourselves. That film we would have liked to make, or more secretly, no doubt, the film we wanted to live.“
Favourite Fun Fact:
The film was shot in Sweden. Ingmar Bergman, not being a fan of Jean-Luc Godard, found out about the film, went to go and see it and called it „a classic case of Godard: mind-numbingly boring“.
6. The Wild Angels (Regie: Roger Corman)
Eines der legendärsten B-Movies aus Roger Cormans Filmfabrik. „The Wild Angels“ ist ein Outlaw-Biker-Film, der wirklich alles hat, was man bei diesem Genre erwarten kann: eine geile Tagline „Their credo is violence, their god is hate“, einen der ganz großen Filmsongs des Jahrzehnts (Dave Allan & The Arrows mit „Blues‘ Theme“), Peter Fonda, Nancy Sinatra und Bruce Dern in den Hauptrollen, einen Sarg mit Hakenkreuz und natürlich die berühmte Rede von Fonda als Heavenly Blues (was! für! ein! Rollenname!), die von Primal Scream für „Loaded“ gesampled wurde und als das Vater Unser der Counter Culture gelten darf:
Just what is it that you want to do?
We wanna be free
We wanna be free to do what we wanna do
And we wanna get loaded
And we wanna have a good time
That’s what we’re gonna do
(No way, baby, let’s go!)
We’re gonna have a good time
We’re gonna have a party
Leonard Maltin urteilte: „OK after about 24 beers“ und wer wäre ich, würd ich hier widersprechen!
7. Persona (Regie: Ingmar Bergman)
Selbst für Bergman-Verhältnisse einer der schwer zugänglichen Filme, aber als rätselhaftes Essay über Identität endlos analysiert und mit der berühmten „Verschmelzungs-Szene“ filmisch auch heute noch eine Referenz. „Persona“ wurde der „Mount Everest der Filmanalyse“ genannt und hat Filmhistoriker Peter Cowie zum Bonmot „Everything one says about Persona may be contradicted; the opposite will also be true“ geführt. Der Einfluss auf David Lynch ist nicht zu übersehen.
8. Playgirl – Berlin ist eine Sünde wert (Regie: Will Tremper)
Unverständlich, warum Will Tremper praktisch aus den Filmerinnerungen getilgt ist, war er doch mit „Die Endlose Nacht“ und eben „Playgirl“ einer der ersten deutschen Regisseure, der den spielerischen Regelbruch der Nouvelle Vague in Deutschland umsetzte. „Playgirl“ ist darüber hinaus ein Showcase für Eva Renzi, die hier einen Wirbelwind und eine Femme Fatale spielt und diesen Film owned.
9. Der Glückspilz (Regie: Billy Wilder)
Einer der großen Walter Matthau / Jack Lemmon – Filme und neben „The Apartment“ und „Some Like It Hot“ wichtigster Eintrag in Billy Wilders beeindruckende Filmographie. Matthau gewann für „The Fortune Cookie“ seinen einzigen Oscar. Das Lexikon des Internationalen Films schreibt: „Eine brillant inszenierte hintergründig-schwarze Komödie, die Geldgier, Dummheit, Scheinheiligkeit und Vorurteile attackiert und erst mit dem (nicht unbedingt motivierten) Ende Menschlichkeit und Freundschaft über Beutelschneiderei und Rechtsverdrehung siegen läßt. Hervorragend gespielte, intelligente Unterhaltung, getragen von sarkastischem Witz.“
10. Das Geheimnis des Dr. Z (Regie: Jesus Franco)
https://www.youtube.com/watch?v=ktln8OK7c1k
Entgegen meiner Erwartung ist Jesus Francos „Das Geheimnis des Dr. Z“ gar nicht trashig (abgesehen vielleicht von der grundsätzlichen Trashiness der eher unklar erzählten Dr. Frankenstein – Variation im Zentrum der Geschichte), sondern schwarz-weiß elegant in tolle Bilder gekleidet. Gerade Kostüme und Settings sind stark, die Aufnahmen mit ihrem maximalen Kontrast beinah expressionistisch und Georges Franjus Horrorklassiker „Les yeux sans visage“ nicht unverwandt.
Eine doch recht unbekannte, vergessene Perle.
Retrospektive 1966:
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Im Rahmen einer groß angelegten Retrospektive, die auf eine Idee meines Freundes Lassie zurückgeht und in einem der letzten Podcasts mit Horst Motor zur Umsetzung gebracht wurde, blicken wir gemeinsam auf ein Jahr zurück und nominieren die besten Songs, Alben und Filme. Wer die Rankings der beiden ebenfalls lesen will und zudem die schöner aufbereiteten Listings finden will, kann sich hier auf motorhorst.de direkt vergnügen.
Ja, gerade „Blow Up“ ist ein interessanter Punkt, weil man hier sieht, dass Antonioni das „Swinging London“ praktisch in Echtzeit aufgesogen und repräsentiert hat – üblicherweise geschieht so ein szenengefärbter Einblick ja eher in der Retrospektive und selten im Moment des Stattfindens. Noch erstaunlicher, dass „Blow Up“ eben kein schnell zusammengeschusterter Trittbrettfahrer ist, sondern ein künstlerisch – formell wie inhaltlich – wahnsinnig detailliertes Werk.