Wie hier ausführlich berichtet (taz-Blogs vom 22.01., 27.01., 02.02. und 11.02.2023) ermittelte die Staatsschutz-Abteilung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zunächst gegen zwei Redakteure des Freiburger freien Senders Radio Dreyeckland. Während das Verfahren gegen den medienrechtlich verantwortlichen Redakteur eingestellt wurde, erhob die Staatsanwaltschaft Ende April Anklage (s. taz-Blogs vom 05.05.2023) gegen den Autor eines Artikels auf der Webseite des Senders, durch dessen Veröffentlichung er die angebliche „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ (gemeint ist der frühere BetreiberInnenkreis der 2017 eingestellten internet-Zeitung linksunten.indymedia) „unterstützt“ haben soll.
Mit dieser Anklage erlitt die Staatsanwaltschaft vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Karlsruhe Schiffbruch (siehe dazu meine Artikel an anderer Stelle vom 19.05. und 31.05.2023): Das Landgericht lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Kienert ab. Die angeblich unterstützte Vereinigung habe zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des inkriminierten Artikels nicht mehr existiert; folglich habe sie auch nicht mehr unterstützt werden können. Außerdem sei dem Artikel auch keine eindeutig unterstützende Tendenz nachzuweisen.
Trotzdem mochte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nicht klein beigeben und legte Beschwerde gegen den Nicht-Eröffnungs-Beschluß ein. Für die Beschwerde ist nun der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart zuständig (Aktenzeichen: 2 Ws 2/23).
Der heisige Artikel als .pdf-Datei: http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/06/Mit_leeren_Haenden.pdf (13 Seiten).
Bisher lehnte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe Auskünfte zum Inhalt der Beschwerdebegründung unter Hinweis darauf ab, daß diese auch dem angeschuldigten Redakteur bzw. seiner Anwältin noch nicht zugegangen sei. Nachdem mir die Pressestelle des Oberlandesgerichts Stuttgart am Montagmorgen mitgeteilt hatte, „die Beschwerdebegründung wurde der Rechtsanwältin des Beschuldigten bereits letzte Woche per Fax übermittelt“, richtete ich am selben Tage eine ganze Reihe von konkreten Fragen an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe (siehe unten). Mich interessierte und interessiert weiterhin, welche Argumente die Staatsanwaltschaft Karlsruhe meint, der Entscheidung der Landgerichts entgegensetzen zu können.
Auskunft der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zur Beschwerdebegründung
Es sei hier zunächst die aus zwei Absätzen bestehende inhaltliche Antwort der Staatsanwaltschaft auf meine Fragen wiedergegeben:
„I.
Die Unterstützung des organisatorischen Zusammenhalts einer unanfechtbar verbotenen Vereinigung im Sinne des § 85 Abs. 2 StGB setzt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung voraus, dass das Handeln des Täters auf die Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts gerichtet und geeignet ist, eine für diesen vorteilhafte Wirkung hervorzurufen (vgl. BGH NJW 2005, 2164). Diese Eignung für die Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts wird im konkreten Einzelfall insbesondere dadurch erreicht, dass der Angeschuldigte mittels einer Verlinkung des vollständigen Vereinsarchivs sämtliche Inhalte der verbotenen Vereinigung weiterverbreitet und dieser damit eine fortdauernde (vergrößerte) Reichweite verschafft hat. Dieses Vorgehen diente nach hiesiger Wertung nach seinem Sinn und Zweck gerade der Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts des verbotenen Vereins. Denn Ziel und Zweck der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ war gerade der Betrieb und die Bereitstellung der gleichnamigen Internetpräsenz.
II.
Nach hiesigem Dafürhalten ergibt sich eine Strafbarkeit im konkreten Einzelfall aus einer wertenden Gesamtschau. Insoweit darf ich ergänzend auch auf die bisherige Korrespondenz verweisen.“
Die BGH-Entscheidung, auf die sich die Staatsanwaltschaft Karlsruhe beruft
Die von der Pressestelle der Staatsanwaltschaft Karlsruhe genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist auf der Webseite des Bundesgerichtshofs frei zugänglich:
In der Tat heißt es in der Entscheidung zwar, die Strafbarkeit gemäß dem – dem § 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch (um den ist im Fall „Radio Dreyeckland“ geht) ähnlichen – § 20 Absatz 1 Nr. 3 Vereinsgesetz setze „voraus, daß das Handeln des Täters auf die Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts abzielt und geeignet ist, eine für den organisatorischen Zusammenhalt der verbotenen Vereinigung vorteilhafte Wirkung hervorzurufen“ (S. 7 unten). Damit ist aber nicht gesagt, daß die Vereinigung gar nicht mehr existieren müsse, um noch (in ihrem organisatorischen Zusammenhalt oder in ihrer weiterer Betätigung) unterstützt werden zu können. Denn eine Handlung, die hundertmal darauf ‚abzielen‘ mag, eine bestimmte Vereinigung zu unterstützen, ist objektiv ungeeignet, diesen Effekt zu erzielen, wenn diese Vereinigung nicht mehr existiert.
Folglich stellt der BGH auch in der von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe angeführten Entscheidung (wie auch in anderen Entscheidungen, die das Landgericht Karlsruhe in seinem Nicht-Eröffnungs-Beschluß angeführt hatte1) darauf ab, daß die dort in Rede stehende Vereinigung zum dort in Rede stehenden Tatzeitpunkt noch existierte (es wäre überflüssig und auch in der Praxis jedenfalls sehr ungewöhnlich, wenn der BGH die Fortexistenz der Vereinigung prüfen würde [bzw. genauer: prüfen würde, ob die Vorinstanz die Fortexistenz der Vereinigung rechtsfehlerfrei angenommen hat], wenn es für die Rechtmäßigkeit der Verurteilung des Angeklagten gar nicht darauf ankäme, ob die Vereinigung zum Tatzeitpunkt noch existierte):
„Der ‚Kalifatsstaat‘ war zum Zeitpunkt der Tat verboten. Der vor dem Verbot unzweifelhaft gegebene organisatorische Zusammenhalt (zur Definition dieses Begriffs BGHSt 20, 287, 289) bestand auch danach fort. Der Revision ist zwar zuzugeben, daß das angefochtene Urteil nähere Darlegungen zum Fortbestand des organisatorischen Zusammenhalts vermissen läßt. Seine Feststellung kann aber der Gesamtheit der Urteilsgründe noch mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden. So implizieren bereits die Wendungen des Landgerichts, nach denen der Angeklagte auch nach Erlaß der Verbotsverfügung für den ‚Kalifatsstaat‘ unterstützend tätig war, ihn in Kenntnis des Verbots unterstützte oder Hausbesuche durchführte mit dem Ziel, weitere Anhänger für den verbotenen Verein zu gewinnen, daß der ‚Kalifatsstaat‘ – nach Überzeugung der Strafkammer – fortbestanden hat. Hierfür spricht auch der Umstand, daß der ‚Kalifatsstaat‘ die verbandseigene Zeitung bereits seit 1998 herausgab und dazu auch nahtlos im Anschluß an die Verbotsverfügung in der Lage war. Sowohl vor als auch nach dem Erlaß des Verbots handelte es sich um eine regelmäßig wöchentlich erscheinende Zeitschrift mit einer beträchtlichen Auflage, wie etwa der sich aus dem Urteil ergebende Umstand zeigt, daß der Angeklagte von einer Ausgabe bis zu 90 Exemplare vorhielt. Es wurde lediglich der Name der Zeitung geändert, die Zeitschrifteninhalte waren gleichartig. In den Beiträgen werden jeweils Ziele und Gedankengut des Vereins, insbesondere die Errichtung eines weltumspannenden islamisch geprägten Staates mit Kaplan als politischem Oberhaupt und die Unvereinbarkeit der demokratischen Staatsform mit dem Islam, weiterhin unverändert vertreten. All dies und die Bewältigung des weiteren mit der Herausgabe und Verbreitung einer Wochenzeitung verbundenen Aufwands waren für das Landgericht ersichtlich Gründe dafür, vom Fortbestand des verbotenen Vereins auszugehen.“ (S. 6 f.)
Wie diese BGH-Entscheidung geeignet sein soll, die Auffassung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zu stützen, es sei nicht erforderlich, daß eine (verbotene) Vereinigung – trotz des Verbots – weiterhin existiert, um sie (weiterhin) unterstützen zu können, bleibt leider das Geheimnis der Staatsanwaltschaft Karlsruhe.
Meine ursprünglichen Fragen an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe
Dabei hatte die Staatsanwaltschaft schon auf meine Fragen vom Montagvormittag Gelegenheit gehabt, ihre etwaigen Argumente gegen die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Gerne hätte ich die konkreten Fragen auch mit konkreten Antworten veröffentlicht – da konkrete Antworten ausgeblieben sind, hier nun leider nur die ursprünglichen Fragen und drei weitere Fragen, die ich nach Eingang der oben zitierten zwei Absätze stellte (nebst Rückantwort der Staatsanwaltschaft dazu).
A.
Wie begründet die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde?
B.
Konkreter Gefragt:
I. „Organisationsidentität“ bzw. „-kontinutität“
1. Wie (mit welchen Argumenten und/oder Fundstellen) wendet sich Staatsanwaltschaft gegen die Auffassungen des Landgerichts:
-
„§ 85 Abs. 2 StGB setzt die objektive Existenz einer Vereinigung der in § 85 Abs. 1 StGB bezeichneten Art im Zeitpunkt der Vornahme der Unterstützungshandlung voraus.“ (S. 4)
-
Es „kann bereits nicht von einer […] objektiven Existenz einer Vereinigung der in § 85 Abs. 1 StGB bezeichneten Art zum Zeitpunkt der Tathandlung ausgegangen werden. Ein Fortbestehen einer solchen Vereinigung ist weder in der Anklage beschrieben, noch durch den Akteninhalt belegt und auch nicht sonst ersichtlich [dazu unter 1. b)].“ (ebd.)
2. Auf S. 12 des Landgericht Beschlusses heißt es:
„Aus der Ausgestaltung als Gefährdungsdelikt, das keinen auf Grund der Tat eingetretenen Erfolg und keinen messbaren Nutzen der Tathandlung voraussetzt, scheint die Staatsanwaltschaft abzuleiten, dass das (Fort-)bestehen einer verbotenen Vereinigung als Bezugspunkt der Unterstützungshandlung nicht erforderlich sei.“
a) Fühlt sich die Staatsanwaltschaft diesbzgl. („scheint die Staatsanwaltschaft abzuleiten“) korrekt verstanden oder mißverstanden?
b) Falls Sie sich mißverstanden fühlen: Wie stellt die Staatsanwaltschaft ihre (Rechts)Auffassung nunmehr klar?
c) Falls Sie sich korrekt verstanden fühlen:
Herr Dr. Hörster hatten mir schon im Februar auf meine damit in Zusammenhang stehenden Fragen geantwortet: „Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das keinen konkreten Erfolg voraussetzt.“ usw.
Dazu hatte ich dann in meinem damaligen Artikel geschrieben:
„Dies können wir wohl dahingehend verstehen, daß auch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nicht bestreitet, daß der vormals hinter dem Veröffentlichungs- und Diskussionsportal unter der Adresse http://linksunten.indymedia.org ‚stehenden Personenzusammenschluss‘ (Bundesverwaltungsgericht) [32] nicht mehr existiert.
Im übrigen ist zu dem Zitat folgendes anzumerken:
Ja, § 85 StGB ist ein sog. ‚abstraktes Gefährdungsdelikt‘. Das heißt aber bloß, daß nicht nachgewiesen werden muß, daß die Vereinigung dem ‚demokratischen Rechtsstaat‘ tatsächlich einen Schaden zufügt; es genügt, daß die Vereinigung trotz des Verbotes noch existiert, daß sich Leute dort mitgliedschaftlich betätigen oder daß Leute den ‚organisatorischen Zusammenhalt‘ oder die ‚weitere Betätigung‘ der verbotenen Vereinigung unterstützen (Absatz 2) oder daß es sog. ‚Rädelsführer und Hinterm[ä]nn[er]‘ (Absatz 1) gibt.
Das ändert aber nichts daran, daß die Vereinigung existieren muß, damit es möglich ist, sich in dieser mitgliedschaftlich zu betätigen oder sie zu unterstützen, dort das Zepter zu schwingen (RädelführerInnen) oder sie von außen zu steuern (‚Hintermann‘).“ (https://blogs.taz.de/theorie-praxis/vollkommen-uebertrieben-und-nach-unserer-auffassung-nicht-begruendbar-chaos-computer-club/)
Wie ich Herrn Dr. Hörster dann am 19.5. (ohne eine inhaltliche Antwort zu diesem Punkt erhalten) schrieb, ist das „ja nun ziemlich genau das, was auch das Landgericht [16.05.2023] sagt; und auch eine BVerfG-Entscheidung aus dem Jahre 1969 (1 BvR 323/66), die auf derselben Linie liegt, wie die von mir angeführte Entscheidung des BVerfG (E 25, 44) aus demselben Jahre, erwähnt das Landgericht (S. 20 unten).“
Daher nunmehr wie folgt gefragt:
aa) Was setzt die Staatsanwaltschaft der Auffassung entgegen,
-
daß für eine Verwirklichung der Straftatbestände der § 84 ff. StGB zwar eine abstrakte Gefährdung der „demokratischen Rechtsstaats“ genüge,
-
daß aber – wenn sich auch diese Gefahr nicht realisieren muß – so doch zumindest mal die Organisation (fort)bestehen muß, in der sich mitgliedschaftlich betätigt oder die unterstützt worden sein soll, wenn es möglich sein soll, dort Mitglied zu sein bzw. die Organisation zu unterstützen?
bb) Was sagt die Staatsanwaltschaft diesbzgl. zum Begriff der „Organisationsidentität“ bzw. „-kontinutität“?
„Staatsanwaltschaft und Strafgericht müssen […] in eigener Verantwortung2 entscheiden, ob […] es sich bei der betreffenden Vereinigung um die nämliche Partei handelt, die trotz Verbots nach Art. 21 Abs. 2 GG fortbesteht. […]. Voraussetzung für eine derartige Identität ist, dass der organisatorische Apparat und seine Träger im Wesentlichen dieselben geblieben sind.“ (Steinmetz, in: MüKo-StGB, 20173, § 84, RN 8)
„Voraussetzung für eine derartige Identität ist, dass der organisatorische Zusammenhalt der ursprünglichen Partei aufrechterhalten wird, etwa indem der organisatorische Apparat und seine Träger im Wesentlichen dieselben geblieben sind. Darum sind Feststellungen zur personellen und organisatorischen Identität und zur Kontinuität der Sachelemente erforderlich.“ (Anstötz, in: MüKo-StGB, 20214, § 84, RN 9)
cc) Teilen Sie die Auffassung, daß die Auffassung von Steinmetz und Anstötz, die sinngemäß auch in den anderen Kommentierungen zu § 84 StGB (und auch zu § 20 VereinsG) vertreten wird, auch für § 85 StGB gilt? Oder halten Sie die Auffassung von Steinmetz [und Anstötz] sowohl für § 84 als auch § 85 StGB als auch § 20 VereinsG für unzutreffend?
II. „zu eigen machen“ von Positionen der angeblichen „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“
Das Amtsgericht Karlsruhe hatte in seinem Durchsuchungsbeschluß argumentiert:
„Eine Strafbarkeit des oder der Verantwortlichen des gegenständlichen Artikels gem. § 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB ist […] jedenfalls dann gegeben, wenn diese sich gleichsam ‚als Sprachrohr‘ bzw. ‚verlängerter Arm‘ der mit einem Betätigungsverbot belegten Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ in deren Dienst stellen und diese dadurch unterstützen. Dies ist unter anderem deshalb zu bejahen, weil einerseits bei der Aufmachung des Artikels bereits als zentrale Aussage das bildliche Statement ‚Wir sind alle linksunten‘ gewählt wurde, was von dem angesprochenen Leserkreis zweifelsohne als eine sich die unterstützende Tendenz zu eigen machende Meinungsäußerung der Verfasser verstanden werden muss. Andererseits lassen die Verfasser neben der Wiedergabe der zentralen Vereinstätigkeit durch Verlinkung eines Archivs der gesamten Vereinstätigkeit auch im redaktionellen und journalistischen Zusammenhang deutlich ihre Zielsetzung und Unterstützung der verbotenen Vereinstätigkeit erkennen, da sie in dem verfassten Artikel – insoweit eindeutig fürsprechend – von dem ‚konstruierten‘ Verein ‚Indymedia Linksunten‘ sprechen.“
1. Gehe ich recht in der Annahme, daß dies auch die Begründung der Staatsanwaltschaft für die Beantragung des Durchsuchungsbeschlusses sowie in der Anklageschrift war?
Falls nein: Wie hatte die Staatsanwaltschaft dann statt dessen argumentiert?
2. Zur Bebilderung des inkriminierten Artikels argumentiert das Landgericht:
Es „muss berücksichtigt werden, dass auch die Bebilderung in Presseartikeln überwiegend dazu dient, die Aufmerksamkeit des Lesers auf Artikel zu lenken. In Artikeln zu findende Abbildungen werden – nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums – nicht ohne Weiteres dem Autor als dessen Meinung entsprechend zugerechnet. Dies gilt gerade auch für Schriftzüge – seien diese nun auf Plakaten von Demonstrierenden oder wie hier als Graffiti auf einer Hauswand zu lesen. Der verständige Leser geht nicht ohne Weiteres davon aus, dass der Autor sich die auf dem Bild zu sehenden Schriftzüge zu eigen macht. Im verfahrensgegenständlichen Artikel wird die Wirkung der Bebilderung – wenn auch in einer kleingeschriebenen, in der Presse aber üblichen Bildunterschrift – dadurch relativiert, dass hinsichtlich des auf der Hauswand zu lesenden Schriftzugs ‚Wir sind alle linksunten‘ angemerkt wird: ‚ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.‘ Eine eindeutig unterstützende Zielrichtung kann folglich auch insoweit nicht konstatiert werden.“ (S. 26 f.)
Welche(s) Gegenargument(e) setzt die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung der Auffassung des Landgerichts entgegen?
3. Zur inkriminierten Formulierung „‚konstruierten‘ Verein ‚Indymedia Linksunten‘“ argumentiert das Landgericht:
„Was die im Text des Artikels zweimal zu findende Formulierung ‚der konstruierte Verein Indymedia Linksunten‘ angeht, so lässt sich diese für einen unbefangenen Betrachter dahingehend verstehen, dass der Artikel bzw. der Autor der Art und Weise des Verbots der Vereinigung kritisch gegenübersteht. Dass es gar keinen Verein ‚linksunten.indymedia‘ gebe, es sich lediglich um ein Nachrichtenportal handele, das nicht dem Vereinsrecht, sondern dem Telemedienrecht unterfalle, war eines der insbesondere auch vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die Verbotsverfügung vorgebrachten Argumente (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.01.2020 – 6 A 5.19; BVerfG, Beschl. v. 01.02.2023 – 1 BvR 1336/20 u.a.; vgl. hierzu kritisch Werdermann, NVwZ 2019, 1005; befürwortend Baudewin, NVwZ 2021, 1021). Im Zeitpunkt des Artikels war die diesbezügliche Verfassungsbeschwerde noch nicht verbeschieden. Wie bereits oben ausgeführt kann allein die Kritik an der Art und Weise eines Vereinigungsverbots nicht automatisch mit einer die Vereinigung gutheißenden Äußerung gleichgesetzt werden. Die Beschreibung als ‚konstruierter‘ Verein kann daher nicht ohne Weiteres als – im Hinblick auf die verbotene Vereinigung – eindeutig fürsprechend ausgelegt werden. Dass von der Kritik an der Art des Verbots einer Vereinigung irgendwie geartete Sympathiewirkung ausgeht, ist als bloß reflexartig einzuordnen und (allein) nicht ausreichend, um von einer Unterstützung der verbotenen Vereinigung auszugehen.“ (S. 26)
Welche(s) Gegenargument(e) setzt die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung der Auffassung des Landgerichts entgegen?
4. Das Amtsgericht sprach von „Wiedergabe der zentralen Vereinstätigkeit durch Verlinkung eines Archivs der gesamten Vereinstätigkeit“. Dazu argumentiert das Landgericht:
„der Inhalt der durch einen Link in Bezug genommenen Internetseite wird – nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums – nicht schon qua Verlinkung zum Teil der vom Presseorgan geäußerten eigenen Meinung (so auch BVerfG, Beschl. v. 15.12.2011 – 1 BvR 1248/11 = NJW 2012, 1205, 1206 Rn. 35), sondern kann auch schlicht dem einfachen Zugang zu den verwendeten Quellen dienen.“ (S. 27)
„Die hier gewählte Formulierung ‚Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite‘ kann – zunächst isoliert betrachtet – nur schwerlich als ‚Werbung‘ oder ‚Fürsprache‘ aufgefasst werden. Sie ist für den verständigen Durchschnittsleser bloß neutraler Hinweis auf das Vorhandensein der Archivseite.“ (ebd.)
Welche(s) Gegenargument(e) setzt die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung der Auffassung des Landgerichts entgegen?
Drei Nachfragen an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe von Montag, den 5. Juni
Da ich auf all diese konkreten Fragen nur die beiden weiter oben zitierten Absätze als Pauschal-Antworten zu I. und II. erhielt, stellte ich noch drei Nachfragen:
zu Ihrer Antwort I.:
1. Darf ich Ihre Antwort I. dahingehend verstehen, daß die StA Karlsruhe der Auffassung ist, eine Handlung könnte auch dann zur Unterstützung einer (unanfechtbar verbotenen) Vereinigung geeignet sein, wenn diese Vereinigung im Handlungs- = Tatzeitpunkt gar nicht mehr existierte?
2. Falls ja:
Meint die StA Karlsruhe das Oberlandesgericht Stuttgart von dieser Auffassung überzeugen können,
-
ohne sich explizit mit der Auffassung des Landgerichts auseinanderzusetzen, das Fortbestehen des Verbotsobjektes im Tatzeitpunkt sei Voraussetzung für die Möglichkeit, das Verbotsobjekt zu unterstützen,
und
-
ohne sich mit den vom Landgericht für seine Auffassung angeführten Fundstellen3 und damit, wie die angeführten Entscheidungen vom Landgericht verstanden werden, auseinanderzusetzen?
zu Ihrer Antwort II.:
Meint die StA Karlsruhe das Oberlandesgericht von ihrer „wertenden Gesamtschau“ in Bezug auf den inkriminierten Artikel überzeugen zu können, ohne in der Beschwerdebegründung konkret auf die landgerichtliche Auslegung jener Textstellen, auf die sich der amtsgerichtliche Durchsuchungsbeschluß meinte, für die nämliche „wertenden Gesamtschau“ berufen zu können, [einzugehen]?
Die zweite Antwort der Staatsanwaltschaft Karlsruhe von Montag, den 5. Juni
Die Rückantwort der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zu diesen drei Nachfragen lautete:
„ich darf auf meine vorangegangene, abschließende Auskunft sowie die bisherige (ausführliche) Korrespondenz verweisen. Es gilt nun, die Entscheidung des OLG Stuttgart abzuwarten.“
Die oben zitierten Ausführungen des Landgerichts sind nicht an einem Abend in weinseeliger Stimmung entstanden
Auch sind die oben zitierten Ausführungen von Seite 26 f., 26 und 27 des Landgerichts-Beschlusses nichts, was sich das Gericht an einem Abend in weinseeliger Stimmung einfach ausgedacht hat, sondern sie beruhen insbesondere auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs:
Quelle 1 des Landgerichts Karlsruhe: Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 04.08.1995 zum Aktenzeichen 2 BJs 183/91 – 3 StB 31/95
Die Formulierung, „In Artikeln zu findende Abbildungen werden – nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums – nicht ohne Weiteres dem Autor als dessen Meinung entsprechend zugerechnet. Dies gilt gerade auch für Schriftzüge – seien diese nun auf Plakaten von Demonstrierenden oder wie hier als Graffiti auf einer Hauswand zu lesen“, ist angelehnt eine BGH-Entscheidung zu einem Plakat, das die von der RAF gesprengte – noch nicht in Betrieb genommen gewesene – Justizvollzugsanstalt Weiterstadt zeigt. In dieser BGH-Entscheidung hieß es:
„Die Anklage sieht in der Abbildung des durch einen Sprengstoffanschlag schwer beschädigten Gebäudes der JVA Weiterstadt eine Werbung für die RAF als Organisation. […]. Demgegenüber hat das OLG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (BGHSt 33, 16 [18] = NJW 1984, 29564) dem Inhalt des Plakats mit Recht die objektive Eignung zur Werbung für die RAF und die eindeutige Erkennbarkeit des werbenden Charakters abgesprochen. In der angefochtenen Entscheidung wird mit ausführlicher und zutreffender Begründung dargelegt, daß die Abbildung der Bauruine Weiterstadt nur als relativ undeutlicher Hintergrund dient und gegenüber der Werbung für die eigenen Anliegen der ‚Antifaschistischen Aktion‘ durch die herausgehobene Wiedergabe ihrer Symbole, Fahnen und des ‚Schwarzen Blocks‘ zurücktritt, während Symbole der RAF gerade nicht abgebildet werden. In der gebotenen Gesamtbetrachtung des bildlichen Inhalts und der Textpassagen (vgl. BGH, NStZ 1985, 2635) ergibt sich als Kernaussage des Plakats die Forderung nach einem gemeinsamen Eintreten des linksextremen Spektrums für den ‚Kampf gegen die Klassenjustiz‘, die ‚Entkriminalisierung des revolutionären Widerstandes‘ und nach Freilassung aller Gefangenen aus ‚RAF, Widerstand und Antifa‘.“
(BGH NJW 1995, 3395 – 3396 [33956])
Allein die Veröffentlichung eines Fotos eines zerstörten Knasts ist also noch keine Billigung o.ä., daß der abgebildete Knast zerstört wurde und allein auch noch keine Werbung für die für die Zerstörung verantwortliche Vereinigung. Folglich ist auch allein die Veröffentlichung eines Fotos, das eine Parole auf einer Hauswand zeigt, noch keine Billigung der Parole oder Unterstützung einer Vereinigung, die ggf. Thema (Gegenstand) der Parole ist.
Quelle 2 und 3 des Landgerichts Karlsruhe: Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26.09.2006 zum Az. 1 BvR 605/04 sowie Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 03.11.2005 zum Az. 3 StR 333/05
Die Formulierung, „Dass von der Kritik an der Art des Verbots einer Vereinigung irgendwie geartete Sympathiewirkung ausgeht, ist als bloß reflexartig einzuordnen und (allein) nicht ausreichend, um von einer Unterstützung der verbotenen Vereinigung auszugehen“, geht zurück auf
-
- den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26.09.2006 zum Az. 1 BvR 605/047; dort hieß es bei Textziffer 56:
„Die mit einem Eintreten für eine Aufhebung des Verbots [dort: des PKK-Verbotes] verbundenen Solidarisierungseffekte sind, auch dann, wenn damit zugleich eine Sympathie für die verbotene Vereinigung ausgedrückt wird, im Interesse der freien Meinungsäußerung hinzunehmen (vgl. BVerfG, NVwZ 2002, 709 <7108>).“
und
-
-
- die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 03.11.2005 zum Az. 3 StR 333/059; dort heißt es auf S. 4
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„bloße Unterstützungshandlungen, die nicht unmittelbar die Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts zum Ziel haben oder ihn allenfalls reflexartig fördern, genügen dabei ebenso wenig wie Unterstützungshandlungen von nur untergeordneter Bedeutung (vgl. BGHSt 26, 25610, 260 f.).“
Quelle 4 und 5 des Landgerichts Karlsruhe: Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.2011 zum 1 BvR 1248/11 und Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 04.12.2018 zum Aktenzeichen 11257/16
Für die Formulierung, „der Inhalt der durch einen Link in Bezug genommenen Internetseite wird – nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums – nicht schon qua Verlinkung zum Teil der vom Presseorgan geäußerten eigenen Meinung“, nennt das Landgericht selbst sogleich an Ort und Stelle die Quelle – nämlich: den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.2011 zum 1 BvR 1248/1111. Dort hieß es bei Textziffer 35:
„der Inhalt der durch einen Link in Bezug genommenen Internetseite [wird] nicht schon qua Verlinkung zum Teil der vom Presseorgan geäußerten eigenen Meinung.“
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte in einer Entscheidung12:
„(74) Hyperlinks als Mittel der Berichterstattung sind wesentlich von traditionellen Akten der Veröffentlichung zu unterscheiden, da sie Nutzer als allgemeine Regel lediglich zu Inhalten weiterleiten, die anderswo im Internet verfügbar sind. Sie präsentieren die verlinkten Äußerungen nicht dem Publikum oder teilen ihre Inhalte mit, sondern dienen nur dazu, die Aufmerksamkeit der Leser auf die Existenz von Material auf einer anderen Webseite zu lenken.“
Zum dort konkret entschiedenen Fall stellte der EuGHMR auf Folgendes ab:
„(79) Der Autor bezog sich im Artikel nirgends darauf, dass die über den Hyperlink zugänglichen Äußerungen wahr wären oder dass er dem verlinkten Material zustimmen oder die Verantwortung dafür übernehmen würde. Auch verwendete er den Hyperlink nicht in einem Kontext, der für sich eine diffamierende Bedeutung vermittelte. Es kann daher der Schluss gezogen werden, dass der strittige Artikel den angefochtenen Inhalt nicht befürwortete.“
Eine bloße Verlinkung bedeutet also noch kein Zueigenmachen; es gibt auch keine Pflicht zur Distanzierung13; es genügt zu unterlassen, den verlinkten Äußerungen zuzustimmen, sie für wahr zu erklären oder für sie die Verantwortung zu übernehmen.
Resümee: Eine Beschwerde ohne Sinn und Verstand?
Nach alledem stellt sich die Frage, warum die Staatsanwaltschaft Karlsruhe überhaupt Beschwerde eingelegt hat, wenn sie doch augenscheinlich keinerlei Argumente hat oder es jedenfalls vorzieht, sie für sich zu behalten14:
-
-
- Die Staatsanwaltschaft führt nicht einmal irgendeine entlegene Mindermeinung aus Literatur oder Instanzrechtsprechung an.
- Sie unternimmt nicht einmal den Versuch zu argumentieren, das Landgericht habe die von ihm angeführten BGH- und BVerfG-Entscheidungen mißverstanden (was allerdings in der Tat ein aussichtsloser Versuch wäre);
- sie unternimmt auch keinen Versuch zu argumentieren, die Rechtslage habe sich seit den angeführten Entscheidungen geändert (was zwar prinzipiell zutreffend ist, aber nicht in Bezug auf den hier interessierenden Punkt, daß nur existierende Vereinigungen unterstützt werden können).
- Schon gar nicht unternimmt die Staatsanwaltschaft Karlsruhe den Versuch darzulegen, daß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts unzutreffend sei und
- § 85 Strafgesetzbuch widerspreche, weil sie zu Unrecht davon ausgehe, daß nur existierende Vereinigungen in (ggf. strafbarer Weise) unterstützen werden können,sowie
- Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz widerspreche, weil sie den Schutzbereich der Medienfreiheiten zu weit ziehe.
-
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe stellt nicht einmal zu dem Satz auf S. 12 des Landgericht-Beschlusses:
„Aus der Ausgestaltung als Gefährdungsdelikt, das keinen auf Grund der Tat eingetretenen Erfolg und keinen messbaren Nutzen der Tathandlung voraussetzt, scheint die Staatsanwaltschaft abzuleiten, dass das (Fort-)bestehen einer verbotenen Vereinigung als Bezugspunkt der Unterstützungshandlung nicht erforderlich sei“ (meine Hv.),
klar, ob sie tatsächlich der Auffassung ist, „dass das (Fort-)bestehen einer verbotenen Vereinigung als Bezugspunkt der Unterstützungshandlung nicht erforderlich sei“, oder ob sie vielmehr der Auffassung ist, das Fortbestehen sei schon erforderlich, aber hier gegeben. Allerdings hatte mir ja die Staatsanwaltschaft Karlsruhe im Mai 2023 auf meine Frage,
„Hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe den gleichen Kenntnisstand wie das Bundesinnenministerium? Oder geht die StA von einer Fortexistenz des Vereins aus?“
und Weiterleitung einer mail des BMI aus dem Februar, mit der dieses Kenntnis von einer eventuellen Fortsetzung der nämlichen Vereinigung verneinte15, geantwortet:
„Hier liegen keine über die übersandte Antwort des BMI hinausgehenden Erkenntnisse vor.“16
Auf welcher argumentativen Grundlage möchte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe also vor dem Oberlandesgericht erfolgreich sein? Oder erfolgte die Beschwerdeeinlegung ohne Sinn und Verstand? Oder spekuliert die Staatsanwaltschaft Karlsruhe darauf, das Oberlandesgericht werde der Beschwerde ohne Argumente (das heißt: aus sachfremden Gründen) stattgeben?
Postskriptum zu dem sich versteckenden baden-württenbergischen Justizministerium
Vor dem vorstehend dargelegten Hintergrund wandte ich mich auch noch einmal an das baden-württembergische Justizministerium, das mir im Mai mitgeteilt hatte:
„in Baden-Württemberg [ist] der Prüfungsmaßstab für das externe Weisungsrecht“ gegenüber den Staatsanwaltschaften „in ständiger Selbstbindung des Ministeriums der Justiz und für Migration grundsätzlich nur die rechtliche Vertretbarkeit des staatsanwaltschaftlichen Handelns im konkreten Einzelfall“.
Daran anknüpfend fragte ich nunmehr:
„1. Ist dem Ministerium die Begründung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe für deren Beschwerde gegen den Nicht-Eröffnungs-Beschluß des Landgerichts Karlsruhe in der Strafsache gegen Kienert bekannt (das Aktenzeichen des OLG Stuttgart zu der Beschwerde lautet nach dessen Auskunft: 2 Ws 2/23)?
2. Hat das Ministerium bereits eine Überprüfung der rechtlichen Vertretbarkeit der Beschwerdeeinlegung vorgenommen? (Anmerkung: Unstrittig ist die Beschwerdeeinlegung zulässig; meine Frage nach der rechtlichen Vertretbarkeit zielt auf den Begründetheits-Aspekt der Beschwerde[-Begründung].).
3. Falls ja: Zu welchem Ergebnis ist das Ministerium bei seiner Überprüfung gelangt? Welche rechtlichen Erwägungen waren dafür ausschlaggebend?“
Außerdem sandte ich dem Ministerium einen fast fertigen Entwurf für den hiesigen Artikel und stellte dazu folgende Fragen:
„1. Teilt das Ministerium den von mir – anhand der von mir erteilten Auskünfte der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zu der Beschwerdebegründung – gewonnen Eindruck, daß diese in ihrer Beschwerdebegründung nicht konkret zu den konkreten Argumenten des Landgerichts (bzgl. Notwendigkeit des Fortbestandes der angeblich unterstützten Vereinigung; Auslegung des inkriminierten RDL-Artikels [Bebilderung; Formulierung ‚konstruierter Verein‘; Bedeutung der Linksetzung]) Stellung nimmt?
2. Falls, nein: Welche konkreten Einwände hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nach Eindruck des Ministeriums gegen die einzelnen Argumente des Landgerichts?
3. Möchten Sie ansonsten noch etwas zu meinem Artikel-Entwurf anmerken und in der veröffentlichenden Fassung berücksichtigt wissen?“
Das Ministerium antwortete:
„die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Karlsruhe, die das Verfahren in eigener Zuständigkeit führt, liegt dem Ministerium nicht vor. Bitte haben Sie auch Verständnis dafür, dass es dem Ministerium der Justiz und für Migration mit Blick auf den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit nicht möglich ist, der gerichtlichen Entscheidung des OLG Stuttgart durch eine rechtliche Bewertung des Falls vorzugreifen. Dies ist Aufgabe des angerufenen Gerichts.“
Nur geht es hier gar nicht um die richterliche Unabhängigkeit – denn meine Frage war ja nicht, wie das Oberlandesgericht nach Ansicht des Ministerium entscheiden solle, sondern meine Frage war, ob die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe nach Ansicht des Ministeriums rechtlich vertretbar ist oder nicht.
Wenn das Ministerium bei der Prüfung dieser Frage zu dem Ergebnis käme, die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft sei rechtlich unvertretbar und der Nicht-Eröffungs-Beschluß des Landgerichts Karlsruhe vom 16.05.2023 sei exzellent begründet, dann könnte – und müßte – das Ministerium nach seinem eigenen Maßstab (nur) bei rechtlicher Unvertretbarkeit einzugreifen (siehe den Anfang dieses Postskriptums) – die Staatsanwaltschaft ohne weiteres anweisen, die Anklage und damit auch die Beschwerde zurückzunehmen – das ist zulässig, solange das Hauptverfahren noch nicht eröffnet ist, wie sich um Umkehrschluß aus § 156 Strafprozeßordnung ergibt:
„Die öffentliche Klage kann nach Eröffnung des Hauptverfahrens nicht zurückgenommen werden.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__156.html)
Das Oberlandesgericht hat also keinen Anspruch darauf, mit dem Fall befaßt zu werden (und wäre vielleicht sogar – aufgrund eventueller Arbeitsüberlastung – ganz froh, nicht mit einer unsinnige Beschwerde behelligt zu werden). Es geht hier also nicht um die richterliche Unabhängigkeit, sondern darum, daß das Justizministerium der Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe ein politisches Eigenleben ermöglicht.
PPS.: Stellungnahme der JournalistInnen-Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG)
Das Schlußwort sei allerdings der JournalistInnen-Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) überlassen:
„Leider ist die Auseinandersetzung noch nicht vorbei; die Staatsanwaltschaft Karlsruhe will unbedingt, dass ein Verfahren gegen den Autor Fabian Kienert eröffnet wird. Wir halten die Argumentation der Staatsanwaltschaft, Kienert habe mit der Verlinkung des Archivs das Ziel verfolgt, den ‚organisatorischen Zusammenhalt des verbotenen Vereins‘ aufrechtzuerhalten, für sehr dünn und befremdlich. Wir sind – wie ja schon das Landgericht Karlsruhe in seiner Ablehnung der Anklage – der festen Überzeugung, dass Verlinkungen Teil jeder seriösen journalistischen Berichterstattung sind.
Davon abgesehen halten wir die Durchsuchung der Redaktionsräume von Radio Dreyeckland und der Wohnungen weiterhin für höchst problematisch. Sie hat das Redaktionsgeheimnis schwer verletzt und möglicherweise Gesprächspartner*innen und Informant*innen gefährdet. Der journalistische Quellenschutz ist ein hohes Gut, ein zentraler Teil des wesentlichen demokratischen Grundrechts der Pressefreiheit. Wir fordern gerade von der deutschen Justiz, dass sie dieses Grundrecht nicht leichtfertig gefährdet.“
1 Siehe unten FN 3.
2 Im Unterschied zum verwaltungsgerichtlich bestätigten exekutiven Vereins- oder bundesverfassungsgerichtlichen Parteiverbot, das die Strafgerichte zur Grundlage ihrer Entscheidungen zu machen und nicht zu überprüfen haben. (Fußnote nachträglich hinzugefügt.)
3 Siehe:
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- BT-Drs. V/2860, S. 6 („bestehen muß“);
- BGH
- Urt. v. 30.10.1964 zum Az. 3 StR 45/64 (NJW 1965, 260 – 261 [261] = BGHSt 20, 89 – 90 [90]: „wo die trotz Verbots unterstützte Organisation besteht“);
- Beschlüsse v. 04.02.1998 zu den Az. 3 StR 269/97 (Textziffer 6: „Identität eines verbotenen Vereins mit einem bestehenden“) sowie 3 StR 390/97 („Erforderlich ist aber […], daß die organisatorische Verbundenheit des verbotenen Vereins fortbesteht […], daß der organisatorische Apparat und seine Träger im wesentlichen dieselben geblieben sind […].“ / „Kontinuität der Sachelemente“)
- Urt. v. 10.03.2005 zum Az. 3 StR 245/04 (S. 7: „Fortbestand des verbotenen Vereins“);
- BVerfG, Beschl. v. 15.01.1969 zum 1 BvR 323/66 (BVerfGE 25, 79 – 88 [86]: „notwendige unmittelbare Bezug auf die Organisation“)
- LG Berlin, Beschl. v. 18.03.2022 zum Az. 502 KLs 231 Js 3168/18 – 5/19 (das Landgericht prüfte – in diesem die angebliche „Vereinigung linksunten.indymedia‘“ betreffenden Beschluß –, ob die vermeintliche Vereinigung zum dortigen – früheren [bereits 2017] – Tatzeitpunkt noch existierte);
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entsprechend zu § 129a StGB:
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- BayObLG, Beschl. v. 27.11.1997 zum Az. 3 St 3-97 (NJW 1998, 2542 – 2544 [2542 f.]: „setzt […] die objektive Existenz nicht nur irgendeiner, sondern gerade einer solchen Vereinigung voraus, die nach den im Gesetz aufgeführten Merkmalen als terroristisch gekennzeichnet ist“; die Existenz der Vereinigung zum angeblichen Unterstützungszeitpunkt wurde verneint und die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt);
- KG, Beschl. v. 02.07.1981 zum Beschl. (1) 2 OJs 20/80 (StV 1981, 525 – 527 [525]: „Eine Werbung für die ‚Bewegung 2. Juni‘ setzt voraus, diese terroristische Vereinigung zur Zeit der dem Angeschuldigten vorgeworfenen Tat im Juli 1980 noch bestand.“; die Existenz der Vereinigung zum angeblichen Unterstützungszeitpunkt wurde verneint und die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt);
- BGH, Beschl. v. 16.05.2007 zum Az. AK 6/07 u. StB 3/07, Tz. 5 („Existenz […] der ausländischen terroristischen Vereinigungen“ – wurde im dortigen Fall bejaht).
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Die vorgenannten Fundstellen waren bereits in meiner Nachfrage an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe genannt; die Kurz-Zitate aus den Entscheidungen sind für die hiesige Veröffentlichung – im Interesse der Allgemeinverständlichkeit – teilweise hinzugefügt worden.
4 https://research.wolterskluwer-online.de/document/67b4b34f-5060-4948-91fb-b041bf11afc5. (FN hinzugefügt.)
5 https://research.wolterskluwer-online.de/document/ab1dd44c-1607-4d59-bb30-e87fc9e24ec9. (FN hinzugefügt.)
6 https://research.wolterskluwer-online.de/document/88b87273-bb83-4599-a487-8123311817f9, Textziffer 5 f.
7 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/09/rk20060926_1bvr060504.html.
8 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/11/rk20011115_1bvr009897.html, Textziffer 25 und 26. (FN hinzugefügt.)
9 http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=34795&anz=1&pos=0&Frame=4&.pdf.
10 Diese Quellenangabe ist offensichtlich ein Schreib- oder Druckfehler:
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- Die in Band 26 auf S. 256 beginnende Entscheidung endet schon auf S. 258; sie betrifft auch keinen Fall einer Vereinigungs- oder Parteiunterstützung, sondern einen – eventuell als Notwehr zu klassifizierenden – Fall von Körperverletzung mit Todesfolge.
- Die nachfolgende – auf S. 258 beginnende und auf S. 267 endende – Entscheidung dürfte aber tatsächlich gemeint sein; dort befindet sich auf S. 260 unten / 261 oben die Formulierung „untergeordnete Hilfeleistungen, denen eine meßbare organisationswirksame Bedeutung nicht zukäme und die zu dem Teilbereich derjenigen bloßen Beihilfehandlungen zu zählen wären, die im Tatbestand des § 84 Abs. 2 StGB nF [= neue, 1968 verabschiedete Fassung] nicht zur Täterschaft verselbständigt sind und daher straflos bleiben“. (Für den dort konkret entschiedenen Fall wurde aber verneint, daß es sich um solche bloß „untergeordnete Hilfeleistungen“ handelt – daher die Konjunktive in dem angeführt Zitat.)
Die Entscheidung steht unter folgender Adresse online zur Verfügung: https://research.wolterskluwer-online.de/document/8054a460-efed-411b-aa31-e12b4230f1db; die fragliche Stelle befindet sich dort bei Textziffer 9. (FN hinzugefügt.)
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11 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2011/12/rk20111215_1bvr124811.html.
12 https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-187930 (englisch); deutsche Teil-Übersetzung: https://hudoc.echr.coe.int/app/conversion/pdf/?library=ECHR&id=001-198876&filename=CASE%20OF%20MAGYAR%20JETI%20ZRT%20v.%20HUNGARY%20-%20%5BGerman%20Translation%5D%20summary%20by%20the%20Austrian%20Institute%20for%20Human%20Rights%20(%C3%96IM).pdf.
13 Vgl.: „Daß die Herausgeber der Schrift sich in den einleitenden und begleitenden Texten nicht von der RAF distanzieren oder neutral bleiben, vermag einen werbenden Charakter zugunsten der RAF noch nicht zu belegen.“ (BGH NJW 1995, 3395 – 3396 [339]; online: a.a.O. [FN 6], Textziffer 10)
14 Nach Eingang der Antworten der Staatsanwaltschaft Karlsruhe bat ich die – der Staatsanwaltschaft dienstaufsichtlich übergeordnete – Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe um Stellungnahme. Unter anderem fragte ich:
„Ist es zutreffend, wenn ich aus den gestrigen Antworten der Staatsanwaltschaft Karlsruhe schlußfolgere, daß diese in ihrer Beschwerdebegründung nicht konkret zu den konkreten Argumenten des Landgerichts (bzgl. Notwendigkeit des Fortbestandes der angeblich unterstützten Vereinigung; Auslegung des inkriminierten RDL-Artikels [Bebilderung; Formulierung ‚konstruierter Verein‘; Bedeutung der Linksetzung]) Stellung nimmt?
Oder ist es vielmehr so, daß die Beschwerdebegründung sehr wohl konkrete Gegenargumente gegen die konkreten landgerichtlichen Argumente enthält, mir diese konkreten staatsanwaltlichen Gegenargumente aber nicht mitgeteilt wurden?“
Auch diese Fragen blieben inhaltlich unbeantwortet; des weiteren stellte ich folgende Fragen, die konsequenterweise ebenfalls unbeantwortet blieben:
„Falls meine erste Frage zu bejahen ist, also in der Beschwerdebegründung keine konkreten Erwiderung auf die landgerichtlichen Argumente stattfindet:
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- Denken Sie, dieses Ausweichen vor den bzw. dieses Schweigen zu den landgerichtlichen Argumenten ist günstig für einen staatsanwaltlichen Erfolg vor dem Oberlandesgericht?
- Warum sahen Sie es nicht als geboten an, die staatsanwaltliche Beschwerdebegründung zu ergänzen?“
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Zu allen drei Fragen erhielt ich von der Generalstaatsanwaltschaft ausschließlich die – dem Inhalt der Fragen ausweichende – Antwort:
„zu Ihrer Anfrage verweise ich auf die Auskunft der Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Weitere Erklärungen der Generalstaatsanwaltschaft sind hierzu nicht geboten. Es bleibt nunmehr die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart abzuwarten.“
15 „Dem Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) liegen keine Erkenntnisse über eine Fortführung oder über eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ vor.“
16 https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2023/05/indymedia-schulze060523.pdf, S. 10.