vonDetlef Georgia Schulze 07.06.2024

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Das Landgericht Karlsruhe hat am Donnerstag (06.06.2024) sein Urteil im Radio Dreyeckland-Prozeß verkündet. Der angeklagte Journalist Fabian Kienert1 wurde freigesprochen; die Nebenfolge davon ist, daß die Staatskasse die Kosten des Verfahrens zu tragen und dem Angeklagten seine Auslagen (Kosten für seine Anwältin u.ä.) zu ersetzt hat. Außerdem sprach es ihm eine Entschädigung für die Durchsuchung, die im Januar 2023 bei ihm stattfand, zu.

Allein schon, da die Staatsanwaltschaft Revision zum Bundesgerichtshof einlegen kann, sollte der Tag nicht vor dem Abend einer eventuellen BGH-Revisionsentscheidung gelobt werden. Kurt-Michael Menzel, einer der beiden Geschäftsführer von Radio Dreyeckland, warnt: „Ich gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ihren Kampf für die Einschränkung der Pressefreiheit von linken Medien fortsetzen wird. Insofern besteht bis zu einer etwaigen Revisions-Entscheidung die seit Anfang 2023 etablierte staatliche Kontrolle über Redaktionsdaten von Radio Dreyeckland fort.“

Das Urteil: Liberal oder gemäßigt etatistisch?

David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte äußerte sich dagegen laut Radio Dreyeckland deutlich euphorischer: „Das heutige Urteil ist nicht nur für Radio Dreyeckland ein großer Erfolg, sondern für den Online-Journalismus und die freie Presse insgesamt. Das Landgericht hat klargestellt, dass bei der Strafverfolgung von Journalist*innen immer die hohe Hürde der grundrechtlich geschützten Pressefreiheit zu beachten ist.“

Das Statement zeigt, wie unterentwickelt in Deutschland ein liberales Verständnis von Meinungsäußerungs- und Presse- bzw. Rundfunkfreiheit weiterhin ist: Es wird gelobt, daß die gerichtliche Bewertung eines journalistischen Artikels zum ‚richtigen‘ Ergebnis (das hier tatsächlich das richtige Ergebnis ist) kommt und nicht kritisiert, daß überhaupt eine gerichtliche Bewertung journalistischer Arbeiten erfolgt.

Eine konsequent liberale Position würde dagegen strikt zwischen Handlungen, die recht weitgehend staatlicher Regulierung unterliegen dürfen, und Äußerungen, die nur zum Zwecke des Jugend- und Ehrenschutz staatlich reguliert werden dürfen, unterscheiden:

„Der ‚Wert’ einer Meinung, eines Kunstwerks, einer politischen Aktivität etc. ist prinzipiell nicht vom Staat, und das heißt eben auch nicht von einem Gericht nachzuwiegen“. Diese Postulat umzusetzen hieße, Interessengegensätze „nicht durch staatlich inszenierte ‚Abwägung’ aufzuheben, sondern [sie …] ohne inhaltliche Bewertung innerhalb bestimmter formaler Grenzen sich abarbeiten zu lassen“.
(Friedhelm Hase / Karl-Heinz Ladeur / Helmut Ridder, Nochmals: Reformalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat?, in: Juristische Schulung 1981, 794 – 798 [796 li. Sp. unten, 796 li Sp. oben2])

Unter diesem Gesichtspunkt weist das Urteil im Karlsruher Radio Dreyeckland-Prozeß zwei gravierenden Fehler auf (außerdem gibt es einen dritten Fehler; dazu später):


Der heisige Artikel als .pdf-Datei:
http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2024/06/Urteil_mit_drei_gravierenden_Fehlern.pdf (9 Seiten)


1. Das Landgericht beteiligt sich an der staatsanwaltschaftlichen und oberlandesgerichtlichen Verwischung des Unterschiedes zwischen Unterstützung für einen Verein einerseits und Werbung für einen Verein andererseits.

2. Das Landgericht unterläßt es, zu untersuchen, ob Gesetze, die Äußerungen regulieren, „allgemeine“ Gesetze im Sinne des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz sind. Dies ist deshalb wichtig, weil es im Radio Dreyeckland-Prozeß weder um Jugend- noch um Ehrenschutz ging und Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz folgendermaßen lauten:

„(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten […]. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. […].
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

Gesetze, die nicht dem Jugend- oder Ehrenschutz dienen, müssen also „allgemeine“ Gesetze sein, wenn sie verfassungsgemäße Schranken der Rechte aus Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz darstellen sollen.

Gerichtliche Verwischung des juristischen Unterschiedes zwischen „Werbung“ und „Unterstützung“

Das Landgericht Karlsruhe sprach Kienert unter anderem deshalb frei, weil es sich nicht in der Lage sah, sich der oberlandesgerichtlichen Interpretation von Kienerts Artikel (Kienerts Artikel unterstütze den verbotenen Verein, indem er „erkennbar für Solidarität mit einem von der Justiz angeblich zu Unrecht verfolgten Verein wirbt“; siehe noch einmal FN 1) anzuschließen: Der Artikel sei zwar verbotskritisch (was zulässig sei) und im übrigen deskriptiv und zutreffend (was bspw. die in dem Artikel erwähnte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg3 anbelangt, auch wenn Kienert diese Entscheidung in verbotskritischer Weise kontextualisiert habe, was wiederum zulässig sei). Aber der Artikel weise keine werbende Tendenz für den verbotenen Verein auf; eine Pflicht zur Distanzierung von den Archiv-Texten oder dem angeblichen „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ bestehe nicht, so hatte das Gericht bereits am Dienstag in seiner Ablehnung des letzten Beweisantrag der Staatsanwaltschaft argumentiert.

Das heißt: Das Gericht ging auch am Donnerstag – wie schon in seinem Beweisbeschluß am Dienstag (siehe taz-Blogs vom 04.06.2024 und junge Welt vom 06.06.2024) – davon aus, daß es prinzipiell möglich sei, einen Verein durch Veröffentlichung eines Artikel im rechtlichen Sinne zu unterstützen. Es prüfte dann – mit zutreffendem, verneinendem Ergebnis –, ob Kienerts Artikel ein solcher unterstützender Artikel ist. Der Fehler daran ist, daß mit diesem weiten Begriff von „Unterstützung“ der Unterschied zwischen Unterstützung für einen Verein einerseits und Werbung für einen Verein andererseits verwischt wird. Werbung für verbotene Vereine ist aber schon seit 1968 nicht mehr strafbar.

§ 90b Absatz 2 StGB 1964 – 1968

Aktueller § 85 Absatz 2 StGB

„Wer sich an einer im Absatz 1 bezeichneten Vereinigung oder an einer für sie geschaffenen Ersatzorganisation als Mitglied beteiligt, für sie wirbt oder sie unterstützt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft.“

„Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

In den Gesetzgebungsmaterialien zu der Gesetzesänderung von 1968 hieß es:

„Verzichtet wurde auf die im RegE4 noch genannte Begehungsform des Werbens.“
(BTag-Drs. V/2860; https://dserver.bundestag.de/btd/05/028/0502860.pdf, S. 6)

Das heißt: Das Gericht hätte gar nicht erst prüfen dürfen, ob Kienerts Artikel unterstützenden Charakter hat, sondern hätte sagen müssen, daß auch werbende Artikel nicht strafbar sind; Unterstützung im Sinne des § 85 StGB kann nicht durch Äußerungen erfolgen; sondern wenn, dann sind Äußerungen Werbung! – Unterstützung wäre z.B. Spende von Geld, Computern, zur Verfügung Stellung von konspirativen Wohnung und Büros – und Spende von Waffen, falls der jeweilige Verein daran Bedarf hat.

In den Worten der juristischen Auslegungsmethodologie gesprochen, muß also gesagt werden:

  • Auf der Ebene von grammatischer (philologischer) und systematischer Auslegung läßt sich ein Unterschied zwischen den Wörtern „unterstützen“ und „werben“ feststellen, wobei sich der systematische Aspekt noch ausbauen läßt, wie im Anhang zu diesem Artikel gezeigt wird.
  • Auf der Ebene der genealogischen (entstehungsgeschichtlichen) Auslegung läßt sich feststellen, daß 1968 das Wort „wirbt“ aus dem Gesetzestext rausgestrichen wurde und daß dies kein Redaktionsversehen, sondern gesetzgeberische Absicht war.

Diese gesetzgeberische Absicht war – auch hinsichtlich der generellen Stoßrichtung der damaligen Änderungen – das Politische Strafrecht der Bundesrepublik zu liberalisieren:

„Zu den entscheidenden Gesichtspunkten, von denen er [der Ausschuß] sich leiten ließ, gehört einmal die Orientierung am Grundgesetz, insbesondere eine dem Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) stärker Rechnung tragende Präzisierung der Tatbestände. Sodann ist die Aufgabe zu nennen, das zukünftige StGB von Bestimmungen zu entlasten, die begrüßenswerte Kontakte zwischen den Menschen aus beiden Teilen Deutschlands oder die geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus behindern würden.“
(BTag-Drs. V/2860; https://dserver.bundestag.de/btd/05/028/0502860.pdf, S. 1)

Wenn die Bedeutungen der Wörter „werben“ und „unterstützen“ vermengt werden (OLG Stuttgart: „unterstütz[t], indem […] wirbt“5), obwohl die Gesetzgebungsorgane das Wort „wirbt“ bewußt aus dem Gesetz rausgestrichen haben, dann ist das weder mit dem in den seinerzeitigen Gesetzgebungsmaterialien erwähnten Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz noch mit Artikel 97 Absatz 1 Grundgesetz vereinbar:

„Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_103.html)

„Die Richter sind […] dem Gesetze unterworfen.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_97.html)

Das heißt: Das heutige Urteil bringt gerade nicht die von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) ursprünglich – zurecht – angestrebte Rechtssicherheit, sondern es wird weiterhin auf den jeweiligen Einzelfall geschaut, und es werden einzelne Artikel und JournalistInnen von staatlichen Gerichten bewertet.

In der Pressemitteilung der GFF vom 13.03.2023 hieß es:

„Die GFF unterstützt die Beschwerde von RDL, um klären zu lassen, ob das Setzen eines Links im Rahmen eines Presseberichts eine strafbare Unterstützungshandlung darstellen kann […]. Sollte das Landgericht die Durchsuchungsbeschlüsse bestätigen, will die GFF dagegen Verfassungsbeschwerde erheben.“
(https://freiheitsrechte.org/ueber-die-gff/presse/pressemitteilungen-der-gesellschaft-fur-freiheitsrechte/pm-radio-dreyeckland)

Schon der damals erreichte Landgerichts-Beschluß besagte und auch das jetzige Urteil des Landgerichts Karlsruhe besagt genau das, was die GFF – zurecht – verneint haben wollte:

‚Ja, das Setzen eines Links im Rahmen eines Presseberichts kann eine strafbare Unterstützungshandlung darstellen. Im Falle des Artikels des Angeklagten Kienert handelt es sich zwar nicht um eine solche Unterstützungshandlung, aber mit etwas anderen Formulierungen in dem Artikel, kann es sich bei bestimmten Verlinkungen sehr wohl um strafbare Unterstützungshandlungen handeln‘,

das ist bei realistischer Betrachtung der Inhalt des heutigen Landgerichts-Urteils. Angesichts dessen zu schreiben, „Das heutige Urteil ist nicht nur für Radio Dreyeckland ein großer Erfolg, sondern für den Online-Journalismus und die freie Presse insgesamt“, stellt Schönfärberei dar!

  • Klar, für Die Zeit drohen keine Gefahren (jedenfalls solange nicht, wie die AfD nicht in der Regierung sitzt).
  • Für linke Medien werden Verfahren wegen sog. Presseinhaltsdelikte weiterhin eine Zitterpartie bleiben:
    • Die vom Landgericht am Donnerstag ausdrücklich erwähnte Lizenzierung von Radio Dreyeckland durch die baden-württembergische Landesmedienanstalt war sicherlich image-förderlich.
    • Und Fabian Kienert hat das große Glück, daß er an eine gemäßigt etatistische Kammer geriet – und nicht an eine normal- oder radikal-etatistische.
    • Wie schnell der Wind vor deutschen Gerichte drehen kann, zeigte sich ja schon daran, daß die Landgerichtskammer das Hauptverfahren nicht eröffnen wollte und das Oberlandesgericht Stuttgart dann anders entschied.

Diejenigen, die etwas für Pressefreiheit, Demokratie und gesellschaftlichen Pluralismus tun wollen, müßten dagegen kämpfen, daß es überhaupt Presseinhaltsdelikte, die nicht dem Jugend- oder Ehrenschutz dienen, gibt – und damit kommen wir zur sog. Schranken-Trias des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz („Vorschriften der allgemeinen Gesetze, […] gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend und […] Recht der persönlichen Ehre“).

Ist § 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch, so wie ihn das Landgericht Karlsruhe auslegt, ein „allgemeines Gesetz“ im Sinne des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz?

Fortsetzung folgt morgen.


Anhang

Auf S. 5 hieß es:

„Auf der Ebene von grammatischer (philologischer) und systematischer Auslegung läßt sich ein Unterschied zwischen den Wörtern ‚unterstützen‘ und ‚werben‘ feststellen, wobei sich der systematische Aspekt noch ausbauen läßt, wie im Anhang zu diesem Artikel gezeigt wird.“

Um das systematische Argument ausbauen, müssen wir uns den aktuellen Wortlaut des § 129 Absatz StGB ansehen:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129.html; Hv. hinzugefügt)

Wir können daraus zwei Dinge schlußfolgern:

1. Auch das gegenwärtige Strafgesetzbuch kennt weiterhin den Unterschied zwischen „werben“ und „unterstützen“.

2. Im § 129 StGB ist zur Zeit die Werbung „um Mitglieder oder Unterstützer“ für Kriminelle Vereinigungen strafbar. In § 85 StGB kommt das Wort „wirbt“ gar nicht vor; also ist im Rahmen des § 85 Absatz 2 StGB nicht einmal die Werbung „um Mitglieder oder Unterstützer“ strafbar.

Mit Kenntnis des aktuellen § 129 Absatz 1 StGB können wir nun auch noch das genealogische Argument ausbauen. Denn § 129 Absatz 1 StGB lautete bis 2002:

„Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, für sie wirbt oder sie unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
(https://web.archive.org/web/20230604035449/https://lexetius.de/StGB/129,7)

In Bezug auf den § 129 StGB wurde 2002 das teilweise gemacht (Reduktion des allgemeinen Werbungstatbestandes auf Werbung „um Mitglieder oder Unterstützer“), was 1968 in Bezug § 85 StGB vollständig gemacht wurde (Streichung des Werbungstatbestandes). Der gesetzgeberische Zweck der Gesetzesänderung war, die sog. Sympathiewerbung zu entkriminalisieren:

„Die Tathandlung des Werbens soll deshalb auf das gezielte Werben um Mitglieder und um Unterstützer beschränkt werden. Die Sympathiewerbung, der die Rechtsprechung einen vergleichsweise geringen Unrechtsgehalt zuweist (vgl. BGHSt 33, 16 <18>), kann hingegen ohne Einbuße für bedeutsame Rechtsgüter aus dem Tatbestand ausgeschieden werden. Die Werbung um Mitglieder zielt auf die Gewinnung von Personen, die bereit sind, sich mitgliedschaftlich in die Organisation der Vereinigung einzufügen. Die Werbung um Unterstützer richtet sich entweder auf die Anstiftung zu einer konkreten Beihilfehandlung oder auf die Gewinnung von Anhängern, die zu einer über den Einzelfall hinausgehenden Zusammenarbeit, etwa als Quartiergeber oder Nachrichtenmittler, bereit sind. […]. Die Änderung räumt psychische Hindernisse, die der kritischen Berichterstattung über wirklich oder vermeintlich rechtswidrige Zustände im In- und Ausland entgegenstehen mögen, beiseite, indem sie werbende Meinungsäußerungen umfassend und zweifelsfrei vom strafrechtlichen Risiko freistellt.“
(BTag-Drs. 14/8893; https://dserver.bundestag.de/btd/14/088/1408893.pdf, S. 8)6

Wir können also schlußfolgern: Im Bereich des § 85 StGB, wo das Wort „wirbt“ überhaupt nicht auftaucht, ist sog. Sympathiewerbung erst recht nicht strafbar. Das heißt: Es ist im Rahmen des § 85 StGB nicht strafbar, vereinsrechtliche verbotene Vereine zu befürworten; für sie Werbung zu machen.7

Das Landgericht Karlsruhe hat am Donnerstag aber untersucht, ob Fabian Kienerts Artikel nicht nur verbotskritisch war, sondern darüber hinaus auch verbots-objekt befürwortend. Das Landgericht kam zum – zutreffenden – verneinenden Ereignis. Aber die vom Landgericht untersuchte Frage ist seit 1968 strafrechtlich gar nicht mehr relevant!


Ergänzend zu den hiesigen Ausführungen sei auf meine taz-Blogs-Artikel vom 18.06 und 08.07.2023 verwiesen:

OLG Stuttgart: Bloße Sympathiewerbung ist nicht strafbar

Staatsanwaltschaft Karlsruhe pragmatisch erfolgreich, aber theoretisch geohrfeigt

und

Kein Waidmannsheil bei der Journalisten-Jagd

Teil III: Oberlandesgericht Stuttgart beruft sich auf überholte BGH-Entscheidung.


1 Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte ihn im vergangenen Jahr wegen eines Artikels auf der Webseite des Radiosenders angeklagt. Der Autor und Angeklagte hatte in dem Artikel im Sommer 2022 das Anfang 2020 veröffentlichte Archiv von linksunten.indymedia verlinkt. linksunten.indymedia.org war eine von – einige Jahre lang – zwei deutschen Subdomains des internationalen Webseiten-Verbundes indymedia.org. indymedia entstand im Kontext der Proteste gegen das Gipfeltreffen der Welthandelsorganisation 1999 in Seattle (USA).
Das Bundesinnenministerium verfügte 2017 das Verbot des „Vereins ‚linksunten.indymedia‘“, weil dessen Zwecke und Tätigkeiten gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien und den Strafgesetzen zuwiderlaufen würden. Damit war laut damaliger Pressemitteilung des Ministeriums die fragliche Webseite gemeint. Darauf hin wurden die bis dahin veröffentlichten Artikel – vermutlich vom BetreiberInnenkreis selbst – aus dem Netz genommen (der Staat war es jedenfalls nicht). Das Bundesverwaltungsgericht entschied dann aber 2020:
Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“
(https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).

In dieser Klarstellung kann durchaus ein Erfolg gesehen werden, auch wenn die Klagen gegen das Verbot abgewiesen wurden. Bereits kurz vor dem Urteil hatten Unbekannte ein Archiv der Webseite – unter einer abweichenden Adresse – online gestellt; seit April 2020 (das war dann schon nach dem BVerwG-Urteil) wird auch die alte Adresse linksunten.indymedia.org wieder genutzt.
Fabian Kienert ist bei weitem nicht der einzige Journalist, der das linksunten-Archiv verlinkte: Die Zeit verlinkte das Archiv am Tag der mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichts über das linksunten-Verbot; später verlinkten zum Beispiel die IT-Nachrichten-Seite tarnkappe.info, die taz sowie die medienkritische Webseite Über Medien das Archiv unter der Adresse, die auch der Radio Dreyeckland-Journalist Fabian Kienert im Sommer 2022 verlinkte. Alldiese Verlinkungen blieben ohne strafrechtliche Folgen.
Im Falle des Arikels von Kienert sei aber alles anders gewesen, so das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Beschluß das strafrechtliche Hauptverfahren gegen Fabian Kienert zu eröffnen:
„Die Handlung des Angeklagten ist geeignet, diese Tätigkeit [die angebliche Archiv-Veröffentlichung durch den verbotenen „Verein“] zu unterstützen, indem sie erkennbar für Solidarität mit einem von der Justiz angeblich zu Unrecht verfolgten Verein wirbt (‚wir sind alle l[inksunten]‘, ‚konstruiertes Verbot‘, ‚rechtswidrige Durchsuchung‘) und den Leser dahin lenkt, die verbotenerweise immer noch betriebene Website zu besuchen und sich über deren Inhalte zu informieren.“
(https://www.landesrecht-bw.de/perma?d=NJRE001546409, Textziffer 55)
Allerdings sprach Kienert gar nicht von einem „konstruierten Verbot“, sondern von einem „konstruierten Verein“ – und daß das Innenministerium mittels des Vereinsrechts gegen den BetreiberInnenkreis eines Mediums vorgeht, wurde auch von anderen kritisiert und war auch Thema in den anderen genannten Artikeln mit Archiv-Link. Die von Fabian Kienert angesprochene Durchsuchung des alternativen Freiburger Zentrums KTS wurde tatsächlich vom baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof für rechtswidrig erklärt (Beschluß vom 12.10.2020 zum Aktenzeichen 1 S 2679/19); sie ist ebenfalls in dem genannten tarnkappe-Artikel erwähnt.
Und die Parole, „Wir sind alle linksunten.indymedia“ war nicht Kienerts eigene Parole, sondern sie war als Graffito auf einer Hauswand auf dem Foto zu sehen, das Kienerts Artikel bebilderte. Bildunterschrift: „‚Wir sind alle linksunten‘ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.“

2 Vgl.: https://web.archive.org/web/20190703171945/http://tap2folge.blogsport.eu/2019/05/30/fuer-offenhaltung-der-politischen-diskussion-statt-staatlicher-bewertung-von-meinungen/.

3 „Im November 2020 hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg schon die Durchsuchung der KTS im August 2017 im Zuge des konstruierten Vereins Indymedia Linksunten für rechtswidrig erklärt.“

4 BTag-Drs. V/898, S. 3 (§ 88 Abs. 2): „Wer sich an einer in Absatz 1 bezeichneten Vereinigung oder an einer für sie geschaffenen Ersatzorganisation als Mitglied beteiligt, für sie wirbt oder sie unterstützt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft.“ (Hv. i.O.)
Der Regierungsentwurf bemühte sich seinerseits im folgende Abgrenzung:
„Im Sinne des § 87 Abs. 2 wirbt für eine verbotene Partei oder eine für sie geschaffene Ersatzorganisation nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur derjenige, der für diese bestimmte Partei oder Ersatzorganisation selbst, für die Aufrechterhaltung oder Stärkung ihres organisatorischen Zusammenhalts, für ihre Aufgaben und Ziele wirbt. Wer ohne diese zielgerichtete Beziehung auf die Partei oder Ersatzorganisation lediglich etwa für eine auch von dieser verfochtene Ideologie oder für gleichartige politische Ziele eintritt, ist nicht nach § 87 Abs. 2 strafbar. […]. Auch die Forderung, eine verbotene Partei wieder zuzulassen, ist, wenn mit ihr nicht eine vom Täter gewollte Unterstützung der verbotswidrig weiter bestehenden Partei oder eine gezielte Werbung für sie verbunden ist, nicht strafbar.“
Die vom Bundestag 1968 beschlossene Gesetzfassung ist also enger und sollte enger sein, als es zuvor der Regierungsentwurf noch vor sah.

5 Siehe noch einmal das bereits in FN 1 angeführte Zitat:
„Die Handlung des Angeklagten ist geeignet, diese Tätigkeit [die angebliche Archiv-Veröffentlichung durch den verbotenen „Verein“] zu unterstützen, indem sie erkennbar für Solidarität mit einem von der Justiz angeblich zu Unrecht verfolgten Verein wirbt (‚wir sind alle l[inksunten]‘, ‚konstruiertes Verbot‘, ‚rechtswidrige Durchsuchung‘) und den Leser dahin lenkt, die verbotenerweise immer noch betriebene Website zu besuchen und sich über deren Inhalte zu informieren.“
(https://www.landesrecht-bw.de/perma?d=NJRE001546409, Textziffer 55)

6 Zu dieser Gesetzesänderung von 2002 hat der Bundesgerichtshof entschieden:
„Der Gesetzgeber hat ausdrücklich alle Handlungen, die sich in einem Werben für die Ideologie und die Ziele einer terroristischen Vereinigung erschöpfen, aus der Strafbarkeit herausnehmen wollen; das Werben um Mitglieder oder Unterstützer hat er nur noch für bestimmte besonders gefährliche terroristische Vereinigungen unter Strafe gestellt und es insoweit bei einem gegenüber dem Unterstützen niedrigeren Strafrahmen belassen. Es hieße, diesen im Gesetzeswortlaut und in der Gesetzessystematik objektivierten Willen des Gesetzgebers zu missachten, wollte man derartige Aktivitäten weiterhin als Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB ansehen, weil ihnen die abstrakte Eignung zukommt, das Gefährdungspotential der beworbenen Vereinigung zu stärken.“
(BGH HRRS 2007 Nr. 800 [Beschl. v. 16.05.2007 AK 6/07 und StB 3/07]; https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/07/ak-6-07.php, Textziffer 11 – 13)
Diese Rechtsprechung muß auf § 85 StGB übertragen werden – freilich mit dem Unterschied, daß dort der Werbungstatbestand überhaupt nicht vorhanden ist.

7 Bestimmte werbende Tätigkeiten sind allerdings in den §§ 86 (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) und 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) strafbar.

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