Von Sebastian Heiser
Bei der taz gibt es mit diesem Hausblog etwas, was es sonst bundesweit in keinem Medium gibt: Transparenz und kritische Berichterstattung über sich selbst. Und damit stoßen wir auf erfreuliche Resonanz: Fünf Jahre nach der Gründung ist das Hausblog auf Platz 26 der deutschen Blog-Charts gestiegen. Wie kam es dazu?
Es brauchte erstens ein Unternehmen, in dem so etwas möglich ist. Bei der taz erklärt sich das einerseits daraus, dass jedes Unternehmen zur Transparenz gegenüber seinen Eigentümern verpflichtet ist – und das sind bei uns eben die 13.600 Mitglieder der Genossenschaft. Wer seine Leserschaft regelmäßig um Geld bittet, der muss ihr auch erläutern, was damit passiert. Gerade in Finanzdingen ist die taz deshalb sehr offenherzig. Andererseits erklärt sich unsere Transparenz auch durch das grün-alternative Spektrum, zu dem die taz zählt – und in dem Kritik und Selbstkritik zum Selbstverständnis dazugehören.
Zweitens brauchte es jemanden, der die Möglichkeit auch ergreift. Als Student hatte ich das Blog spiegelkritik.de betrieben, das sich am Spiegel und Spiegel Online abarbeiten wollte, aber leider nie das Niveau des großen Vorbilds bildblog.de erreicht hat. Noch mehr als über die journalistischen Fehler im Spiegel habe ich mich über den Umgang mit ihnen geärgert. Genauer: Den Nicht-Umgang. Die Journalisten – gerade beim Spiegel – dachten, es sei für ihre Arbeit essenziell, einen Nimbus der Unfehlbarkeit zu verbreiten und keine Fehler zuzugeben. Das ärgerte mich als Leser. Ich fand, Journalisten müssten mal von ihrem hohen Ross runterkommen, ihre Arbeit transparenter machen und sich der Kritik stellen.
Und dann wechselte ich die Seiten. Ab Mai 2008 hatte ich eine Stelle in der taz, zuerst befristet, ab Januar 2009 unbefristet. Im Frühjahr 2009 hatte die taz ein Blog „30 Jahre taz“ eingerichtet und darin von den Vorbereitungen des taz-Kongresses berichet. Ich schrieb mit und übernahm das anschließend brachliegende Blog, um meine Arbeit als Journalist zu erläutern. Zu den ersten Beiträgen gehörten Einblicke in eine Recherche zu McKinsey und gekauften Studentendaten vom Januar 2009 und die Erklärung Warum ich kein Binnen-I benutze vom März 2009. Ich legte einfach damit los, mich neben meiner Arbeit in der Berliner Lokalredaktion um das Blog zu kümmern – ohne Auftrag, ohne Legitimation. Auch das ist so wohl nur in der taz möglich. Im Oktober 2009 wurde das Blog dann in Hausblog umbenannt.
Ganz besonders freue ich mich über die angemehme Kommentarkultur mit konstruktiven, gehaltvollen Beiträgen – ganz anders also an vielen anderen Stellen im Internet. Jeder Kommentar wird gelesen, auf jede Frage gibt es eine Antwort, in vielen Fällen entwickeln sich lebhafte Debatten. Etwa zu der Frage, warum wir eine Woche vor der Bundestagswahl die Vorwürfe des Parteienforschers Franz Walter gegen Jürgen Trittin zu jahrzehntealten Pädosexualitäts-Positionen abgedruckt haben. Die Redaktion hatte sich heftig gegen den Vorwurf zu wehren, den Wahlkampf der Grünen zu sabotieren – blieb aber bei ihrer Auffassung, dass wir unsere Berichterstattung über relevante Vorgänge nicht davon abhängig machen, welcher politischen Seite das schaden könnte.
Die Kritik unserer Leser kann uns auch zu Einblicken verhelfen, die wir im journalistischen Tagesgeschäft nicht unmittelbar gewinnen konnten. Dass es etwa keine gute Idee ist, Philipp Rösler zu Rassismus zu befragen und nach seiner verweigerten Autorisierung der Interviewdruckfassung die Fragen ohne Antworten zu publizieren, erkannten wir erst durch den Proteststurm unserer Leser (963 Kommentare im Hausblog, so viele wie zu keinem anderen Posting).
In der taz sind wir also offen für Debatten, die uns selbst betreffen – aber die Transparenz hat auch ihre Grenzen. Das ist selbstverständlich, wenn es um den Schutz unserer Mitarbeiter geht: Wenn wir uns darum streiten, wer für den vakanten Posten einer Ressortleitung geeignet wäre, dann bleibt das natürlich intern. Das gilt genauso für unsere gegenseitige Kritik an Texten der Kollegen oder unsere Überlegungen zu künftigen Strukturveränderungen. Und wenn wir uns darüber auseinandersetzen, wie viel Offenheit und Selbstkritik im Hausblog möglich sein darf und warum dort neben offiziellen Verlautbarungen auch die Sichtweisen einzelner Mitarbeiter wiedergegeben werden, erfahren unsere Leser auch darüber: nichts.
Eine Auswahl meiner liebsten Beiträge:
– Meine Vierte-Gewalt-Bilanz
– So lief meine verdeckte Schleichwerbe-Recherche
– Warum ich Migranten nicht als „Menschen“ bezeichne
– Von wem die taz finanziell abhängig ist
– Eine gescheiterte Recherche
– Warum ist der taz-Shop voller Schikeria-Produkte?
– Wie ich Artikel für meine Leser vereinfache: Jeder Satz falsch
– Unsere verflixte Abhängigkeit von der Drucktechnik
– Wie man taz-Redakteur wird: Man muss es sich leisten können
– Warum wir Journalisten zurücktreten sollten
– Über Online-Journalismus und Ein-Euro-Shops
Die Resonanz: Im März gab es 96.300 Zugriffe auf die Seiten des Hausblogs. Das Medium Magazin kürte mich 2010 zum „Newcomer des Jahres“ und lobte, „wie er seine selbstkritische Grundhaltung öffentlich dokumentiert und so den Lesern die journalistische Arbeit transparent macht”. Allerdings bin ich grandios daran gescheitert, die Mitglieder der taz-Genossenschaft zu erreichen, bei denen ein besonderes Interesse an der taz vorausgesetzt werden kann und die damit zur Haupt-Zielgruppe gehören: 71 Prozent haben hier noch nie vorbeigeschaut, weitere 23 Prozent nur selten – so war es im Hausblog zu lesen.
Sie verhalten sich schön transparent, taz. Herzlichen Glückwunsch!
Aus Leserinnensicht kann etwas mehr Transparenz im Sinne des Harvard-Prinzips auch nicht schaden, denke ich. Schlagwort Hausblog. Ich finde, das Lesen des Hausblogs ist im Vergleich zum vergangenen Jahr überwiegend richtig langweilig geworden. Die offiziellen Texte und auch Ihre Beiträge haben eine sehr gute Qualität, so ist es nicht. Mir fehlt allerdings: Die Lebendigkeit, die im vergangenen Jahr teilweise zu national beachteten Debatten führte. Mehr und weniger Massen an Menschen kamen hierher und diskutierten authentisch und spannend. Surfe ich den Blog dieser Tage an, kommt mir das Blog im Vergleich zum vergangenen Jahr seltsam untot vor. Wo ist die Community hin, die sich hier aktiv dauerhaft austauschte?
Die Beruhigung war vielleicht von der taz genauso intendiert, um den dynamischen Traffic professioneller zu bewältigen. Nur: Steht die taz nicht für Rocken, Action, Bewegung, gesellschaftliche Debatte?