10. Peter Doherty: „Grace/Wastelands“ (Indiepedia)
Der erste Eindruck war zwiespältig und die Gorillaz-on-H-Hymne „Last Of The English Roses“ tat auch nicht viel, um ihn zu zerstreuen. Nein, „Grace/Wastelands“ war nicht die ersehnte kreative – oder gar kommerzielle! – Wiedergeburt des verlorenen Goldenboys Britanniens, aber wie die Monate so ins Land zogen, klopfte doch Song um Song deutlicher an die Jahresendcharttür, so dass wir spätestens bei den bezaubernden Solokonzerten Anfang Dezember wieder wussten, warum wir uns noch einmal so nach dem Herrn allein mit einer Akustikgitarre gesehnt hatten. Deshalb ist auch der herausragende Song des Albums der reduzierteste: „Lady Don’t Fall Backwards“, der auch wieder eine jener Textstellen bereithielt wegen der man Doherty einst verehrte – „and I will love you forever / Or at least ‚til morning comes“
Höhepunkte:
* Lady Don’t Fall Backwards
* The Sweet By & By
* Der Übergang von A Little Death Around The Eyes in Salome
Charts:
D: 20 / UK: 17
9. La Roux: „La Roux“ (Indiepedia)
Was für ein Popalbum! So geschickt hat lange niemand mehr an die 80er Jahre erinnert, ohne sie a) ironisch zu spiegeln oder b) gnadenlos abzukupfern. Natürlich hört man in La Roux‘ Debütalbum Dead Or Alive („Bulletproof“) oder den backcatalog der Eurythmics als jene noch gut waren, aber nie klingt Elly Jackson auf diesem Album wie ein schnöder Trittbrettfahrer, sondern immer wie ein komplett eigener Entwurf, wie ihre eigene Idee. Gutes Songwriting, eine konzise Produktion durch die andere La-Roux-Hälfte Ben Langmaid und – letztenendes immer das wichtigste auf einem Album, das so ohne Frage großer Pop sein will – mehr potentielle Hitsingles als man veröffentlichen könnte. Hut ab, Haare auf!
Höhepunkte:
* Bulletproof
* In For The Kill
* Tigerlily
Charts:
D: 54 / UK: 1
8. Let’s Wrestle – „In The Court Of The Wrestling Let’s“
Ja, natürlich sitzt den jungen Briten ordentlich der Schalk im Nacken, aber das soll bitteschön keinen davon abhalten, sich das Indiepopalbum des Jahres anzuhören – und zwar Indiepop im ursprünglich-schrammeligen-garagenproduzierten Sinne! Nimmt man sich zudem etwas Zeit, in die Textwelt von Let’s Wrestle einzutauchen, dann fällt auf, dass neben all den One-Linern und Wortspielen immer auch eine Weltenschwere diesen Songs weit mehr Gewicht verleiht als beim flüchtigen Hören gedacht. Aber das schöne: depressive Nerdtexte wie „no matter how many records I buy / I can’t fill this void“ und die besten Baababaababaas jenseits des Ärmelkanals schließen sich nicht aus!
Höhepunkte:
* I Won’t Lie To You
* We Are The Men You’ll Grow To Love Soon
* In My Dreams
Charts:
D: – / UK: –
7. Manic Street Preachers: „Journal For Plague Lovers“ (Indiepedia)
Es gibt ungefähr 1000 Gründe, warum dieses Album nicht hätte funktionieren dürfen. Eine Band, die vor zwanzig Jahren die wildeste und kompromissloseste des Königreichs war und sich zu den gesetzten elder statesmen des britischen Indierock entwickelte, auf diesem Weg ihren Texter und Mastermind auf – bis heute ungeklärte Weise – verlor und nun nach 15 Jahren das von ihm zurückgelassene Textbüchlein doch noch vertont, die kann doch nur scheitern, sich nur dem Vorwurf der Leichenfledderei preisgeben. Aber die Manic Street Preachers schafften etwas Unglaubliches: sie wurden zu reiferen Ausgaben ihres 15 Jahre jüngeren Selbst. Sie versuchten nicht, sich selbst 1994 nachzuspielen, aber sie behandelten die Texte von Richey Edwards mit derart viel Würde und schrieben gleichzeitig ihre besten Melodien seit zehn Jahren. Dass die Nichtproduktion von Steve Albini „Journal For Plague Lovers“ dann auch noch zu einem rauhen, ungeschliffenen Klotz an Denkmal für den verloren gegangenen Freund und Bandkollegen machte, war das Schleifchen an der Alterswerkskrone.
Höhepunkte:
* Jackie Collins Existential Question Time
* Me & Stephen Hawking („we missed the sex revolution / when we failed the physical“)
* Facing Page: Top Left
Charts:
D: 49 / UK: 3
6. The Wave Pictures: „If You Leave It Alone“ (Indiepedia)
„Why do you do the things you are doing? And what are you thinking of when you are doing them? What do you mean when you say what you are saying? And what do you think about me? – I think you ask too many questions.“ Es sind „Refrains“ wie diese, die die britische DIY-Band The Wave Pictures so unfassbar sympathisch machen. Vielleicht eine der unterschätztesten Bands derzeit, haben die Wave Pictures mit „If You Leave It Alone“ das genau richtige Mittelmaß zwischen Folk und Schrammelindie, Popmelodien und Nichtproduktion gefunden. Ein Album ohne jeden Ausfall und Texten wie „I would grant you three wishes / but I’m not in the business of giving out wishes“, brillant!
Höhepunkte
* Tiny Craters In The Sand
* My Kiss
* Too Many Questions
5. Emmy The Great: „First Love“ (Indiepedia)
Wer das Popblog in den letzten Jahre verfolgt hat, weiß dass unser Herzchen ganz besonders für die junge Emma-Lee Moss aka Emmy The Great schlägt. Sie hatte schon einmal beinahe unseren Song des Jahres geschrieben als wir intern unsere Stimme zwischen „M.I.A.“ und „Easter Parade“ nicht entscheiden konnten. Jene beiden Songs fanden sich nun auch in neu aufgenommenen Versionen auf dem Debütalbum von Emmy wieder. Während letzterer auch hier noch hervorragend funktioniert, ist der Charme des bedroom-recordings von „M.I.A.“ leider durch die etwas aufwändigere Produktion verloren gegangen (was nichts daran ändert, dass die Moritat über den nach einem Autounfall dahinscheidenden Freund und die Frage, ob man die Sängerin M.I.A. denn nun „M-I-A“ oder „Mia“ ausspricht, textlich immer noch das erschreckendbrillanteste ist, was wir in den letzten Jahre gehört haben). Mit „We Almost Had A Baby“ wagte sich Emmy in eine Art Folk-Doo-Wop vor, auf „24“ verglich sie einen Partner mit Jack Bauer („man on the screen, he das done more in a minute / than you have achieved in your whole entire life“) und mit dem abschließenden Trennungs- „City Song“ hatte sie uns dann doch wieder um den Finger gewickelt.
Höhepunkte:
* City Song
* Easter Parade
* 24
4. Pet Shop Boys: „Yes“ (Indiepedia)
Es mag nicht mehr ganz dazu reichen, die Charts zu regieren, aber als Neil Tennant und Chris Lowe im Vorfeld der „Yes“-Veröffentlichung andeuteten, sie würden mit dem größten Popding seit „Very“ zurückkommen, hätte einem schon klar sein können, dass das keine leeren Versprechungen waren. „Very“ ist zwar weit davon entfernt, das beste Pet Shop Boys – Album zu sein, aber es ist der entschiedenste Versuch der beiden Briten, im Popspiel mitzumischen. „Yes“ macht nun den Hattrick der hervorragenden Alterswerke komplett und setzt auf das kühl-zurückhaltende „Fundamental“ noch einmal ein Popfarbenfeuerwerk. „Love Etc“ war ihr neues „Can You Forgive Her“, doch die beiden besten Songs des Albums wurden nicht einmal als Single veröffentlicht. Einmal der Überpopsong „Pandemonium“, der – man glaubt es nicht – von Pete Dohertys und Kate Moss Liaison handelt, und Kate Moss verzweifelt anerkennen lässt, dass sie gar nicht der unbändige Wirbelwind ist, sondern neben Dohertys Unberechenbarkeit biedere Bourgeoisie verkörpert („To tell you the truth, I thought I was shockproof / Until I saw what you get up to“), der auf dem Album von einer Pet Shop Boys – Spezialität gefolgt wird, dem weisen, herzzerreißenden, melancholischen Disco-Song. „The Way It Used To Be“ steht dabei einem Klassiker wie „Being Boring“ oder „So Hard“ in nichts nach.
Höhepunkte:
* Pandemonium
* The Way It Used To Be
* Jener Auftritt bei den Brit Awards dieses Jahr:
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=9OAlTWrNN6o[/youtube]
Charts:
D: 3 / UK: 4 / US: 32
3. Girls: „Album“
Mit Sicherheit ist „Album“ nicht das makelloseste aller in diesem Jahr („Headache“ und „Curls“ tragen dazu ihr Scherflein bei). Aber „Album“ hat mit ebensolcher Sicherheit die meisten jener Songs, die die Jahre und Jahrzehnte überdauern können („Hellhole Ratrace“ und „Lust For Life“) und ist aus einem anderen Grund dennoch als ganzes Album eben beeindruckend: weil Chet „JR“ White, die für die Produktion zuständige Hälfte der Westküstenband, es gelingt, eine Platte, die aus zehn verschiedenen Stilrichtungen und hunderten Referenzen besteht, wie ein Werk klingen zu lassen. Und am Ende des Tages zählt eben auch: selbst mit den „durchschnittlichen“ Songs dieses Albums würden andere Bands Weltkarrieren begründen.
Höhepunkte:
* Hellhole Ratrace
* Lust For Life
* die Videos und die Plattencover!
2. The Horrors:“ Primary Colours“ (Indiepedia)
Das erstaunlichste „Comeback“ des Jahres. Als wir die Horrors das letzte Mal sahen, waren sie eine verlachte, unterschätzte Garagenpunkband, die Sonics-Rip-Offs in Horrorverkleidung spielte. Als sie mit „Sea Within A Sea“ zurück kamen, trauten wir unseren Ohren nicht. Ein achtminütiges Krautrock-Meisterwerk, das die Monotonie von Neu!, die Kühle von Martin Hannetts „Unknown Pleasures“ – Produktion mit dem nach vorne blickenden Mut der Teardrop Explodes verheiratete. Was The Horrors richtiger als wirklich alle anderen Post-Punk/New-Gloom-Bands (Interpol, Editors, White Lies, you name it) machten, die sich der Düsternis von Joy Division bis Echo & The Bunnymen bedienen wollten: die Horrors nahmen nur die Idee jenes Klangs ohne den Sound selbst zu kopieren. Natürlich kann man, wie oben exemplarisch an „Sea Within A Sea“ vorgeführt, immer noch all die Referenzpunkte der Band heraushören, aber nie klingen die Horrors dabei wie ein Abklatsch, eine Kopie. Ein makelloses Album. Wäre „Primary Colours“ ein Filmrequisit, es würde als schwarz glänzender Monolith um den Jupiter schweben.
Höhepunkte:
* Who Can Say
* Sea Within A Sea
* Primary Colours
Charts:
D: – / UK: 25
1. Ja, Panik: „The Angst & The Money“ (Indiepedia)
nothing’s about me and you, honey, it’s all about the angst and the money. Da veröffentlichen innerhalb von gut sechs Monaten Distelmeyer, von Lowtzow, Peter Hein, Regener und Schorsch Kamerun ihre respektiven neuen Alben und doch sollte keiner derart auf den Punkt die Lage des Moments beschreiben wie der junge Österreicher Andreas Spechtl in einer seiner ersten Zeilen auf dem dritten Album von Ja, Panik. Auch was in den restlichen vierzig Minuten auf uns einprasselt ist nichts weniger als erstaunlich. Spechtl findet den dritten Weg für Pop in deutscher Sprache. Weder ist er im Referenzkasten der frühen Blumfeld oder dem Schulmäppchenslogan der jungen Tocotronic gefangen noch ergibt er sich einem – bei den beiden unterschiedlich zum Ausdruck kommendem – Anklang an die Romantik der späten Distelmeyer und von Lowtzow, sondern findet wie niemand vor ihm eine Gleichberechtigung, einen Flow aus deutschen und englischen Textbestandteilen. Dass die Komposition der Musik auf Augenhöhe bleibt, ist als Kompliment nicht zu unterschätzen. Das beste deutschsprachige Album seit Jahren.
Ebenfalls empfehlenswert 2009:
11. Element Of Crime: „Immer da wo du bist bin ich nie“
12. Jamie T: „Kings & Queens“
13. Mumford & Sons: „Sigh No More“
14. Julian Casablancas: „Phrazes For The Young“
15. Karen O & The Kids: „Where The Wild Things Are OST“
16. The Rakes: „Klang“
17. We Were Promised Jetpacks: „These Four Walls“
18. The Cribs: „Ignore The Ignorant“
19. Slow Club: „Yeah, So“
20. Yeah Yeah Yeahs: „It’s Blitz!“
21. Micachu & The Shapes: „Jewellery“
22. Franz Ferdinand: „Tonight“
23. Comanechi: „Crime Of Love“
24. The Maccabees: „Wall Of Arms“
25. Jochen Distelmeyer: „Heavy“
26. Klez.E: „Von Feuer der Gaben“
27. The Big Pink: „A Brief History Of Love“
28. The Pains Of Being Pure At Heart: „The Pains Of Being Pure At Heart“
29. Die Goldenen Zitronen: „Die Entstehung der Nacht“
30. Music Go Music: „Expressions“
und 2008?
1. Laura Marling – Alas I Can’t Swim
2. Glasvegas – Glasvegas
3. No Age – Nouns
4. Crystal Castles – Crystal Castles
5. Vampire Weekend – Vampire Weekend
6. Love Is All – A Hundred Things To Keep Me Up At Night
7. 1000 Robota – Er Nicht Du Nicht Sie Nicht
8. Johnny Flynn & The Sussex Wit – A Larum
9. Hot Chip – Made In The Dark
10. Santogold – Santogold
mit Text? hier
und 2007?
1. The Good, The Bad & The Queen – The Good, The Bad & The Queen
2. Die Türen – P-O-P-O
3. LCD Soundsystem – Sound Of Silver
4. Babyshambles – Shotters Nation
5. Tocotronic – Kapitulation
6. The White Stripes – Icky Thump
7. Jamie T – Panic Prevention
8. The Cribs – Men’s Needs, Women’s Needs, Whatever
9. Friska Viljor – Bravo!
10. The Rakes – Ten New Messages
mit Text? hier
und 2006?
1. Love Is All – 9 Times The Same Song
2. The Strokes – First Impressions of Earth
3. Two Gallants – What The Toll Tells
4. The Rapture – Pieces Of The People We Love
5. Die Goldenen Zitronen – Lenin
mit Text? hier
Jahresbilanz 2009:
* Die zehn besten Popsongs
[…] seit den frühesten Tagen: ihr Debütalbum war damals 2009 eine unserer Platten des Monats (& des Jahres) und ihre sich an die frühen 80er anlehnenden Hits wie „Bulletproof“ und „In It […]