vonChristian Ihle 28.12.2018

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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1. Hereditary, Regie: Ari Aster

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Der Debütfilm von Ari Aster ist, man kann es kaum zurückhaltender formulieren, ein zukünftiger Klassiker des Horrorgenres.
Aster greift zwar auf visuelle Ideen aus dem großen Horror-Jahrzehnt, den 70ern, zurück, bindet diese aber so in seine Geschichte ein, dass „Hereditary“ nie zur Referenz allein wird und erzählt letzten Endes auch einen wirklich originellen Film in Wort und Bild. „Hereditary“ ist von der ersten Sequenz an überraschend und bewahrt sich lange seine Amibiguität zwischen Drift in den Wahnsinn und wirklicher Gefahr.
„Hereditary“ gelingt es von Beginn an, auf zurückhaltende Weise, auch dank des verstörend-subtilen Soundtracks von Colin Stetson, eine Atmosphäre der ständigen Bedrohung zu kommunizieren, die einfachste Momente – eine winkende ältere Frau, ein toter Vogel im Pausehof – zu möglichen Vorboten der Hölle stilisiert.
Selbst in der Eskalation bewahrt sich „Hereditary“ seine Würde und entlässt den Zuschauer mit einer verblüffend erhebenden, geradewegs bizarren letzten Sequenz aus dem Kino.

2. Mandy, Regie: Panos Cosmatos

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“Mandy” ist ein phantasmagorischer Albtraum, notdürftig in die schwarzen Klamotten eines bitteren Rache-Films gekleidet. Cosmatos wirft in der Hauptrolle seinen unwiderstehlich cageisierenden Nicolas Cage in eine Orgie der Overthetopness. Spätestens, wenn Cage seine eigene Axt schmiedet, um den Verbrennungsmord seiner geliebten Frau durch Jesus-Freaks zu sühnen, weißt du: this ain’t your regular revenge movie!
Und das ist noch bevor Cage LSD der Güteklasse Teufelsdosis schleckt. Oder diesem Tiger begegnet.

Zwar kann man in “Mandy” Spuren des End70er/Früh80er-Horrors finden oder ist “Hellraiser” ebenso wie “Heavy Metal” sicher eine visuelle Referenz, doch tappt Cosmatos nie in die Retro-Falle, sondern erschafft eine eigene, bizarre Welt, die zwischen direktem Realismus und purer Phantasmagorie wandelt und sich in Blut und Hässlichkeit geradezu suhlt.

3. Loveless, Regie: Andrey Zvyagintsev

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Ein kühler Brocken von einem Film, der aber so brillant geschrieben, gespielt und gedreht ist, dass er von der ersten Minute an fesselt. Schon Andrey Zvyagintsev Vorgänger „Leviathan“ war bemerkenswert, aber wie „Loveless“ die Suche eines zerstrittenen Elternpaars nach ihrem verschwundenen Kind begleitet, ist beinah unerträglich in seiner kühlen Genauigkeit. Ein Blick auf Russland und andere Gesellschaften des Neo-Kapitalismus wie er nicht vernichtender sein könnte.

4. First Reformed, Regie: Paul Schrader

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Endlich Gewissheit: so würde also ein Film aussehen, den Ingmar Bergman und Werner Herzog gemeinsam drehen! Was Paul Schrader hier mit „First Reformed“ gelingt, hätte nun wirklich gar niemand mehr erwartet. Schrader, diese Gallionsfigur des New Hollywood (u.a. Autor von „Taxi Driver“ & „Wie ein wilder Stier“, Regisseur von „Katzenmenschen“), war tief gestürzt und zuletzt mit Nicolas-Cage-B-Movies beschäftigt, wenn nicht Lindsey Lohan in seinen softpornoesquen Auteurfantasien herumturnte („The Canyons“). Aber „First Reformed“? Ein karger, protestantischer Blick auf das Leben, den Glauben, den Verlust und das Ende aller Hoffnung. Mit mindestens zwei Szenen inklusive Ende, die so WTF sind, wie das sonst nur Herzog bringt.

5. Der seidene Faden, Regie: Paul Thomas Anderson

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In gewisser Weise war „Der seidene Faden“ der für mich überraschendste Film 2018. Erwartet habe ich zwar die Meisterleistungen vor und hinter der Kamera (es ist eine bodenlose Frechheit, dass Daniel Day-Lewis nicht den Oscar gewonnen hat, sondern Gary Oldman mit seiner Churchill-Gummimasken-Charade!), aber nicht die Entwicklung der Geschichte und die Konsequenz des Dralls ins Absonderliche mit fortschreitender Filmdauer. So ist „Der Seidene Faden“ tatsächlich mehr als nur das erwartete Sittenbild der Künstlerbourgeoisie, sondern ein Liebes- und Machtdrama um überraschend verkorksten Menschen.

6. Climax, Regie: Gaspar Noe

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Auch mit seinem fünften Film erschafft Gaspar Noe einen Kino-(Alb)Traum. Wie schon in „Enter The Void“ liefert eine entfesselte Kamera Bilder, wie man sie sonst nie zu sehen bekommt. Noe kreiert eine 15minütige Tanzsequenz, die atemberaubend choreographiert und gefilmt ist. Die Hölle lässt aber natürlich nicht lange auf sich warten und so wird das letzte Drittel zu einem wirklichen Geduldstest für den Zuschauer, fängt Noe doch Drogen-Psychosen mit einer Eindrücklichkeit ein, die uns wirklich zu schaffen macht.
Es bleibt übrigens noch – wie bei jedem Gaspar Noe – Film zu sagen: diese Filme sind für das Kino gemacht. Sie gehören auf der größtmöglichen Leinwand mit der geringstmöglichen Fluchmöglichkeit geschaut.

7. Brawl In Cell Block 99, Regie: S. Craig Zahler

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Im Gegensatz zum allgemeinen Konsens bin ich ja einer der weniger, der Crag S. Zahlers Debütfilm „Bone Tomahawk“ zu lang und zu umständlich fand. Doch im Gegensatz zu „Bone Tomahawk“ hat „Brawl“ in seinem Zentrum eine wirklich erstaunliche Figur, die Vince Vaughn so formidabel spielt, wie ich ihm das nicht zugetraut hätte. Die berechnende Kühle, diese knallharte Effizienz bei gleichzeitig durch und durch gelebtem Moralkodex macht Vaughns Bradley Thomas zu einem der erstaunlichsten Action-Protagonisten seit langer Zeit. Trotz der eigentlich unmenschlichen, unerträglichen Leiden, die Bradley Thomas in „Brawl“ erfährt, gelingt es Vaughn seine Figur weiterhin glaubwürdig zu zeichnen – hier könnte sich wirklich jeder Actionfilm eine Scheibe abschneiden. Und trotzdem ist „Brawl“ alles andere als ein Actionfilm, erzählt Zahler doch wieder so langsam und ruhig, dass der Film beinah stillsteht. Seine Hauptfigur steckt Schlag um Schlag um Schlag ein, wird getreten und geknechtet. Und steht doch wieder auf und schlägt zurück, mal um mal. Das ist selbst in der stark geschnitten deutschen Ab18-Version immer noch von einer Härte und Kompromisslosigkeit wie man sie lange nicht mehr im Kino gesehen hat.
Dass ich am Ende ernsthaft gerührt war vom Leidensweg dieser Figur hat niemanden mehr überrascht als mich selbst. Respekt und Abbitte an Zahler und Vaughn.

8. Death Of Stalin, Regie: Armando Iannucci

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Ich kenne wirklich niemanden, der das schwierige Genre der Politsatire so smart und gleichzeitig profan behandeln kann wie Armando Iannucci. Nach der brillanten UK-Serie „The Thick of it“ (und seinem eigenen amerikanischen Cover „Veep“) marschiert Iannucci hier in das Reich der Sowjetunion ein und zeigt die letzten Tage Stalins – und kommt dann richtig in Schwung, wenn die Faktionskämpfe nach dem Ableben des Diktators beginnen.
Iannucci lässt die Kabale aber eben nicht sowjetspezifisch ausspielen, sondern legt sie als Allegorie auf Machtkämpfe an und zwar im Besonderen auf die Konsequenzen von erdrückender Macht und dem darauf unabdingbar folgenden Machtvakuum. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann kann man hier auch einen Kommentar zum Zustand der Tory-Partei in England herauslesen, vielleicht mit einem etwas geringeren Anteil an standrechtlichen Erschießungen.

9. Isle Of Dogs, Regie: Wes Anderson

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Die Stop-Motion-Tricktechnik kitzelt die besten Filme aus Wes Anderson heraus. Das Kuriose dabei: wirkten die menschlichen Charaktere in Andersons hyperartifiziellen Filmen in den letzten Jahren oft wie karikatureske Abziehbilder, sind seine Animationsfiguren so fein geschrieben, dass sie sofort des Zuschauers Herz gewinnen und menschlicher wirken, als es Andersons Arthouse-Star-Parade in seinen Realfilmen gelingt.
„Isle Of Dogs“ ist trotz Setting und Thema kein Kinderfilm, sondern passt sich völlig in Andersons sonstigen Kanon ein. Auch in der Stopmotion-Welt ist die Ausstattung famos, wird auf jedes Detail geachtet, sich eifrig vor der Filmhistorie verneigt und ist Farbenpracht wie visueller Einfallsreichtum ein einziges Fest. Dazu sind die Hundecharaktere mit wenigen Strichen so fein herausgearbeitet, dass sich tatsächlich ein Ensemble-Cast-Gefühl ergibt, das durch den Film trägt.
„Isle Of Dogs“ ist Wes Andersons bester Film seit seinem letzten Stopmotion-Ausflug, dem tatsächlich fantastischen „Mr Fox“.

10. Thelma, Regie: Joachim Trier

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Ein weiteres Argument dafür, dass Joachim Trier der beste junge Regisseur Europas ist. Vier Filme, kein Fehlschlag, zwei Meisterwerke („Oslo, 31. August“ & „Reprise“).
„Thelma“ ist im Gegensatz zu den Vorgängern aber erstaunlich nah am Genrefilm.
Die Stärken liegen aber dennoch – wie immer bei Trier – in der Zeichnung der Hauptfigur und wie Trier diese „lostness“ in der Adoleszenz so unglaublich echt einfängt. „Thelma“ und im Besonderen sein – möglicherweise – polarisierendes Ende verstehe ich als eine Allegorie auf ein Coming Of Age, das repressive gesellschaftliche Strukturen und den Weg daraus thematisiert.

11. Widows, Regie: Steve McQueen
12. A Quiet Place, Regie: John Krasinski
13. Calibre, Regie: Matt Palmer
14. Mission Impossible – Fallout, Regie: Christopher McQuarrie
15. Mug, Regie: Małgorzata Szumowska
16. Bomb City, Regie: Jameson Brooks
17. Die Verlegerin, Regie: Steven Spielberg
18. Roma, Regie: Alfonso Cuarón
19. Avengers – Infinity War, Regie: Anthony Russo, Joe Russo
20. Der andere Liebhaber, Regie: Francois Ozon

21. Shape Of Water, Regie: Guillermo Del Toro
22. The House That Jack Built, Regie: Lars von Trier
23. Three Billboards Outside Ebbing Missouri, Regie: Martin McDonagh
24. Lady Bird, Regie: Great Gerwig
25. Black Panther, Regie: Ryan Coogler
26. Polizeiruf 110: Tatorte, Regie: Christian Petzold
27. Utoya, 22. Juli, Regie: Erik Poppe
28. I, Tonya, Regie: Craig Gillespie
29. A Beautiful Day, Regie: Lynne Ramsay
30. The Guilty, Regie: Gustav Möller

31. Transit
32. Spider-Man: Into The Spiderverse
33. Florida Project
34. 7 Tage In Entebbe
35. Private Life
36. Molly’s Game
37. Ballad Of Buster Scruggs
38. Black 47
39. Suspiria
40. Im Zweifel glücklich

41. Der Nebelmann
42. Green Fog
43. November
44. Villainess
45. Red Sparrow
46. Anon
47. Wolfsnächte
48. Wind River
49. Under The Silver Lake
50. L’Animale

Die Vorjahressieger:

2017: RAW (F/BEL, Regie: Julia Ducournau)

2016: Green Room (USA, Regie: Jeremy Saulnier)

2015: Victoria (D, Regie: Sebastian Schipper)

2014: Boyhood (USA, Regie: Richard Linklater)

2013: Upstream Colour (USA, Regie: Shane Carruth)

2012: Drive (USA, Regie: Nicolas Winding Refn)

2011: Submarine (UK, Regie: Richard Aoyade)

2010: Bad Lieutenant: Port Of Call – New Orleans (USA, Regie: Werner Herzog)

2009: Inglorious Basterds (USA, Regie: Quentin Tarantino)

2008: No Country For Old Men (USA, Regie: Joel & Ethan Coen)

2007: Ex Drummer (Belgien, Regie: Koen Mortier)

2006: Match Point (USA, Regie: Woody Allen)

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