vonDetlef Georgia Schulze 04.06.2023

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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§ 353d Strafgesetzbuch lautet:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. entgegen einem gesetzlichen Verbot über eine Gerichtsverhandlung, bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, oder über den Inhalt eines die Sache betreffenden amtlichen Dokuments öffentlich eine Mitteilung macht,
2. entgegen einer vom Gericht auf Grund eines Gesetzes auferlegten Schweigepflicht Tatsachen unbefugt offenbart, die durch eine nichtöffentliche Gerichtsverhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Dokument zu seiner Kenntnis gelangt sind, oder
3. die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__353d.html)

Im vorliegenden Zusammenhang interessiert Nummer 3, denn ich habe „in […] Teilen“ den Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts München in Sachen „Die Letzte Generation“ „im Wortlaut öffentlich mit[ge]teilt“. Der Beschluß gehört auch zu einem Strafverfahren, zu dem eine öffentliche Verhandlung nicht einmal terminiert wurde – denn es ist ja nicht einmal klar, ob am Ende Anklage erhoben oder auch nur der Durchsuchungsbeschluß Bestand haben (oder für rechtswidrig erklärt werden) wird.

Ob das, was ich wörtlich zitiert habe, die „wesentlichen“ Teile waren oder ob ich vielmehr die „wesentlichen“ Teile bloß in indirekter Rede zitiert habe, überlasse ich gerne der Beurteilung durch Staatsanwaltschaften und Gerichten. Diese Indifferenz mag mir gerne als bedingter Vorsatz zur Verwirklichung des Straftatbestandes ausgelegt werden, denn ich halte ihn in den vorliegenden Form eh für verfassungswidrig.

Verfassungsgemäß wäre dieser Straftatbestand nur, wenn er ein allgemeines Gesetz oder aber eine „gesetzlichen Bestimmung zum Schutze der Jugend“ oder der „persönlichen Ehre“ wäre (oder soweit er dies wäre).

 

  • Dem Schutze der Jugend mag das Zitierverbot dienen, soweit es um die Verbreitung blutrünstiger Sachverhaltsdarstellungen ohne Alterscheck geht – aber darum handelt es sich hier nicht
  • Dem Schutze der persönlichen Ehre würde es dienen, wenn es darum ging, eine Stigmatisierung von Beschuldigten usw. zu verhindern. Die Gefahr einer solchen Stigmatisierung geht aber viel eher von sinnentstellendem Zitieren in indirekter Rede als von wörtlichem Zitieren aus. Außerdem äußere ich mich ja gerade kritisch zu dem Duchsuchungsbeschluß – also die Beschuldigten verteidigend. 
  • Um ein allgemeines Gesetz handelt es sich deshalb nicht, da § 353d Nr. 3 StGB gerade bestimmte Äußerungen unter Strafe stellt – also an den Grundrechten aus Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz1 nicht vorbeistreicht (wie es aber erforderlich ist, damit ein Gesetz „allgemein“ im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz ist2).

Schließlich mag – artikel 5-exzentrisch – noch das Interesse der Ermittlungsbehörden, ihr Ermittlungsverfahren geheimzuhalten (sie müssen die Betroffenen nicht sogleich informieren), in Betracht gezogen werden. Aber auch dieses Interesse spielt vorliegend keine Rolle mehr – die Betroffenen selbst haben von Ermittlungsverfahren und Durchsuchungsbeschluß ohnehin schon handgreiflich erfahren.

Ich benötige auch keinen besonderen Grund, um über den Durchsuchungsbeschluß (statt z.B. über die Männer-Fußball-Bundesliga) zu berichten oder um wörtlich statt indirekt zitieren zu dürfen, denn:

„Im Zentrum der grundrechtlichen Gewährleistung der Pressefreiheit steht das Recht, Art und Ausrichtung, Inhalt und Form des Publikationsorgans frei zu bestimmen.“
(https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2001/04/rk20010426_1bvr075897.html, Textziffer 39; Hv. hinzugefügt)

Allerdings hatte ich sogar besondere Gründe dafür, teils wörtlich zu zitieren; zum Beispiel habe ich wörtlich zitiert,

  • um meine Distanz zu bestimmten gerichtlichen Begriffen und Formulierungen deutlich zu machen (z. B.: „links-radikales, verfassungswidriges Gedankengut“; „bewusst und zielgerichtet [begangene] Straftaten“)
  • um die Authentizität von Zwischenüberschriften und deren teilweise Unvollständigkeit durch gerichtliche Anonymisierung deutlich zu machen (z.B.: „Der Beschluß ist dann in vier mit römischen Zahlen versehenen Abschnitten gegliedert: […] ‚II. Organisation der Finanzierung der Kriminellen Vereinigung Die letzte Generation bis zum 01.03.2023 über‘ (Der Rest der Überschrift ist anonymisiert) (Bl. 1319 bis 1320)“.
  • um Unterschiede zwischen gesetzlichen und gerichtlichen Formulierungen deutlich zu machen (z.B.: „Vereinigung“ im Gesetz, aber teilweise „Bündnis“ im Amtsgericht-Beschluß)
  • um die gerichtliche Bezeichnung bestimmter Ereignisse und Veranstaltungen (z.B.: „„Hungerstreiks der letzten Generation““), von denen ich nicht weiß, wie sie von den Veranstaltenden bzw. Beteiligten selbst bezeichnet wurden, deutlich zu machen.

(Auf die Frage, ob mein Text unter dem Gesichtspunkt von Form, Länge und Stil/Argumentationsweise nicht eher wissenschaftlich als journalistisch ist und daher – unabhängig vom [journalistischen] Veröffentlichungsort – unter dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit [die wie alle Grundrechte aus Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz ohnehin nicht den Schranken aus Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz unterliegt3], muß daher hier nicht näher eingegangen werden.)


Fortsetzung folgt.


Bisher sind erschienen:

Der Durchsuchungsbeschluß in Sachen „Letzte Generation“

Es folgt noch:

  • Anhang: Noch einmal speziell zu den Blockaden

1 „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ (Der weitere Satz in Absatz 1 [„Eine Zensur findet nicht statt.“ ist dagegen selbst kein Grundrecht, sondern eine sog. Schranken-Schranken: Er setzt den Schranken aus Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz seinerseits eine Schranken, soweit es präventive Maßnahmen anbelangt.])

2 Zu dieser Auslegung des Begriffs „allgemeine Gesetze“ in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz siehe Anhang 1 (Zum Begriff der „allgemeinen Gesetze“ in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz) meines Textes vom 10.05.2023 bei publikum.net; https://publikum.net/staatsanwaltschaft-karlsruhe-klagt-redakteur-von-radio-dreyeckland-rdl-an-presseschau/.

3 Anderenfalls stünde der tatsächliche Absatz 2 nicht in der Mitte, sondern am Ende von Artikel 5 Grundgesetz.

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