vonDetlef Georgia Schulze 26.05.2023

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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1. Sehen wir uns zunächst den Wortlaut von § 129 Strafgesetzbuch an, der in dem Beschluss aber nicht angeführt wird:

 

2. In Abschnitt I. wird im ersten Satz behauptet, die „Letzte Generation“ sei eine „Vereinigung von Aktivisten aus der Umweltschutzbewegung“. Da diese Behauptung aufgestellt wird, ist zu verlangen, daß sie auch begründet wird – zumal wenn sie im Abschnitt „Gründe“ des Durchsuchungsbeschlusses steht.

Wie wir gerade schon gesehen haben, ist der Begriff „Vereinigung“ in § 129 StGB folgendermaßen definiert:

„Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.“

Die entscheidenden positiven Definitionsmerkmale, die zwingend vorliegen müssen, sind also:

„Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter […] organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.“

a) In dem Beschluß wird nicht erörtert, was für eine Anlegung auf „längere Dauer“ erforderlich ist – also, was die Mindestdauer von „längere[r] Dauer“ ist. Folglich wird auch nicht erörtert, ob dieses Tatbestandsmerkmal im Falle der „Letzten Generation“ gegeben ist – oder zumindest ein diesbzgl. Anfangsverdacht gegeben ist. (Auch die Anforderungen an einen Anfangsverdacht werden in dem Beschluß im übrigen nicht angeführt und folglich auch nicht im Hinblick auf ihr Gegebensein oder Nicht-Gegebensein im konkreten Fall erörtert.)

c) Es ist sodann erforderlich, daß es sich um einen „organisierte[n] Zusammenschluss“ handelt. Auch dieser Begriff wird nicht erörtert / definiert. Folglich wird wiederum nicht erörtert, ob die „Letzte Generation“ dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt oder zumindest ein diesbzgl. Anfangsverdacht gegeben ist.

d) Sodann ist erforderlich, daß es sich um „mehr als zwei Personen“ handelt – das ist bei fünf Leuten, die der Mitgliedschaft beschuldigt werden, zumindest auf der Behauptungsebene gegeben.

e) Schließlich ist noch erforderlich, daß der Zusammenschluß „zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses“ erfolgt ist. – Dieses Interesse mag vorliegend umstandslos in wirksamen Klimaschutz gesehen werden (das Interesse selbst muß nicht strafbar sein).

Wir erfahren aus dem Beschluß also nicht, warum zumindest mal der Anfangsverdacht besteht, daß es sich bei der „Letzten Generation“ überhaupt um eine „Vereinigung“ im strafrechtlichen Sinne handelt (geschweige denn um eine Kriminelle).

Im ersten Satz des nächsten Absatzes des Beschlusses wird die „Letzte Generation“ dann sogar als (bloßes) „Bündnis“ bezeichnet. Jedenfalls im politischen Sprachgebrauch ist ein „Bündnis“ aber eher etwas Loseres und Kurzfristigeres als eine „Vereinigung“. – Daran zeigt sich, wie wichtig es wäre, die strafrechtliche Bedeutung des Begriff „Vereinigung“ sorgfältig zu erörtern, wenn behauptet wird, es bestehe der Anfangsverdacht, eine bestimmte Mehrzahl von Personen sei eine „Vereinigung“ im strafrechtlichen Sinne – aber wie gesagt: Fehlanzeige in dem Beschluß des Amtsgerichts München.

2. Immerhin wird in dem Beschluß behauptet, die „Letzte Generation“ habe sich 2021 aus Teilnehmern des „Hungerstreiks der letzten Generation“ gebildet. Ein konkretes Datum und ein Ort der angeblichen Gründung wird aber nicht benannt – auch nicht, ob die Teilnehmenden dabei ein Bewußtsein gehabt haben sollen, eine Vereinigung im strafrechtlichen Sinne zu bilden.

3. Sodann wird auf Blatt 1316 oben behauptet, die AktivistInnen begingen bei ihren Aktionen „bewusst und zielgerichtet Straftaten“. Es wird aber nirgends in dem Beschluß erörtert, mit welchen Aktionen denn welche Straftatbestände verwirklicht werden – geschweige denn, woraus sich Bewußtsein und Zielgerichtetheit in Bezug auf diese angeblichen Straftaten ergeben soll.

4. Es folgt dann eine Liste von „Aktionen“, von denen behauptet wird, daß diese „strafbar“ seien und daß mindestens diese Aktionen der „Letzten Generation“ zugeordnet werden könnten.

Die angebliche Strafbarkeit wird – wie gesagt – nicht begründet; die Zuordnung wird nicht belegt – obwohl es vielleicht sogar (anhand von Aufrufen auf der Homepage der „Letzten Generation“ oder posts in sog. Sozialen Medien einfach belegt werden könnte). Insgesamt entsteht der Eindruck, daß nicht viel Arbeit und Sorgfalt in den Beschluß gesteckt wurde.

5. Es werden dann – wie gesagt – Aktionen aufgelistet – und zwar aus dem Zeitraum vom 24. Januar 2022 bis zum 24. November 2022.

Zu diesen Aktionen werden bloß kurze faktische Beschreibungen gegeben: Daß etwas blockiert worden sei; daß Rapsöl auf einer Fahrbahn ausgegossen worden sei; daß jemand in ein Hafenbecken gesprungen sei. – Eine Subsumtion unter irgendwelche Straftatbestände findet – wie bereits gesagt – nicht statt.

Zu einer dieser Aktionen wird immerhin behauptet, daß ölartige Flüssigkeit ausgegossen worden sei, daß dadurch Radfahrer gestürzt und verletzt worden seien. Daß der Zweck oder die Tätigkeit der angebliche Vereinigung auf diese Verletzungen im Sinne von § 129 Absatz 1 Satz 1 Strafgesetzbuch „gerichtet“[1] gewesen war, wird nicht behauptet.

Es wird zwar erwähnt, daß Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, aber es wird

  • weder geprüft, ob
  • noch behauptet, daß

der Anfangsverdacht auf Straftaten zurecht bejaht wurde.

Es wird auch noch erwähnt, daß das Pflaster eines Bürgersteiges aufgerissen worden sei und daß versucht worden sei, die Notabschaltung von Ölpipelines zu manipulieren und daß wegen letzterem Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Wiederum wird weder erörtert, ob noch behauptet, daß eine Einleitung der Verfahren zurecht erfolgt sei (was meinetwegen aber unterstellt werden kann). Wichtiger in dem Zusammenhang: Es wird auch zu den Ölpipelines nicht dargelegt, woraus sich die Zuordnung zu der vermeintlichen Vereinigung ergeben soll.

Es wird auch erwähnt, daß eine Wand mit schwarzer Flüssigkeit „beschmiert“ worden sei und, daß sich an zwei Gemälde in zwei Museen festgeklebt worden sei. Dadurch seien dauerhafte Schäden entstanden; diese werden nicht belegt (es wird z.B. nicht auf Sachverständigen-Gutachten Bezug genommen). Auch die Zuordnung zu der Vereinigung wird wiederum nicht belegt.

Es wird auch noch erwähnt, daß ein Zaun durchschnitten worden sei. Es wird aber nicht behauptet, daß das Durchschneiden (statt Überklettern) Aktionskonsens und von der angeblichen Vereinigung gewollt gewesen sei.

6. Es wird sodann behauptet, daß die angebliche Vereinigung eine „straffe Organisationsstruktur“ habe und daß auf die „konspirative Absicherung der Führungspersonen“ geachtet werde. Auch dazu werden in dem Beschluß keine näheren Angaben gemacht. Es werden auch keine Angaben dazu gemacht, wieviel Mitglieder die angebliche Vereinigung ungefähr haben soll und wie Mitglieder der angeblichen Vereinigung von bloßen TeilnehmerInnen an den Aktionen unterschieden werden bzw. ob sie (von der Staatsanwaltschaft und dem Gericht) unterschieden werden.

Es wird nicht einmal gesagt, daß ob die angebliche Kriminelle Vereinigung allein aus diesen angeblich konspirativ abgeschotteten Führungspersonen des „Bündnisses“ oder auch aus weiteren Mitgliedern bestehen soll.

Es wird zwar gesagt, es hätten sich bundesweit bereits „mehrere hundert Personen an Straftaten“ der Vereinigung beteiligt, aber es wird nicht gesagt, ob nach Ansicht von Staatsanwaltschaft und Gericht die Mitgliedschaft in der Vereinigung, z.B. allein durch Teilnahme an einer der Aktionen oder wodurch sonst zustande kommt. Folglich wird auch nicht dargelegt, auf welche Art und Weise angeblich der Wille der Vereinigung zustande kommen – wie also Zeit, Ort und Art der Aktionen festgelegt werden. Folglich fehlt es auch an jedem Beleg für die ‚Gerichtetheit‘ des Zweckes oder der Tätigkeit der Vereinigung auf der Straftaten der in § 129 Absatz 1 Satz 1 genannten Art (Höchststrafe mindestens zwei Jahre) – irgendwelche Personen oder irgendeine Struktur müßte diese Gerichtetheit ja festgelegt haben (meinetwegen im Grenzfall: bloß konkludent und bloß bedingt-vorsätzlich[2]), wenn sie bestehen soll.

Selbstverständlich wird auch nicht erörtert, ob sich die angeblichen Mitglieder – vor den Durchsuchungen – der Möglichkeit bewußt waren, daß ihre angebliche Vereinigung wegen der angeblichen Straftaten als Kriminelle klassifiziert werden kann.

Es wird behauptet, den Mitgliedern würden bestimmte Kosten (z.B. Reisekosten) erstattet, „um ihnen so die Begehung von Straftaten“ zu ermöglichen; die Intentionalität („um“) in Bezug auf Straftaten wird selbstverständlich nicht belegt.

Es wird zwar zitiert, daß die „Letzte Generation“ Mitglieder suche, die „bereit sind, auch ins Gefängnis zu gehen“. Das wird im Sinn der Absicht zu Straftaten ausgelegt. Nicht erwogen wird aber, ob sich der Ausdruck „ins Gefängnis […] gehen“ im politischen Sprachgebrauch auch auf eine Festnahme und kurzzeitige Inhaftierung nach einer Blockade beziehen kann.

Es wird von „Drohschreiben“ gesprochen; es wird zitiert, daß dort von „maximaler Störung der öffentlicher Ordnung“ die Rede sei. Es wird aber nicht darauf eingegangen, daß die Begriffe „öffentliche Ordnung“ und „öffentliche Sicherheit“ zu unterscheiden sind. Die öffentliche Ordnung – im polizeirechtlichen Sinne – wird nämlich durch ungeschriebene Regeln definiert; es handelt sich also gerade nicht um Straftatbestände.

Der Amtsrichter ist sogar so wirr, daß er der angeblichen Vereinigung die billigende Inkaufnahme (= bedingter Vorsatz) der selbstjustiziellen Angriffe auf Mitglieder der „Letzten Generation“ unterstellt.

Im Schlußsatz von Abschnitt I. wird dann noch behauptet, es gehe von der angeblichen Vereinigung „insgesamt eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ aus. Begründet wird auch dies selbstverständlich nicht.

Nach alledem drängt sich mir die Bewertung auf, bei dem Beschluß handele es sich um ein zusammengeschludertes Machwerk – wobei es sicherlich durchaus möglich wäre, in Bezug auf den vorliegenden Fall einen besser begründeten (ob ausreichend begründeten, sei an dieser Stelle offengelassen) Beschluß zu schreiben.


Fortsetzung folgt.


Bisher sind erschienen:

Der Durchsuchungsbeschluß in Sachen „Letzte Generation“

Es folgt noch:

  • Anhang: Noch einmal speziell zu den Blockaden
     

[1] „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129.html; Hv. hinzugefügt)

[2] Aber jedenfalls muß es irgendwie dieses Festlegung und ein Subjekt dieser Festlegung gegeben haben.

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kommentare

  • Danke, dass sich jemand die Mühe macht, diese himmelschreiende Ungerechtigkeit zu zerpflücken. Ich verstehe die Verzweiflung der jungen Menschen und ziehe eher meinen Hut vor deren Mut, so hartnäckig auf die Untätigkeit von Politik und Gesellschaft hinzuweisen. Eine Radikalisierung nehme ich eher seitens des sog Rechtsstaates zur Kenntnis und frage mich, was kommt als nächstes? Dass sich Bürger legitimiert sehen, aggressiv gegen die Aktivisten vorzugehen, sehe ich als Schuld von Politik, Journalisten und Ordnungskräften.

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