vonDetlef Georgia Schulze 28.05.2023

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Der Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts München in Sachen „Letzte Generation“ geht auf die zentralen juristischen Fragen, die sich in Bezug auf die Aktionen der „Letzten Generation“ stellen, gar nicht erst ein. In Teil I der vorliegenden Artikel-Serie wurde dies bereits in Bezug auf zwei dieser Punkte gezeigt – und weitere kommen hinzu:

1. Der Beschluß enthält keine Prüfung, ob Blockaden (der hier in Rede stehenden Art) strafbar sind. Diese Frage ist aber in der Rechtswissenschaft durchaus umstritten und der Rechtsprechung bisher nur uneindeutig beantwortet (siehe dazu unten S. 21), sodaß es geboten ist, auf diese Frage inhaltlich-argumentativ einzugehen, bevor sie eventuell bejahend beantwortet wird.

2. Der Beschluß geht auch nicht auf die Frage ein, ob die „Letzte Generation“ überhaupt eine Vereinigung (egal, ob nun Kriminell oder nicht) im Sinne von § 129 Absatz 2 Strafgesetzbuch ist und wie Mitglieder und Nicht-Mitglieder dieser eventuellen Vereinigung von einander abzugrenzen sind.

Die entscheidenden positiven Definitionsmerkmale sind dort:

  • „auf längere Dauer angelegt“
  • „organisierter Zusammenschluss“
  • „von mehr als zwei Personen“
  • „zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses“1.

Kriterium drei („mehr als zwei Personen“) und vier („übergeordneten gemeinsamen Interesses“) sind vorliegend sicherlich gegeben.

In Bezug auf Kriterium 1 („auf längere Dauer angelegt“) und 2 („organisierter Zusammenschluss“) ist dies aber nicht so klar – wenn auch nicht ausgeschlossen.

Grundvoraussetzung dafür, um diesbzgl. zu einer Klärung zu gelangen, wäre diese – im Gesetz selbst nicht definierten – Begriffe zu definieren bzw. diese beiden Tatbestandsvoraussetzungen zu konkretisieren. Dafür müßte sich mit der bisherigen Rechtsprechung zu § 129 Absatz 2 StGB und der rechtswissenschaftlichen Fachliteratur dazu auseinandergesetzt werden. Das geschieht in dem amtsgerichtlichen Beschluß aber nicht.

Ich mache dies in dieser Stelle auch nicht – aus zwei Gründen:

  • Erstens: Die Artikel-Serie ist eh schon recht lang.

  • Zweitens: Ich kenne den Sachverhalt nicht genau genug; weder war ich mal vor den Durchsuchungen auf der Homepage der „Letzten Generation“ (auf der neuen scheinen die alten Inhalte [noch] nicht eingespielt zu sein2; bei archive.org habe ich sie auch nicht finden können3), und selbstverständlich kenne ich auch nicht den Inhalt der rund 1.300 Seiten Ermittlungsakten.Das heißt: Ich könnte zwar versuchen, die Begriff zu klären4; aber die uns interessierende Frage läßt sich im Moment durch mich nicht und auch nicht durch andere politische, journalistische und rechtswissenschaftliche BeobachterInnen klären, weil (noch) kein umfassender Informationszugang zur faktischen Seite des Falls besteht.

3. Im Zusammenhang mit der Frage, ob die „Letzte Generation“ überhaupt eine Vereinigung im strafrechtlichen Sinne ist und wie ggf. Mitglieder und Nicht-Mitglieder von einander zu unterscheiden sind, gibt es ein weiteres (rechtliches) Problem, auf dessen rechtliche Seite das Amtsgericht nicht eingeht. In dem Durchsuchungsbeschluß heißt es zur faktischen Seite des Problems auf Bl. 1317 der Akten:

„dezentrale örtliche Aktivistengruppen [brauchen] gar keine Einblicke in die Führungsstruktur haben […] und [sollen] selbstständig die als ‚Aktionen‘ bezeichneten Straftaten begehen“.

Wenn wir diese faktische Behauptung des Gerichts als wahr unterstellen, dann stellt sich in rechtlicher Hinsicht folgende Frage: Gibt es – sofern überhaupt Vereinigungs-Charakter im strafrechtlichen Sinne aufweisend – eine (einzige) bundesweite Vereinigung „Letzte Generation“? Oder gibt es mehrere örtliche Vereinigungen? Und falls letzteres und falls außerdem wahr ist, daß die „dezentrale[n] örtliche[n] Aktivistengruppen […] selbstständig die als ‚Aktionen‘ bezeichneten Straftaten begehen sollen“, ist

  • dann die Führungsgruppe eine weitere Vereinigung

  • und, falls ja, (auch) diese Kriminellen Charakters, wenn doch – so das Gericht – die „örtliche[n] Aktivistengruppen […] selbstständig die […] Straftaten begehen“ (meine Hv.).

Diese Überlegungen mögen sich vielleicht an den Haaren herbeigezogen anhören – aber sie werden nicht von mir an den Haaren herbeigezogen, sondern sie finden sich in der bisherigen Anwendungs- und Rechtsprechungspraxis zu den § 129 bis § 129b StGB:

BGH: Die – die lokalen Zellen übergreifende – bundesweite Struktur der Revolutionären Zellen war ihrerseits (anders als die lokalen Zellen) keine terroristische Vereinigung

So hat der Bundesgerichtshof5 zum Beispiel entschieden, daß

    • sowohl die „Revolutionäre Zelle“ (Singular) bis Sept. 1976 einerseits sowie die verschiedenen „Revolutionären Zellen“ (Plural) ab Sept. 1976 andererseits
    • als auch für die „Revolutionäre Zelle“ Frankfurt bis 1978 einerseits und die Berliner Zelle ab 1980 andererseits

jeweils unterschiedliche terroristische Vereinigungen gewesen seien. Darüber hinaus hat der BGH speziell zu der die örtlichen Zellen übergreifenden Struktur entschieden:

„Eine den gesamten Zeitraum von 1975 bis 1990 und gleichzeitig auch die verschiedenen regionalen Gruppierungen umfassende einheitliche Vereinigung im Sinne des § 129a StGB (‚Gesamtvereinigung‘) war […] nicht gegeben. Zwar erscheint es grundsätzlich vorstellbar, daß sich eine terroristische Gruppierung in der Art organisiert und strukturiert, daß neben einzelnen regionalen Vereinigungen auch eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht, die ihrerseits ebenfalls die Kriterien einer terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB erfüllt, wobei einzelne Mitglieder sowohl der regionalen, als auch der Dach-Vereinigung an-gehören und sich an ihnen aktiv beteiligen können. Hier ergibt sich jedoch aus den Ermittlungen, daß nach der Umstrukturierung der ‚Revolutionären Zelle‘ im Zeitraum von 1976 bis 1981 keine solche Dach-Vereinigung vorhanden war, die selbst als terroristische Vereinigung nach § 129a StGB angesehen werden könnte. Dazu wäre Voraussetzung gewesen, daß sich mehrere Personen zu einer Vereinigung zusammenschließen, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet war, bestimmte Straftaten der in § 129a Abs. 1 StGB genannten Art zu begehen, wobei die Unterwerfung der Mitglieder unter eine organisierte Willensbildung notwendig ist, was innerhalb der Vereinigung bestehende, von den Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen voraussetzt (BGHSt 10, 16 f.; 28, 147 f.; 31, 202, 205).Wie der Generalbundesanwalt in seiner Beschwerdebegründung vom 5. März 2001 unter Hinweis auf Fundstellen in dem publizistischen Organ ‚Revolutionärer Zorn‘ der ‚Revolutionären Zelle‘ im einzelnen belegt, hat sich die ‚Revolutionäre Zelle‘ im September 1976 in ‚Revolutionäre Zellen‘ umbenannt und mehrere einzelne selbständige, regional aufgeteilte Zellen mit eigenen Entscheidungs- und Handlungsbefugnissen gebildet. Dabei wird zur Eigenständigkeit dieser Zellen betont, daß ‚jeder selbst entscheiden kann‘ … ‚ohne auf die Bestätigung oder das Dementi eines nicht vorhandenen ZK’s zu warten‘ (Revolutionärer Zorn Nr. 5, April 1978). Dies belegt das Fehlen einer übergeordneten Vereinigung mit eigener Entscheidungsstruktur, der sich die einzelnen Mitglieder der Zellen unterworfen hätten. Dem entspricht, daß es nach der Aussage des Zeugen M. , der zu der Zusammensetzung und Struktur der ‚Revolutionären Zellen‘ in dem fraglichen Zeitraum ab Mitte der 80er Jahre umfangreiche und umfassende Angaben gemacht hatte, an überregionalen Tätigkeiten lediglich einmalige jährliche Treffen von Abgesandten der einzelnen Zellen gegeben hatte, die ‚Miez‘ oder auch ‚Asamblea‘ genannt wurden. Daß dort verbindliche Entscheidungen für die Durchführung von Straftaten im Sinne des § 129a Abs. 1 StGB getroffen worden wären, die dann auch unter der Verantwortung einer solchen überregionalen Vereinigung verübt worden wären, hat er nicht berichtet; auch sonst fehlen dafür jegliche Anhaltspunkte. Daß die einzelnen Zellen gelegentlich zusammenarbeiteten, z.B. durch die Überlassung von Sprengstoff aus einem Diebstahl, oder daß sie ein einheitliches Symbol verwendeten, vermag daran nichts zu ändern, da dies die fehlenden Merkmale einer Vereinigung im Sinne des § 129a StGB für die angebliche ‚Gesamt-Vereinigung‘ nicht ersetzen kann.“6

Diese Überlegungen zum Verhältnis von örtlichen und übergreifenden Strukturen gelten nicht nur für Terroristische Vereinigungen, sondern lassen sich auch auf alle anderen Arten von Vereinigungen übertragen – es handelt sich einfach um zwei mögliche unterschiedliche Organisationsformen (Autonomie/Dezentralität oder Zentralismus).

Es muß also in jedem Einzelfall

  • zunächst einmal in faktischer Hinsicht geklärt werden, welches Modell tatsächlich praktiziert wird (wobei in Rechnung zu stellen ist, daß beide Modelle nicht notwendigerweise nur in Reinform vorkommen müssen) und

  • dann ist anschließend im Hinblick auf die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale zu klären, ob die identifizierte(n) Vereinigung(en) den Charakter einer Kriminellen, Terroristischen oder vereinsrechtlich verbotenen Vereinigung haben oder aber strafrechtlich irrelevant sind (wie die bundesweite RZ-Struktur ab 1976).

Eine Terroristische Teil-Vereinigung innerhalb der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK)

Es ist auch schon vorgekommen, daß die Gesamt-Vereinigung für nicht strafrechtlich relevant gehalten wurde, aber innerhalb der Gesamt-Vereinigung eine Teilmenge (z.B. Führungsgruppe; Teilmenge von Mitgliedern) für eine separate Vereinigung gehalten wurde, die sehr wohl strafrechtlich relevant sei – so zum Beispiel während Geltung der Sozialistengesetze am Ende des 19. Jahrhunderts, aber auch in Bezug auf die PKK:

„Ein Mittelweg könnte für die Justiz sein, nur die Führungskader der Letzten Generation als Mitglieder einer kriminellen Organisation anzuklagen, aber nicht alle Aktivist*innen einzubeziehen. Eine ähnliche Struktur der Vereinigung innerhalb der Vereinigung hatte der BGH 20047 auch für die Führungsebene der kurdischen PKK angenommen. Auch die Münchener Staatsanwält*innen sprachen zunächst nur von sieben Beschuldigten.“
(https://vorwaerts.de/artikel/letzte-generation-kriminelle-vereinigung)

Der Vorstand der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (= SPD-Vorläuferin) als staatsfeindliche Verbindung innerhalb dieser Partei

Siehe zur Situation am Ende des 19. Jahrhunderts:

4. Meine Kritik an der fehlenden (siehe Nr. 1) Problematisierung der (eventuellen) Strafbarkeit von Blockaden wird allerdings dadurch relativiert, daß die Blockaden (= angeblichen Nötigungen) nicht die einzigen Straftaten sind, die den Beschuldigten des Münchener Verfahrens und anderen vermeintlichen Mitgliedern der „Letzten Generation“ vorgeworfen werden. Insbesondere werden noch Sachbeschädigungen (in Bezug auf Gemälde in Museen und mindestens einen Zaun) vorgeworfen.

Anders als bei der Klassifizierung der Blockaden als Nötigung dürfen Sachbeschädigungen in der Tat gegeben sein.

5. a) Deshalb sind die bereits bei Nr. 2 und 3. angesprochenen Fragen und sowie weitere Problem letztlich ausschlaggebender als die Frage, ob die Blockaden Straftaten darstellen.

In Bezug auf alle eventuellen Straftaten stellen sich also zum einen die bereits angesprochenen Fragen:

  • Gibt es überhaupt eine (oder mehrere) Vereinigung(en) „Letzte Generation“ – also „Vereinigung“ speziell im Sinne der Definition in § 129a Absatz 2 StGB?
  • Und wie sind dann Mitglieder und Nicht-Mitglieder dieser angeblichen Vereinigung zu unterscheiden?

b) Dann kommen noch folgende Fragen hinzu:

  • Ist bzw. sind diese Vereinigung(en) im Sinne von § 129 Absatz 2 StGB auch tatsächlich Kriminelle im Sinne von § 129 Absatz 1 Satz 1 StGB: Also sind „deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist“ (Hv. hinzugefügt)10? – Es genügen also nicht irgendwelche Straftaten von irgendwelchen Leuten, sondern es müssen gerade „Zweck oder Tätigkeit“ der jeweiligen11 Vereinigung „auf die Begehung von Straftaten gerichtet“ sein. Das heißt: Es kommt – wie ebenfalls bereits in Teil I dargelegt – auch entscheidend darauf an, in welcher Weise die Willensbildung und Entscheidungsfindung innerhalb der angeblichen Vereinigung ablaufen bzw. auf den konkreten Zusammenhang (oder Nicht-Zusammenhang) zwischen Straftaten, die nur von natürlichen Personen (Menschen) begangen werden können, und „Vereinigung“ (dadurch, daß einzelne oder vielleicht auch ziemlich viele FDP-Mitglieder bei der Steuer bescheißen, wird die FDP – auch unabhängig von deren Parteistatus – nicht zur einer Kriminellen Vereinigung – es sei denn, Zweck und Tätigkeit der FDP als Organisation wäre gerade auf diese Steuerstraftaten gerichtet).

  • Zusätzlich kommt es noch (da kommt dann bei dem Vergleichs-Beispiel FDP auch der Parteistatus ins Spiel) auf § 129 Absatz 3 StGB an:

    „Absatz 1 ist nicht anzuwenden,
    1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
    2. wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder
    3. soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den §§ 84 bis 87 betreffen.“

    In Bezug auf die „Letzte Generation“ kommt es dabei auf Nr. 2 an: Welchen Stellenwert haben insbesondere die Sachbeschädigungen (je nach juristischer Bewertung: auch die Blockaden) im Verhältnis zu den Aktivitäten der „Letzten Generation“, die unstreitig keine Straftaten darstellen (Presseerklärungen verschicken; mit PolitikerInnen reden; Medien Interviews geben; Diskussionsveranstaltungen organisieren).

    Auch auf diese Frage geht das Amtsgericht in seinem Durchsuchungsbeschluß nicht ein, obwohl sie von JuristInnen als relevant angesehen wird:

    „Angriffe auf die Pipelines und andere Einrichtungen der kritischen Infrastruktur sind klar strafbar, bislang aber zum Glück vereinzelt geblieben und prägen daher nicht das Erscheinungsbild der Letzten Generation; sie sind auch nicht repräsentativ für ihr Tätigkeitsspektrum. So bleiben im Wesentlichen Verkehrsblockaden, von denen, wie gesagt, abzuwarten bleibt, ob sie auch nach höchstrichterlicher Befassung überwiegend als strafbar einzustufen sind.“
    (https://dx.doi.org/10.17176/20230526-231102-0)

    „Ich kann mich […] daran erinnern, dass ich als ich auf die Webseite der Letzten Generation schaute, zunächst eine Unmenge an Vorträgen und Veranstaltungen zum Thema Klima und Verkehr fand und die Option, dass Mensch sich auch jenseits von Blockadeaktionen als Unterstützende eintragen konnten.
    Das spricht aus meiner Sicht gegen eine Einordnung als eine Vereinigung, deren Zweck und Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist.“
    (https://blog.wawzyniak.de/kriminelle-vereinidung-zum-zweiten/)

    Trotzdem geht das Münchener Amtsgericht – wie bereits gesagt – auf § 129 Absatz 3 Nr. 2 StGB nicht ein.

    Ich sage meinerseits nicht, daß bereits feststehe, daß die „Letzte Generation“ keine Kriminelle Vereinigung sei; ich sehe mich – mangels hinreichender faktischer Kenntnisse – auch nicht in der Lage, die Frage zu beantworten, ob diese Ungewißheit schon ausreichend für einen – die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigenden – Anfangsverdacht auf Bildung einer Kriminellen Vereinigung ist.

    Ich kann nur sagen: Der amtsgerichtliche Durchsuchungsbeschluß spricht die dafür entscheidenden Fragen nicht einmal an – geschweige denn, daß er sie überzeugend beantworten würde.

    Folglich kann ich auch nicht verstehen, wie Markus Sehl in der Legal Tribune Online zu einer ganzen anderen Beurteilung des Duchsuchungsbeschlusses kommt:

    „Mit einer seitenlangen Begründung, warum von der Aktivisten-Gruppierung Letzten Generation, eine ‚erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit‘ ausgehe, hat das Amtsgericht München am Mittwoch für bundesweit fünfzehn Durchsuchungen gesorgt, eine Website der Gruppe beschlagnahmen lassen und auch mit Warnmeldungen für Chaos gesorgt. Das Gerichtsdokument liegt LTO vor. Darin wird aufwendig begründet, warum die Gruppierung eine kriminelle Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuch (StGB) darstellt. Die Passagen zu ihrer Struktur und ihren Aktionen klingen nach gefestigter Überzeugung.“
    (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/letzte-generation-kriminelle-vereinigung-durchsuchungsbeschluss-muenchen-bayern-justiz-razzia/)

    Die „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ wird vielmehr gerade nicht begründet: Wie schon in Teil I gesagt, werden im Abschnitt, der mit dieser Behauptung endet, nur – in der Tat: ziemlich viele – Handlungen aufgezählt; aber eine konkrete rechtliche Bewertung dieser Handlungen wird nicht geleistet.

    Es wird auch nicht, wie ebenfalls bereits gesagt, auf den Unterschied zwischen „öffentlicher Sicherheit“ und „öffentlicher Ordnung“ eingegangen.

    Auch zu anderen Punkten fehlt es gerade an einer (rechtlichen) Begründung; der Beschluß des Amtsgerichts ist daher noch schwächer als der Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts Karlsruhe12, der im Januar zu Durchsuchungen bei Radio Dreyeckland (RDL) und Mitarbeitern von Radio Dreyeckland führte. Dieser Beschluß übersah zwar insbesondere, daß die – durch einen Artikel auf der Webseite von RDL angeblich unterstützte – Vereinigung gar nicht mehr existiert und folglich auch nicht mehr unterstützt werden kann (wie inzwischen auch das Landgericht Karlsruhe entschieden hat13). Aber zumindest zu anderen Punkten nahm das Gericht immerhin auf vorhergehende Entscheidungen anderer Gerichte Bezug (gelangte aber trotzdem zu einem unzutreffenden Ergebnis).

    Das einzige, was ich an der zitierten Passage von Markus Sehl – mit anderer Wendung – teile, ist die „gefestigte Überzeugung“: Der Amtsrichter scheint es für dermaßen gewiß zu halten, daß die „Letzte Generation“ eine Kriminelle Vereinigung sei, daß er es nicht einmal als nötig ansieht zu begründen, das zumindest mal ein dahingehender Anfangsverdacht vorliege.

    Selbst an den Stellen, an denen es ohne weiteres möglich war, den Beschluß besser zu begründen, wurde es nicht gemacht:

    • Das Gericht belegt die angebliche Verbindung zwischen angeblicher Vereinigung und angeblichen Straftaten nicht einmal mit entsprechenden Artikeln auf der Homepage der „Letzten Generation“ und social media posts – obwohl das (Voraussetzung, die in Rede stehenden Handlungen sind tatsächlich Straftaten) vermutlich ziemlich einfach wäre.

    • Es werden auch keine bereits ergangenen Urteile gegen (vermeintliche) AktivistInnen zitiert, mit denen sich der strafbare Charakter der in Rede stehenden Handlungen stützen ließe (vorausgesetzt, die bereits ergangenen Entscheidungen waren zutreffend).

    • Es werden keinerlei Fundstellen (Quellen) aus der bisherigen Rechtsprechung und aus der rechtswissenschaftlichen Literatur zur Auslegung der §§ 129 (Bildung krimineller Vereinigungen) und 240 (Nötigung) StGB angeführt.

 

  • Mal angenommen, die Klassifizierung der „Letzten Generation“ als Kriminelle Vereinigung sei zurecht erfolgt, dann stellt sich immerhin die Frage, die der Amtsrichter in seinem Durchsuchungsbeschluß aber nicht erörtert – nämlich, ob die Beschuldigten (bereits vor Kenntniserlangung von dem Beschluß14) Vorsatz zur Bildung gerade einer solchen Vereinigung hatten, oder ob ihnen diesbzgl. zumindest ein Verbotsirrtum zuzubilligen ist:

    „Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.“
    (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__17.html)

    Denn Verkehrsblockaden sind ja nun keine neuen Aktionsformen sozialer Bewegungen – und bisher wurden keine TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen von Blockaden wegen Bildung Krimineller Vereinigung verfolgt. Nun mögen auch hier wieder die – paar – zusätzlichen Sachbeschädigungen angeführt werden.

    Aber auch wenn diesen Sachbeschädigungen – entgegen der schon angeführten Bedenken – eine nicht bloß „untergeordnete Bedeutung“ im Sinne von § 129 Absatz 2 Nr. 2 StGB zugesprochen wird, stellt sich die Frage, ob den Beschuldigten nicht zumindest hinsichtlich dieser Bedeutung eine entschuldigender Irrtum zuzubilligen ist.

     

Um nun noch das Resümee zu resümieren: Ich sage nicht, daß der Durchsuchungsbeschluß im Ergebnis rechtswidrig sei (dazu kenne ich den Sachverhalt, der hätte rechtlich beurteilt werden müssen, zu wenig). Meine Kritik ist, daß die Beurteilung dieses Sachverhalts als (Anfangsverdacht auf) Bildung einer Kriminellen Vereinigung in dem Beschluß nicht begründet wird, sondern eine bloße Behauptung bleibt.

Schon gar nicht sage ich, daß der Durchsuchungsbeschluß auch tatsächlich von einem höheren Gericht für rechtswidrig erklärt werden wird (die Betroffenen haben jedenfalls angekündigt, Beschwerde einzulegen15) – dafür habe ich zuviel auch an der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht zu kritisieren – gerade auch bezüglich der Blockade-Rechtsprechung (s. dazu unten S. 21) und des Politischen Strafrechts (im weiten Sinne – also einschließlich der §§ 129 bis 129b StGB).

Aber ich sage gerne noch mal zur Begründung des Durchsuchungsbeschlusses, was ich bereits in meinem Twitter-post zu Teil I gesagt hatte: Es handelt sich insoweit um ein zusammengeschludertes Machwerk eines wirren Amtsrichters.

Diese Schludrigkeit sollte nicht dazu führen, die Ernsthaftigkeit des Angriffs zu unterschätzen – und schon gar nicht sollte er als bloßes Wahlkampf-Getöse der CSU abgetan werden – dies war schon 2017 der Fehler in Bezug auf die linksunten-Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums16. – Mag vielleicht am Ende auch nur die Führungsstruktur der „Letzten Generation“ wegen Bildung einer Kriminellen Vereinigung innerhalb der „Letzten Generation“ angeklagt werden – das materielle Interesse der Generalstaatsanwaltschaft München (und auch darüber hinaus einer bestimmten Fraktion im Staatsapparat) scheint mir zu sein, die einzelnen AktivistInnen von finanzieller Unterstützung abzuschneiden (daher der Unterstützungs-Vorwurf gegen die beiden, die Zugriff auf Konten ermöglicht haben, noch bevor es zu auch nur einer einzigen Verurteilung wegen Mitgliedschaft gekommen ist). – Die Hoffnung dürfte sein, das, was dann von der „Letzten Generation“ noch übrigbleibt, mit den üblichen Methoden des Umgangs mit zivilem Ungehorsam kleinarbeiten zu können.


Fortsetzung folgt.


Bisher sind erschienen:

Der Durchsuchungsbeschluß in Sachen „Letzte Generation“

Es folgt noch:

  • Anhang: Noch einmal speziell zu den Blockaden
     

1 „Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter […] organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129.html)

3 Es erscheint die Meldung: „This URL has been excluded from the Wayback Machine.“ (https://web.archive.org/web/20230000000000*/https://letztegeneration.de/).

4 Vielleicht mache ich dazu demnächst in einem separaten Text.

6 ebd., S. 7 – 9.

7 „Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen waren Tätigkeit und Zwecke der Führungsebene auch nach der Kursänderung Anfang 2000 nach wie vor auf die Begehung dieser Straftaten gerichtet. Bei diesen Taten handelt es sich auch nicht um solche, deren Begehung nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung im Sinne des § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB war.“ (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=30763&anz=1&pos=0&Frame=4&.pdf, S. 14; meine Hv.)
Auch ließ der BGH folgende Feststellungen der Vorinstanz unbeanstandet: „Innerhalb der Kurdischen Arbeiterpartei PKK (Partiya Karkeren Kurdistan) hatte vor August 1996 in Deutschland eine terroristische Vereinigung bestanden, die aus den Europa-, Regions- und Gebietsverantwortlichen und aus den leitenden Kadern der Unterorganisationen bestanden hatte. Im Sommer 1996 wurden die terroristischen Aktivitäten eingestellt, die Vereinigung bestand jedoch als kriminelle Vereinigung weiter.“ (ebd., S. 5) (Dagegen wurde die spezifische „Annahme des Oberlandesgerichts, die Zwecke der Führungsebene der PKK in Deutschland seien ungeachtet des Kurswechsels im Jahre 1999 auch für den Tatzeitraum von Mai 2000 bis März 2002 noch auf die Begehung demonstrativer Gewalttaten gerichtet gewesen,“ vom BGH beanstandet (ebd., S. 7; das war aber nur für das Strafmaß, aber nicht für den Schuldspruch ausschlaggebend: „Durch die rechtsfehlerhafte, von den Feststellungen nicht getragene Annahme, die Führungsebene der PKK in Deutschland sei auch im Tatzeitraum nach ihren Zwecken auf die Begehung demonstrativer Gewalttaten ausgerichtet gewesen, wird der Schuldspruch des angefochtenen Urteils nicht gefährdet. […]. Dagegen hat der Strafausspruch keinen Bestand. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Oberlandesgericht bei einem geringeren Schuldumfang auch zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre.“ [ebd., 14, 16])

10 „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129.html)

11 Vgl. BGH, a.a.O (FN 9), S. 8 f.: „Nur wenn die Mitglieder der Vereinigung über das ‚bloße Bewußtsein, daß es zu Straftaten kommen könne‘, solche Taten auch als Ziel und Zweck ihres Zusammenschlusses anstreben, erscheint die von dem Tatbestand vorgenommene Gleichstellung von Vereinigungen, deren Zwecke darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, mit solchen, bei denen bereits eine ausgeübte Tätigkeit eben diese Ausrichtung hat, gerechtfertigt. Nur dann ist nämlich auch die besondere Gefährlichkeit der Vereinigung gegeben, die den Gesetzgeber veranlaßt hat, den Strafrechtsschutz so weit in das Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung oder konkreten Rechtsgutsgefährdung vorzuverlagern, wie dies durch § 129 StGB geschieht“.
Vgl. auch noch S. 10 oben: „Der Charakter einer Gruppierung kann sich durch die Änderung ihrer Zwecke und Tätigkeit wandeln. So wie aus einer Vereinigung, die legalen Zwecken diente, durch die spätere Ausrichtung auf die Begehung von Straftaten eine kriminelle Vereinigung werden kann (BGHSt 27, 325 ff.), kann umgekehrt ein Personenzusammenschluß, der bislang auf strafbare Zwecke und Tätigkeiten gerichtet war, die Eigenschaft einer kriminellen Vereinigung verlieren, wenn er diese Ausrichtung aufgibt und einen legalen Kurs verfolgt.“

12 Siehe dazu meine Kritik in den taz-Blogs vom 22.01., 27.01. und 02.02.2023.

14 Für die Zukunft mag der Vorsatz dagegen zu bejahen sein und ein unvermeidbarer Verbotsirrtum zu verneinen sein – vorausgesetzt, es handelt sich auch tatsächlich um eine Kriminelle Vereinigung.

15 „Ob das als Grundlage für die Hausdurchsuchungen genügt, wird vermutlich bald das Landgericht München entscheiden müssen. Die Letzte Generation hat entsprechende Rechtsmittel angekündigt.“ (https://vorwaerts.de/artikel/letzte-generation-kriminelle-vereinigung)

16 Siehe dazu meinen Artikel „Undurchdachtes Vorgehen. Einige Überlegungen zu den Fehlern der bürgerrechtlichen bis linksradikalen Reaktionen auf das Verbot von ‚linksunten.indymedia‘“ in der jungen Welt vom 14.04.2023, These 4.

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