vonDetlef Georgia Schulze 27.05.2023

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Der vierte – und letzte – Abschnitt des Durchsuchungsbeschlusses trägt die Überschrift „Bisher bekannte Tatbeteiligungen der 6 Beschuldigten“, wobei die „6“ augenscheinlich ein Tippfehler ist. Denn es geht in dem Beschluß insgesamt und auch in diesem Abschnitt um 7 Beschuldigte.

Wie ebenfalls bereits gesagt, ist Abschnitt IV. in fünf Unter-Abschnitte untergliedert – gehen wir diese der Reihe nach durch:

Unter-Abschnitt 1: Zu zwei Beschuldigten

Der erste Abschnitt dreht sich um zwei Personen, denen neben der mitgliedschaftlichen Betätigung innerhalb der Vereinigung (konkret: Betreiben der Homepage der „Letzten Generation“) keine anderen Straftaten (d.h.: außerhalb des § 129 StGB) vorgeworfen werden – nicht einmal irgendwelche Äußerungsdelikte.

Damit sind wir bei dem zentralen Problem in Bezug auf die Vereinigungsdelikte: Strafbar ist die bloße mitgliedschaftliche Beteiligung an einer solchen Vereinigung – unabhängig davon, ob die einzelnen Mitglieder jemals eine kriminelle oder – im Falle des § 129a StGB – gar „terroristische“ Tat begangen haben. Das heißt: Die Vereinigungsdelikte bedeuten eine Vorverlagerung der Strafbarkeit – das ist rechtspolitisch zu kritisieren und verfassungsrechtlich zumindest problematisch.

 

Unter-Abschnitt 2: Zu einer Beschuldigten

Über diese Beschuldigte wird gesagt, daß sie die Pressesprecherin der „Letzten Generation“ sei und daß gegen sie derzeit mehrere – nicht näher spezifizierte – Ermittlungs- bzw. Strafverfahren liefen. Damit sind wir wieder bei dem bereits in Teil I dieser Artikel-Serie angesprochenen Problem:

Wie erfolgt innerhalb der angeblichen Vereinigung die Willensbildung? Sagt die Mehrheit, was auch die eventuelle Minderheit zu machen hat? Sagt die Führung, was die Basis zu machen hat? Oder bleibt letztlich allen angeblichen Mitgliedern überlassen, woran sie sich beteiligen und woran nicht und wofür sie unter Umständen selbst die Initiative ergreifen? Und was kann von den konkreten Handlungen der Einzelnen der Vereinigung zugerechnet werden? – Dieses Problem müßte doch (mit welchem Ergebnis auch immer) zumindest mal diskutiert werden… – wird es aber in dem amtsrichterlichen Beschluß nicht!

Unter-Abschnitt 3: Zu zwei Beschuldigten

Über diese beiden Beschuldigten wird gesagt, daß sie an einer der Pipeline-Störaktionen beteiligt gewesen seien – ob sie deshalb (bereits) rechtskräftig verurteilt wurden, wird nicht gesagt (wie im übrigen insgesamt auffällt, daß kein einziges der bisher gegen vermeintliche Mitglieder der „Letzten Generation“ ergangenen Urteile erwähnt wird). Der diesbzgl. Satz in dem Beschluß, „Die Generalstaatsanwaltschaft hält wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten“, deutet eher darauf hin, daß bisher nicht einmal Anklage erhoben worden ist, sondern dies erst noch – vielleicht zusammen mit dem Mitgliedschafts-Vorwurf – geschehen soll.

In Bezug auf die Pipeline-Aktion wird zwar gesagt, daß sie Teil einer „abgesprochenen“ Aktionswelle gewesen sei, aber es wird nicht gesagt, welche Personen oder Gremien diese Absprache getroffen haben und was der genaue Absprache-Inhalt war – es bleibt also wiederum im vagen, worauf der Wille der angeblichen Vereinigung gerichtet gewesen sein soll. Letztere Frage ist aber zentral – denn, wie wir bereits in Teil I gesehen haben, ist eine Kriminelle Vereinigung ja nur eine solche, „deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“ (§ 129 Absatz 1 Satz 1 StGB; Hv. hinzugefügt).

Unter-Abschnitt 4 und 5:

Jeweils in Bezug auf einen der beiden angeblichen Unterstützer

Einem der beiden Unterstützer wird unterstellt, daß er seit dem 23.07.2022 (eine Uhrzeit ist nicht genannt ;-)) wisse, daß die „Letzte Generation“ Straftaten, das heiße Straßenblockaden und Sachbeschädigungen sowie Angriff auf öffentliche Betriebe, zu verantworten habe. Auch dem anderen Beschuldigten wird ein solches Wissen unterstellt – allerdings ohne Nennung eines Datum, seit dem er über dieses Wissen verfügen soll.

In Wirklichkeit ist aber nicht einmal in dem Beschluß vom 16.05.2023 (also rund zehn Monate später) dargelegt, daß die Straßenblockaden Straftaten darstellen – geschweige denn, wie die Entscheidungsfindung in Bezug auf die genannten Aktionen abläuft bzw. abgelaufen ist. Dies ist aber – wie gerade schon gesagt – eine der zentralen Fragen.

Hinzukommt, daß die Strafbarkeit der Unterstützung der Vereinigung im allgemeinen durch etwas, das an sich legal ist (hier: Zugriff auf ein Konto ermöglichen), eine weitere Vorverlagerung der Strafbarkeit gegenüber der Strafbarkeit konkreter Taten und der Beihilfe dazu darstellt.

Das amtsgerichtliche Resümee

Nach diesen fünf Unter-Abschnitten heißt es dann in dem amtsgerichtlichen Resümee:

  • Drei Beschuldigte (nämlich die in Unterabschnitt 1 und 2 genannten) würde (ausschließlich) der Vorwurf der Bildung einer Kriminellen Vereinigung gemacht. (Die angeblichen Straftaten der Pressesprecherin, die Gegenstand anderer Verfahren sind, spielen insofern für das Münchener § 129-Verfahren keine Rolle.)

  • Zwei Beschuldigte werden außerdem konkrete Taten vorgeworfen – nämlich gem. § 316b (Störung öffentlicher Betriebe), § 303 (Sachbeschädigung) in Verbindung mit § 300c (Strafantrag; gemeint vermutlich: der Pipeline-Betreiberin) und § 123 (Hausfriedensbruch) StGB. Auf welche konkrete Handlungen sich diese Vorwürfe beziehen, wird nicht gesagt – es kann nur geraten werden, daß dies wohl auf die Pipeline-Aktion gemünzt ist.

  • Und den letzten beiden Beschuldigten wird die Unterstützung der Vereinigung vorgeworfen.

Im vorletzten Absatz wird dann noch die viel beschworene ‚Verhältnismäßigkeit‘ („stehen in angemessenen Verhältnis“) bejaht: „Die angeordneten Maßnahmen stehen in angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts und sind für die Ermittlungen notwendig. Soweit auf Kommunikationsverbindungsdaten zugegriffen wird, gilt dies auch im Bezug auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht d. Beschuldigten.“


Fortsetzung folgt.


Bisher sind erschienen:

Der Durchsuchungsbeschluß in Sachen „Letzte Generation“

Es folgt noch:

  • Anhang: Noch einmal speziell zu den Blockaden
     

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