vonDetlef Georgia Schulze 21.05.2024

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hat heute mitgeteilt, daß sie

„gegen fünf Mitglieder der ‚Letzten Generation‘ (Beschuldigter J., Beschuldigte H., Beschuldigter B., Beschuldigter P., Beschuldigter S.) im Zusammenhang mit Angriffen gegen Raffinerieanlagen der PCK GmbH Schwedt […] wegen des Vorwurfes der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB sowie der Störung öffentlicher Betriebe, Nötigung, Sachbeschädigung und anderer Straftatbestände erhoben [hat].“

Wow – wegen „Angriffen“! Das hört sich an, als hätten wir eine neue Stadtguerilla…

Weiter teilte die Staatsanwaltschaft mit:

„Der Tatvorwurf betrifft die Beschuldigten als Mitglieder einer Teilgruppe der ‚Letzten Generation‘, die sich in Differenzierung zur gesamten Gruppierung der ‚Letzten Generation‘ zur Begehung von Straftaten einigen Gewichts bereit erklärt und sich an diesen beteiligt haben. Es besteht hinreichender Tatverdacht, dass die fünf Beschuldigten mit anderen Mitgliedern dieser Teilgruppe übereinkamen, über einen längeren Zeitraum, der zumindest bis Mai des Jahres 2023 andauerte, gemeinsam und zum Teil unter strikter Aufgabenverteilung Straftaten, die zumindest im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind, zu begehen. Der Personenzusammenschluss war nicht nur auf längere Dauer angelegt, sondern diente zudem der Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.“

Damit kommt jetzt in dem Neuruppiner Verfahren eine unrühmliche Konstruktion, die schon gegen die Sozialdemokratie des Deutschen Kaiserreichs zur Anwendung kam und auf deren Brisanz ich bereits im vergangenen Jahr aus Anlaß des Münchener § 129 StGB-Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ hinwies [Auch die SPD-Vorläuferin SAPD war schon betroffen und Eine Terroristische Teil-Vereinigung innerhalb der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK)], erneut zur Anwendung.

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„Unrühmlich“ und „brisant“ deshalb, weil bezweifelt werden kann, ob eine Teilmenge von Beteiligten an einem größeren personellen Zusammenhang überhaupt Bewußtsein haben/hatten einer distinkten Vereinigung anzugehören. Jedenfalls der sog. subjektive Tatbestand ist prekär.

Gegen die Sozialdemokratie kam die Konstruktion im vorletzten Jahrhundert zur Anwendung, weil sich innerhalb der Sozialdemokratie eine – damals noch nicht „Kriminell“, sondern „staatsgefährlich“ genannte (ansonsten hat sich aber seitdem wenig am § 129 StGB geändert) – Vereinigung zum Zwecke von Verstößen gegen die Sozialistengesetze gebildet haben sollte.

In den 1990er Jahre wurde die Konstruktion gegen PKK-Mitglieder wiederbelebt, die eine Terroristische Vereinigung (§ 129a StGB) innerhalb der PKK gebildet haben sollten.

Im Fall des Neuruppiner Verfahrens dürfte die Konstruktion einer solchen Teilvereinigung der Versuch sein, § 129 Absatz 3 Nr. 2 StGB zu umgehen, die da lautet: „(3) Absatz 1 ist nicht anzuwenden, […], 2. wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist […]“.

Vermutlich werden durch die Konstruktion der Teilvereinigung sämtliche legalen politischen Aktivitäten der „Letzten Generation“ ausgeblendet und wird statt dessen allein auf eine handvoll Straftat der angeblichen Teilvereinigung fokussiert.

Ein Vergleich zwischen der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft und dem Wortlaut der ersten drei Absätze des § 129 StGB ergibt:

Die „Letzte Generation“ hält der Neuruppiner Staatsanwaltschaft in einer Presseerklärung aus Anlaß der Anklageerhebung vor:

„Während die Saarländer:innen eimerweise Schlamm aus ihren Kellern tragen und sich zur Europawahl ein menschenfeindlicher Rechtsruck abzeichnet, werden Mirjam Herrmann, Henning Jeschke, Jakob Beyer, Edmund Schultz und Lukas Popp für ihren friedlichen Protest für eine sichere Welt und gegen die verantwortungslose Politik Deutschlands angeklagt. Das Bündnis Menschen gegen Öl ruft die Zivilgesellschaft Deutschlands zu einer Versammlung am Washington Platz mit Blick auf das Regierungviertel morgen, am 22.05. um 16 Uhr auf.“

Der Washington Platz ist auf der Südseite des Berliner Hauptbahnhofs.

 

Siehe bereits aus dem vergangenen Jahr:

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