vonChristian Ihle 02.01.2013

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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10. Aufschneider (Österreich, Regie: David Schalko)


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=wIbEmkr3p0Y[/youtube]


Ein Novum: zum ersten Mal findet sich in unserer Jahresbestenliste ein TV-Film wieder. Arte strahlte im letzten Sommer die morbide österreichische Komödie um einen Pathologen, gespielt von Josef Hader, aus. Hader war dabei nicht nur Hauptdarsteller, sondern auch Drehbuchautor, was sich natürlich im typischen Hader-Humor bemerkbar macht. Schreiend komisch, aber nie klamaukig, sondern durchaus auch mit Herz. Hader in Höchstform spielt einen Misanthropen, der eher mit Toten als den Lebenden kann – fast so gut wie sein letztes Brenner-Glanzstück „Der Knochenmann„.



9. Killer Joe (USA, Regie: William Friedkin)


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Ein umstrittener Film, der auf einem Theaterstück eines Pulitzerpreisträgers beruht und ohne Jugendfreigabe in die Videotheken kam. Die Thematik ist auch harter Stoff, ein Auftragsmord an der Mutter einer Familie, der mit Sex mit der noch nicht volljährigen Tochter bezahlt werden soll, Chicken-Fellatio und Matthew McConaughey sind nichts für empfindsame Gemüter. McConaughey, im Normalfall ein Schmierlappen vor dem Herrn, ist hier als ein komplett amoralischer, öliger Cop, der im Nebenberuf Auftragskiller ist, so gut wie nie.



8. Ted (USA, Regie: Seth MacFarlane)


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Es klingt albern und es hätte fürchterlich schief gehen können: Ted ist ein zum Leben erwachter Teddybär, der – nun auch schon Mitte 30 – wie sein Herrchen einfach nicht erwachsen werden will und so die Koks, Blackjack und Nutten – Dreieinigkeit zelebriert. Doch Seth MacFarlane, Erfinder von Family Guy und American Dad, gelingt in seinem Debütkinofilm etwas Erstaunliches: bei all dem Hangover-auf-die-Zwölf-Quatsch hat Ted eben nicht nur Witz, sondern durchaus auch Tragik und eine ernste Frage nach der Notwendigkeit des Erwachsenwerdens im Zentrum. Viel besser als die beiden Comicserien, die ihn berühmt gemacht haben – und ohne Zweifel die beste Gross-Out-Komödie des Jahres.



7. Looper (USA, Regie: Rian Johnson)


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Der Plot ist zu kompliziert, um ihn kurz zusammenzufassen, aber Rian Johnson, den wir seit seiner cleveren Genre-Interpretation „Brick“ mit viel Interesse verfolgen, stellt hier einen formidablen Zeitreisethriller vor, der zu Unrecht weniger Beachtung als „Inception“, ein Bruder im Geiste, erfahren hat. Bruce Willis ist endlich mal wieder in einer guten Rolle und einem hervorragenden Film zu sehen, auch dafür ein Danke.



6. Death Row (USA/Deutschland, Regie: Werner Herzog)





Es gibt wohl kaum einen besseren Dokumentarfilmer als die deutsche Autorenfilmlegende Werner Herzog – und mit Sicherheit keinen besseren Interviewer. Wie sich Herzog hier mit der Kamera zu vier zum Tode verurteilten, mutmaßlichen Mördernsetzt und mit seiner Guteronkelstimme die härtesten Fragen stellt, um die brutalsten Antworten zu bekommen, verschlägt einem den Atem. Vier Geschichten verpfuschten Lebens, vier Grausamkeiten – und viele, viele Fragen zum Thema Todesstrafe, die Herzog hier subtil stellt. Seine Haltung ist klar und unerbitterlich: die Todesstrafe ist in sich selbst ein Verbrechen. Aber dennoch gelingt es ihm, eine Ausgewogenheit herzustellen, die dem Zuschauer die Möglichkeit gibt, selbst darauf noch eine eigene Antwort zu suchen. Eine so beklemmende Dokumentation hat man selten gesehen.


5. Moonrise Kingdom (USA, Regie: Wes Anderson)


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Wes Anderson hat einen so unverwechselbaren Stil, dass er mit jedem Film mehr in Gefahr gerät, zu Eigenzitat oder, schlimmer noch, Selbstparodie zu verkommen. So tänzelt auch „Moonrise Kingdom“ anfangs lange diesen schmalen Grat entlang, bis Anderson es gelingt, eine für seine Verhältnisse erstaunliche Aufrichtigkeit zu präsentieren und emotionale Tiefe dadurch zu evozieren. Der große Nerdstilist des amerikanischen Independent-Kinos bleibt diesmal nicht an der Oberfläche, sondern gräbt tiefer. Soundtrack (Francoise Hardy!), Ausstattung, Besetzung (Bill Murray, Frances McDormand, Bruce Willis) wie gehabt natürlich sowieso makellos.



4. Guilty Of Romance (Japan, Regie: Sion Sono)





Sion Sono ist einer der großen Exzentriker des Weltkinos. Ein Experimentalist des Genrekinos, ein Verrückter, ein Bilderstürmer. Nichts ist ihm heilig, Blut und Sperma geradezu zwingend erforderlich, wenn er eine Geschichte erzählen will. „Guilty Of Romance“ ist ein bizarrer Trip in die Abgründe der japanischen Gesellschaft, eine Abhandlung über Unterwerfung, Prostitution, Gewalt, Mord. Eine geradlinige Erzählweise in einem Sion Sono zu erwarten, wäre sinnlos, aber hier ist das Abschweifen Prinzip. Es beginnt als Giallo, es endet mit der Aufklärung eines Mordes; Doch dazwischen ist „Guilty Of Romance“ alles mögliche, beschäftigt sich mit dies und das – der Tradition des japanischen Pink-Movies und des Grand Guignol, mit Leben und Selbstfindung in Hierarchien, Sex als Tauschmittel, Liebe als Währung, Ehe als Gefängnis, mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft wie in der Beziehung, familiärer Unterdrückung, Rebellion und Verweigerung, mit Schmutz in allen Spielarten, obsessiver Selbstreinigung und devoten Selbstauslöschungsfantasien – nur nicht mit der simplen Aufklärung eines Mordfalls. “Guilty Of Romance” ist dabei nicht 50 Shades Of Grey, sondern ein großer Kübel feuerblutrote Neonfarbe.



3. Excision (Kanada, Regie: Richard Bates Jr.)


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„Excision“ ist ein fabelhafter, visuell bestechend umgesetzter Debütfilm, der von der Ankunft eines großen Talents kündet: Richard Bates Jr. Die Verwirrung in der Adoleszenz und die Schwierigkeiten, sich in die Gesellschaft einzupassen, sind das Grundthema. Doch wie Bates seine junge Heldin agieren lässt, hat man so noch nicht gesehen. Er nimmt den Emo-Drang der Jugend ernst, präsentiert ihn aber in einer zum Teil komischen, immer kuriosen Art, die mitreisst und fesselt. Und uns Zuschauer verwundert die Augen reiben lässt.



2. Oh Boy (Deutschland, Regie: Jan Ole Gerster)


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Und noch ein Debütant: Jan Ole Gersters Erstlingsfilm ist, man kann es nicht anders sagen, für den deutschen Film beinah ein kleines Wunder. So ungezwungen, beschwingt, unverkopft – aber nicht albern! – sieht man den heimischen Film selten. „Oh Boy“ erinnert in seinen Dialogen an die besten Woody-Allen-Filme der 70er und in seiner Bildsprache an Godards Aufbruch zu neuen Ufern, als dieser mit „Außer Atem“ die Nouvelle Vague ins Rollen brachte. Dazu diese Darsteller! Friederike Kempter beweist mit ihrer schulzeittraumatisierten Off-Off-Theater-Schauspielerin dass sie so viel mehr kann als Fernsehkrimi-Darstellerin zu sein und Tom Schilling liefert als Hauptfigur nichts weniger als die Rolle seines Lebens ab. Beeindruckend, berührend und brüllend komisch.



1. Drive (USA, Regie: Nicolas Winding Refn)


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Der Film des Jahres, ja, der beste Film seit Jahren. Der Däne Refn hat schon viele gute, oft auch stilistisch ungemein beeindruckende Filme in seiner Biographie stehen (Pusher, Bronson), aber mit „Drive“ erreicht er seinen Karriere-Höhepunkt. Eine simple Story, die sich freiwillig im B-Movie verortet und ein klares Zitat der straight to video -Werke der frühen 80er ist – aber gerade weil „Drive“ als Geschichte und als Referenz ja eigentlich gar nichts her gibt, ist Refns Leistung hier so erstaunlich. Dieser Film lebt nur über seine Ästhetik, seine Stringenz – und seine Darsteller. All die kühle Stilistik, der ganze großartige Soundtrack, sie wären nichts wert, würden hier nicht Ryan Gosling und Carey Mulligan in dieser ganzen Kälte so hell und warm strahlen. Ein existentialistischer Film, immer in Bewegung, nie still. Von zum Teil erschreckender Brutalität, aber mit einer Wucht, wie man sie im Kino wohl seit „Oldboy“ oder „Fight Club“ nicht mehr gesehen hat. Ein Jahrzehntfilm, einer der bleiben wird, der eine Popkulturikone werden wird.





Ebenfalls empfehlenswert:


11. Was Bleibt
12. Compliance
13. Young Adult
14. Argo
15. Dame, König, As, Spion
16. Shame
17. Skyfall
18. We need to talk about Kevin
19. Violet & Daisy
20. Eden

21. Take Shelter
22. The Amazing Spider-Man
23. Fraktus
24. Prometheus
25. The Artist
26. Grabbers
27. Hugo
28. Beasts Of The Southern Wild
29. Hemel
30. Francine

31. The Descendents
32. Martha Marcy May Marlene
33. Cabin In The Woods
34. Verblendung (Regie: David Fincher)
35. Cloud Atlas
36. Avengers
37. Moneyball
38. Chronicle
39. Die Wand
40. Joven Y Alocada

41. Winterdieb
42. Juan Of The Dead
43. Barbara
44. Haywire
45. My Brother The Devil
46. Formentera
47. The Tall Man
48. Die Frau in Schwarz
49. The Pact
50. There Are No Innocent Bystanders: The Libertines




Die Vorjahressieger:

2011: Submarine (UK, Regie: Richard Aoyade)
2010: Bad Lieutenant: Port Of Call – New Orleans (USA, Regie: Werner Herzog)
2009: Inglorious Basterds (USA, Regie: Quentin Tarantino)
2008: No Country For Old Men (USA, Regie: Joel & Ethan Coen)
2007: Ex Drummer (Belgien, Regie: Koen Mortier)
2006: Match Point (USA, Regie: Woody Allen)

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https://blogs.taz.de/popblog/2013/01/02/der-filmjahresruckblick-2012-a-year-in-pictures/

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kommentare

  • Da werd ich mal einiges nachholen. Ted fand ich äußerst infantil und traf überhaupt nicht meinen Geschmack, obwohl ich Seth McFarlane´s Serien widerum großartig find. The Perks of Being a Wallflower fehlt mir hier komplett. Das war mein Highlight des Jahres.
    Ansonsten mochte ich noch die nicht auf der Liste befindlichen „Sons Of Norway“, „7 Psychos“ sowie den Action-Overkill „The Raid“

  • Stimmt. This Ain’t California habe ich tatsächlich vergessen. der hätte reingehört.
    The Dark Knight Rises fand ich ärgerlich von der Attitude her, viel zu lang, im Plot unnötig verworren, die Charaktere nicht nachvollziehbar und die Actionszenen wie immer bei Nolan handwerklich nicht gut inszeniert.

  • mir fehlt batman und this aint california (auf den ich durch den blog erst aufmerksam wurde).
    und oh boy > drive, aber gut, dass fällt wohl unter diese geschmackssache, was nicht darunter fallen sollte ist ted. dieser film in den top10..also bitte.

  • Finde auch „Drive“ gehört in 2011 an die Spitze. Nur weil Refns Meisterwerk über ein halbes Jahr Bedenkzeit von Seiten seines deutschen Verleihs Universum Film benötigte, ob „sowas“ überhaupt in den dt. Kinos starten kann (weil zu brutal für das konservative Programmkino-Publikum und zu „arty“ fürs Multiplex), sollte man diese lieblose, 7 Monate währende Vorenthaltung dieses wunderschönen Films nicht auch noch annerkennen und so tun als wäre er ein 2012 Film.

  • Was denn? „Aufschneider“ wurde letztes Jahr in Österreich veröffentlicht, war aber meines Wissens zum ersten Mal in diesem Jahr in Deutschland zu sehen.
    Ansonsten richte ich mich immer nach dem deutschen Kinostart bzw. nach dem deutschen Festivalauftritt.

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